Grenchen
Nun müssen die Bäume im Haldenquartier doch gestutzt werden

Bis Ende Oktober müssen im Grenchner Haldenquartier, wo auch Stadtpräsident Boris Banga und seine Frau Barbara wohnen, rund 50 Bäume gestutzt oder gefällt werden. Dies, damit eine Vorschrift aus dem Jahr 1978 durchgesetzt wird.

Oliver Menge
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Trauriges Bild für die Einen, erfreuliches Bild für die Anderen. Im Haldenquarter werden in diesen Tagen und Wochen mehrere Bäume gefällt oder auf Höhe der Dächer gestutzt. Damit wird nun eine Sonderbauvorschrift aus dem Jahr 1978 durchgesetzt, die damals der Lage des Quartiers mit einem einzigartigen Ausblick auf die Alpen und dementsprechend höheren Grundstückspreisen Rechnung trug. Man wollte jedem potenziellen Einfamilienhaus-Erbauer diesen Ausblick gewährleisten.

Es geht nicht nur um einzelne Bäume - rund 50 Stück, im ganzen Quartier verteilt, müssen dran glauben. Auch solche, welche keinem anderen Liegenschaftsbesitzer einen Ausblick auf irgendetwas versperren. Einer der Betroffenen ist Bruno Wälti: Seine elf Fichten und die eine Föhre werden in zwei Wochen durch die Bürgergemeinde gefällt. Sein nördlicher Nachbar ist noch schlechter dran: Ganze 13 Bäume müssen weg. «Als wir vor 21 Jahren das Haus gekauft haben, wussten wir nichts von dieser Sondervorschrift, die nur in diesem Quartier gilt», sagt Wälti.

Vorschrift: Wegen Nachbarschaftsstreit hervorgeholt

Fast 30 Jahre lang war es nicht nötig gewesen, die im Haupttext beschriebene Sonderbauvorschrift zu bemühen, man regelte die Dinge im Haldenquartier nachbarschaftlich. Bis der Streit zwischen dem Ehepaar Boris und Barbara Banga und deren Nachbarn Urs und Elsbeth Furigo das Thema vor zwei Jahren wieder aufs Tapet brachte (wir berichteten mehrfach). Es gab nun auch andere Quartierbewohner, die sich nicht an die Verordnung halten wollten, Widerstand regte sich. Die Bäume waren in den 30 Jahren gewachsen, viele über die vorgeschriebene Höhe hinaus. Manche Liegenschaftsbesitzer hielten sich von Anfang an die Vorschrift und stutzten ihre Bäume immer wieder auf die vorgeschriebene Höhe, andere nicht. Viele von denen, welche sich immer «ans Gesetz hielten», waren der Meinung, auch die anderen müssten das Ihre tun.

Diese wiederum stellten sich auf den Standpunkt, dass man die gewachsenen Bäume nicht einfach köpfen oder entfernen soll, die Erhaltung der Natur sei wichtiger, als der ungetrübte Blick auf die Alpen. Andere fanden, wenn sie dazu gezwungen würden, ihre zu hohen Bäume zu fällen, um die Sonderbauvorschrift einzuhalten, dann müsse das gefälligst für alle im Quartier gelten. Appelle an die Vernunft seitens der Baudirektion fruchteten wenig, das Quartier war gespalten. Ein Vorstoss im Gemeinderat im November 2010 verlangte, die Sonderbauvorschrift aufzuheben oder zumindest zu entschärfen. Doch der Gemeinderat entschied damals deutlich mit 13 zu einer Stimme, die Vorschrift beizubehalten. Begründet wurde der Entscheid insofern, als dass die Liegenschaftsbesitzer schon seit 30 Jahren von der Sonderbauvorschrift gewusst hätten und es rechtzeitig hätten vermeiden können, dass es zu den jetzt durchgesetzten Massnahmen kommt. (om)

Die Bäume seien schon da gewesen. Er habe erst davon erfahren, als vor einiger Zeit das «Gschtürm» losging (siehe Kasten). In der Folge sei er mit seinen unmittelbaren Nachbarn zusammengekommen. Sie hätten sich gegenseitig schriftlich bestätigt, dass die Bäume in ihren Gärten keinen der anderen stören. «Nun muss sogar der zuoberst seine Bäume fällen, die keinem die Aussicht verdecken, weil ja keiner hinter ihm wohnt».

Vergebens Appelle an die Vernunft

Die Gemeinde habe sich sehr anständig benommen, sagt Wälti. Denn man habe immer das Gespräch mit den Grundeigentümern gesucht und diese auf «problematische» Bäume aufmerksam gemacht. Stadtbaumeister Claude Barbey und seine Leute von der Baudirektion hatten Kompromissvorschläge gemacht und nach vernünftigen Lösungen gesucht. Aber nicht nur der Streit zwischen dem Stadtpräsidenten-Ehepaar mit ihrem unmittelbaren Nachbarn habe die Sache schwierig gemacht: «Einzelne im Quartier wollten ihr eigenes Süppchen kochen». Weiter unten im Quartier gebe es Liegenschaftsbesitzer, die über 30 Meter hohe Tannen im Garten stehen hätten.

Diese haben sich laut Wälti geweigert, diese zu fällen, falls die Vorschrift nicht für alle im Quartier gelte und auch durchgesetzt werde. «Die Situation war dermassen ‹vercharret›, dass man zu keiner vernünftigen Lösung mehr kam.» Dazu kam, dass aus der ganzen Sache ein Politikum gemacht wurde: Ein Vorstoss wurde eingereicht, man wollte den Gemeinderat dazu bringen, die Vorschrift abzuschaffen oder zumindest abzuschwächen. Manche Kreise packten die Gelegenheit beim Schopf, dem Stadtpräsidenten, der selber Betroffener ist, eins auszuwischen, vermutet Wälti. «Von den Gemeinderäten, die sich dann gegen eine Abschaffung aussprachen, hat sich keiner die Situation vor Ort angeschaut und gesehen, dass diese Bäume doch zum Quartier gehören und hierhin passen. Nur einer war hier und hat sich informiert». Stadtpräsident Banga war bei der fraglichen Abstimmung in den Ausstand getreten.

Vorschriften gelten für alle

Umgesetzt hätte das Ganze eigentlich schon letztes Jahr werden müssen. Laut Adrian Cslovjecsek, dem Leiter des Bauinspektorats, wurde dies durch Reklamationen und mögliche Einsprachen verunmöglicht und das Verfahren sistiert. Diesen Frühling erhielten nun alle Betroffenen eine Verfügung der Baudirektion, wonach sie die Bäume bis Ende Oktober zu fällen oder zurückzustutzen haben. «Die Vorschriften gelten innerhalb des ganzen Perimeters, und zwar für jeden», sagt Cslovjecsek. «Man wird ja auch gebüsst, wenn man über eine rote Ampel fährt. Auch wenn das vielleicht niemanden stört oder behindert, verstösst es gegen das Gesetz», sagt er. Im Widerhandlungsfall, also wenn ein Grundbesitzer der Verfügung nicht nachkomme, werde die Sache ans Oberamt weitergeleitet, welches die Massnahme dann umsetze. «Das könnte dann etwas teurer werden, als wenn man jemanden privat mit dem Baumfällen beauftragt».

Bruno Wältis Fichten haben noch zwei Wochen zu leben. «Vor allem meine Frau ist traurig darüber. Denn wir haben unsere Bäume immer gepflegt und haben Freude an den Vögeln, die darin wohnen.