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Der Grenchner Künstler und Architekt René Walter ist international vernetzt – auch ohne PC.
Einst stand René Walter mit Frankreichs Ministern auf vertrautem Fuss. Er kreierte Wahlkampagnen und war dabei selbst nicht Politiker. Nachdem sein Weg ihn fast in jede Ecke der Welt geführt hat, ist er vor sieben Jahren heimgekehrt. Er denkt in mathematischen Strukturen und schafft damit Schönheit. Zu Besuch beim kleinen Mann mit dem grossen Lebenswerk und der ungebrochenen Schaffenskraft.
«Ich bin Stadtmensch. Ich will sein, wo das Leben herrscht und pulsiert. Und ich brauche den Kontakt zu jungen Künstlern, um mich auf dem Laufenden zu halten.» Von Grenchen aus pflegt René Walter Beziehungen in halb Europa. Regelmässigen Austausch pflegt er mit Kunstakademien sowie der EPFL in Lausanne, wo er sich mit angehenden Architekten unterhält.
Heimgekehrt ist der Kosmopolit nach dem Tod seiner Frau, weil sich in Grenchen nachbarschaftliche Beziehungen mit weniger Aufwand pflegen lassen als in einer Grossstadt. «Ich habe keinen Computer, sondern rede mit den Leuten am Telefon oder klingle auf einen Schwatz», sagt er mit charmantem Lächeln. «Und wissen Sie, was? Die Leute wissen das zu schätzen.» Die Früchte dieser Strategie waren offene Türen. «Mein Schaffen hat immer für mich gesprochen, und so komme ich zu meinen Aufträgen.»
So fanden René Walters Werke den Weg nach Übersee. Auftraggeber reisten von weit her zu ihm nach Paris oder Lausanne. Er will seinem Publikum Freude vermitteln und benutzt dazu kräftige Farben. Dabei arbeitet er sowohl auf Auftrag – zuletzt für eine Laserdruck-Grafik für das Sonderpädagogische Zentrum Bachtelen – als auch aus eigenem Antrieb. Sein Atelier hatte er immer zu Hause. Früher war das auf Wunsch seiner Frau, die so an seiner Arbeit teilhatte.
Wie jeder Mensch musste auch er gelegentlich Lehrgeld zahlen. So zum Beispiel, als er Designentwürfe gutgläubig bei einer Uhrenfirma zur Begutachtung zurückliess – und schliesslich einige seiner Muster in einer neuen Kollektion entdeckte. Ohne seine Zustimmung, geschweige denn ein Honorar. «Das gehört halt zum Leben. Ich war naiv. Heute würde mir das nicht mehr passieren.»
Ans Aufhören denkt René Walter nicht im Traum. «Ohne Kunst gibt es für mich kein Leben.» Nur die Arbeit als ausführender Architekt hat er an den Nagel gehängt, nachdem er zuletzt in Belfort im Jahr 2000 eine Villa zu einem Museum umgebaut hatte. Dieses beherbergt heute die Fondation Kahnweiler.
Kunst hat für René Walter oft eine dreidimensionale Komponente. Davon legen zum Beispiel die aufwendigen Mobilés aus farbigem Plexiglas Zeugnis ab, die er in Zusammenarbeit mit der Firma Mecaplex realisiert hat.
Aus René Walters dunklen Augen sprüht die Lebensfreude Funken. Jeder Funke steht entweder für eine künstlerische Idee oder für eine Erinnerung. Für das Gespräch ist das zwar herausfordernd. Doch da er sogar seiner Malerei geometrische Präzision zugrunde legt, erkennt auch der Laie das immense Fachwissen, das Walters Werk untermauert. Dieser ist überzeugt, dass langfristiger Erfolg handwerkliches Können und die Beherrschung des Goldenen Schnittes sowie des Modulors (Proportionssystem von Le Corbusier) voraussetzt.
Übrigens arbeitete René Walter zum Beispiel beim Kirchenprojekt Firminy Seite an Seite mit dem Corbusier-Vertrauten José Oubrerie. Ebenso wie René Walter die mathematischen Grundsätze aus seiner Lehre in Ehren hält, so hat er den Kontakt zur Grenchner Heimat nie abreissen lassen. Mit Mitgliedern von Kunstverein und Kulturkommission und ganz besonders mit Toni Brechbühl sind Freundschaften entstanden. Damit fanden Werke junger Grenchner Künstler den Weg nach Paris, und René Walters Malerei wurde in der Galerie Brechbühl gezeigt.
«Als Künstler in Paris ist man politisch automatisch dem linken Flügel zugeordnet. Doch ich hätte mir nie träumen lassen, dass mein Werk in dieser Weltstadt so bekannt wird, dass sogar Präsident Pompidou sich dafür begeisterte», erinnert sich René Walter lachend.
Das ambitiöse Architekturprojekt eines Monumentalbaus für einen Radiosender – eine ganze Häuserzeile hätte im Herzen von Paris dafür abgebrochen werden sollen – hat sich durch den Tod von Pompidou zwar nicht realisieren lassen, doch dank der prominenten Freundschaft war der Grenchner spätestens danach, Mitte der 70er-Jahre, ein gemachter Mann.
Den Grundstein zu seiner Reputation als Konkreter Künstler legte René Walter, heute 75-jährig, in der Lehre. Aufgewachsen in der Uhrenstadt als Sohn des Metallarbeiter-Gewerkschaftssekretärs, lernte er im Architekturbüro von Hans Dietziker (Coop-City- Hochhaus, Haldenschulhaus) Hochbauzeichner. Sein Lehrmeister und der Grenchner Kunstsammler und Mäzen, Hans Liechti, haben ihm den Weg geebnet.
So kam er schon vor dem Lehrabschluss in Kontakt mit einflussreichen Vorbildern und Prestigeprojekten. In Paris bildete René Walter sich an der École des Beaux-Arts zum Architekten weiter. Seine Arbeit als selbstständiger Architekt und Maler führte ihn unter anderem nach Österreich, Monaco, Brasilien und Dschibuti.
25 Jahre, nachdem er Grenchen verlassen hatte, liess er sich in Lausanne nieder. Sein Ziel: Architektur und Malerei vereinen. So schuf er in seinen Bauten immer zugleich den idealen Rahmen für die künstlerische Ausgestaltung. Seine letzte Station als beratender Architekt war Berlin. 1974 heiratete René Walter die Pariser Anwältin Claudine Charlemagne. Die Ehe blieb kinderlos. Nach ihrem Tod 2012 kehrte er in seine Heimatstadt zurück. Seine Wohnung an der Ruffinistrasse, in einem «sehr gut durchdachten 60er-Jahre-Block», wie er sagt, beherbergt sein Atelier und Archiv. Letzteres dokumentiert in mehreren Dutzend Laufmetern sein künstlerisches Werk fast lückenlos.