Christine Flückiger-Gneist aus Pieterlen beschreibt in ihrem biografischen Roman das Leben ihrer Familie zwischen den beiden Weltkriegen auf der Flucht.
«Unser Haus ist ein Brückenkopf dachte der in Ulm geborene Werner Gneist, aber er sprach es nicht aus. Es tönte zu sehr nach Krieg». Die zwei Sätze in den Büchern «Die Diamantstrasse» von Christine Flückiger-Gneist lassen nur erahnen, was es bedeutet, zwischen und während Kriegszeiten zu leben. Christine Flückigers Grossvater hatte ihrer Mutter jedoch mitgegeben «mit tiefem Glauben gelingt es immer in Not Diamanten zu finden». So schreibt die Autorin von ihres Vaters Einrücken in die Wehrmacht, von der Flucht der Mutter mit vier kleinen Kindern, von Hunger, vom Ausgestossen sein und immer wieder von den Diamanten, die sie in äusserst schwierigen Momenten gefunden haben. Die Familie blieb trotz allem vom Schlimmsten verschont. Es ist diese Zuversicht, die die Lesenden trotz Traumatischem im Buch gefangen hält.
Die ehemalige Madretscher Sekundarlehrerin Christine Flückiger-Gneist entschied sich zwei Tage nach dem Tode ihrer Mutter zum Schreiben. Der Nebel über Pieterlen, die Sonne im Jura, wohin sie zum Eislaufen mit ihren Schülern fuhr, versinnbildlichte das Wesen ihrer zum Teil schwermütigen Mutter, im Unangenehmen das Gute vor allem für alle anderen zu finden. Die Autorin schöpfte für ihre Bücher aus Tagebüchern, Notizen, Briefen und Berichten ihrer Eltern. So gelang es, all die Erinnerungen zum fesselnden Zeitdokument zusammenzufassen.
Die «Diamantstrasse» beginnt im Wechsel mit dem Leben der Grosseltern in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland und der Schweiz. Hier in Bern, dort im niederschlesischen Liegnitz. In beiden Familien in einfachen Verhältnissen hatten die Musik und der Glaube einen hohen Stellenwert. Beide Eltern wurden musikbegeisterte Lehrpersonen. Die Mutter Trudi fand nach Abschluss des Seminars in Bern keine Stelle im Oberland, sondern «nur» im Seeland, in Dotzigen, wurde aber als Chordirigentin schnell heimisch. In dieser Zeit lernte sie die Lieder eines Komponisten namens Werner Gneist kennen und lieben. Der Vater in Schlesien musste während des Studiums zur Zeit des ersten Weltkrieges einrücken. Er blieb unversehrt und konnte die Ausbildung zum Lehrer danach noch abschliessen. Das Beschaffen von Essen wurde zur echten Herausforderung für seine verwitwete Mutter, mit der er zusammenlebte.
An einer Singwoche in Schlesien lernte Trudi eben diesen Chorleiter und Komponisten Werner Gneist persönlich kennen. Sie hatte einen älteren Herrn und keinen jungen Mann erwartet und die beiden verliebten sich. Trudi nahm Abschied von der alten Aare und folgte ihrem Ehemann nach Bunzlau im heutigen Polen. Dass sie ihre schweizerische Staatsbürgerschaft aufgeben musste, weil kein Doppelbürgertum möglich war erwies sich später als folgenschwer.
Die Kriegsjahre wurden für die mittlerweile sechsköpfige Familie schwierig. Werner Gneist wollte und konnte es nicht mit seinem Christsein vereinbaren, der nationalsozialistischen Partei beizutreten. «Lieber Gott, lass es nicht zu, dass die mangelnde Parteizugehörigkeit über unser Schicksal entscheidet», betete er. Die Familie wurde ausgegrenzt, bespitzelt. Werner in seinen Lehramtstellen herabgestuft. Er schlängelte sich durch, gab seine Werte irgendwie weiter. Trotz seines Alters musste er 1943 wieder in die Wehrmacht. Er wurde krank, kam in russische Kriegsgefangenschaft, wurde entlassen und schaffte es irgendwie in den Westen Deutschlands. Trudi floh mit den vier kleinen Kindern vom Brückenkopf in Bunzlau. Die schreckliche Flucht gelang bis zur geschlossenen Schweizer Grenze. Sie war nun Deutsche, musste erst beweisen, dass sie ihre Familie in der Schweiz hatte. Als Deutsche erlebten Trudi und die Kinder viel Ablehnung wie auch Werner, der nie Nazi gewesen zu sein beweisen musste. Erst vier Jahre später konnte die Familie als sogenannte «Vertriebene» in Deutschland wieder zusammenleben.
Zwei der vier Kinder von Gneist haben nach dem Abitur in Baden-Württemberg in Bern studiert und anschliessend in der Schweiz gelebt und unterrichtet. Etwas später kam die älteste Schwester mir ihrem Mann ebenfalls nach Bern. Nach dem Fall des eisernen Vorhangs haben alle Geschwister Gneist ihre alte Heimat in Polen besucht. Aber: vom Haus, dem «Brückenkopf», stand nur noch die hintere Mauer zum Hof. «Der Hinterhof war noch so wie wir ihn erlebt haben», sagt Christine Flückiger. Am Haus stand einmal: «Dieses Haus ward 1797 neu erbaut, ist den 10. August 1813 durch die Franzosen in Asche gelegt und 1814 wieder mit Gottes Hülfe aufgebaut». Bis es 1945 wieder zerstört wurde.
Die Bücher «Die Diamantstrasse» gingen ihren Weg. Bis heute erhält Christine Flückiger-Gneist Zuschriften von verloren geglaubten Bekannten und vom gleichen Schicksal Betroffenen.
Der Roman wurde vom Fouqué-Literaturverlag in Frankfurt herausgegeben. ISBN 3-86548-211/2