Es sei ein Mythos, dass die Schweiz zu einem der sichersten Länder in Europa gehöre, sagte Kriminologe Martin Killias beim Jahresrapport der Grenchner Stadtpolizei. Einbrecher würden das milde Strafmass kennen. Grenchens Polizei hat reagiert.
Am Korpsrapport zog Stadtpolizei-Kommandant Robert Gerber ein positives Fazit über die Arbeit der Polizei Stadt Grenchen. Eine eher bedenkliche Entwicklung zeigte hingegen ein Vortrag von Kriminologe Martin Killias zum Thema «Steigende Kriminalitätsraten – über die Negierung des Offensichtlichen» auf. Der Professor an der Universität Zürich erklärte, dass die Schweiz in der Kriminalstatistik aufgeholt habe. «Punkto Kriminalität ist unser Land in Europa angekommen», belegte er anhand von neuesten Resultaten von Opferbefragungen in Bezug auf Gewaltdelikte im öffentlichen Raum, Raub und Einbrüche.
Dass die Schweiz zu einem der sichersten Länder in Europa gehöre, sei ein Mythos, der ernsthaft hinterfragt werden müsse. Seine Zahlen belegt Martin Killias mit Polizei- und Justizstatistiken und zusätzlich mit den statistischen Angaben der Unfallversicherung Suva. Nach Gewaltakten kommt es häufig zur medizinischen Versorgung, und anschliessend will die Suva die Hintergründe des Geschehens mittels eines Fragebogens genau erörtern. Daraus ergeben sich zusätzliche Zahlen.
Mehr Gewalt auf der Strasse
Einige Erkenntnisse: Seit 25 Jahren nehmen Gewaltdelikte in der Schweiz zu. Der Raub hat mit der konjunkturellen Entwicklung zu tun. Mobiltelefone sind immer weniger Ziel der Räuber, wohl aber ist der Goldpreis ein Element, das für Raub und Einbruch wichtig geworden ist. Gewalt und Drohungen sind immer häufiger auf der Strasse zu beobachten. Das veränderte Ausgangsverhalten der Bevölkerung spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle.
Bei Einbrechern ist das milde Strafrecht in der Schweiz bekannt. Banden, die vom Ausland aus operieren, sind damit vertraut, und die Gefahr, nach einem Einbruch in Untersuchungshaft zu landen, ist klein. «Verantwortlich ist die Gesetzgebung, Kritik an den Staatsanwälten ist fehl am Platz», sagte Killias. Die Entwendung von Motorfahrzeugen führt in der Regel zu einer Anzeige bei der Polizei. Beim Velodiebstahl ist die Anzeigerate unter 60 Prozent, und nur die Hälfte der Beraubten macht eine Anzeige. Auch bei Gewalttaten und Drohungen wendet sich nur jeder Dritte an die Ordnungshüter.
Stadtpolizei hat reagiert
Untersuchungen belegen, dass das Image der Polizei bei der Anzeigerate keine Rolle spielt und auch Vorurteile gegen Einwanderer nicht zum Tragen kommen. Auf 100000 Einwohner stehen in der Schweiz 212 Polizisten im Einsatz. In Deutschland sind es 304, im europäischen Vergleich 371. Italien ist mit 553 Polizisten Spitzenreiter.
Wie erwähnt prägt das veränderte Ausgangsverhalten die erhobenen Zahlen, massgeblich und zusätzlich haben Liberalisierungen im Gastgewerbe und beim Alkoholausschank beigetragen. Für Killias ist es wichtig, die Tatsachen offen zu diskutieren und entsprechende Lösungen anzustreben. «Die Polizei operiert in einem zunehmend schwierigeren Umfeld», gab sich der Kriminologe überzeugt.
Grenchen hat reagiert
Längst auf die Probleme reagiert hat die Polizei Stadt Grenchen mit verschiedenen Massnahmen im Bereich der Prävention: Schulwegsicherung, Dämmerungseinbrüche, Trick- und Taschendiebstähle, Sicherheit im Alter, Jugendgewalt und Quartierpräsenz. Kommandant Robert Gerber verurteilt auch Gewalt gegen Polizisten, welche heute ein grosses Thema ist. Sekundiert wurde er dabei vom Stadtpräsidenten. «Polizeiarbeit dient der Sicherheit der Bevölkerung», sagte Boris Banga und sieht im positiven Engagement der Polizei einen entscheidenden Standortvorteil für die Uhrenstadt.