Hans Brechbühl, der Leuziger Dorfschmied, feiert heute Dienstag seinen runden Geburtstag. Seit 1943 führt er die Schmitte.
Mitten im Dorf zieren geschmiedete Figuren den Vorgarten eines alten Bauernhauses. Eine Mischung aus Kunsthandwerk und Gebrauchsgegenständen oder die witzige Kombination von beidem. Sie begleiten den Besucher mit ihren metallenen Augen auf dem Weg zur Schmiede hinten im Hof. Drinnen riecht es nach Rauch, Öl und Russ, das Licht ist düster, man erkennt einen Amboss, eine Presse, unter einem riesigen Abzug die Esse, zahlreiche Werkzeuge, um das Eisen zu bearbeiten, und unzählige Metallteile in den verschiedensten Grössen und Formen liegen herum oder hängen an der Wand oder der Decke.
Auf den ersten Blick ein Durcheinander, auf den zweiten Blick erkennt man, dass alles seinen Platz hat. Hinten in der Ecke steht Hans Brechbühl in einer blauen Schürze vor der Esse und entfacht das Feuer. Schon bald lodert eine kleine Flamme und der Schmied wirft eine Handvoll Kohle darauf.
Dann schaltet er das elektrische Gebläse ein, die vorher noch fröhlich züngelnden Flammen werden hell und die Hitze ist spürbar. Brechbühl, der sich eine Lederschürze umgebunden hat, schiebt ein Stück Eisen in die weisse Glut. Schon nach wenigen Minuten zieht er es mit hellorange-glühender Spitze heraus, um es auf dem Amboss zu bearbeiten.
Der drahtige Mann mit festem Händedruck und wachen Augen, der heute ein ganzes Jahrhundert alt wird, schwingt den Hammer und lässt ihn wieder und wieder auf das glühende Teil niedersausen. «Früher hatte ich noch schwerere Hämmer als diesen hier», sagt er und legt das noch glühende Stück beiseite. Denn schliesslich war dies nur die Einlage für den Fotografen. «Aber für 100 ist das doch nicht schlecht, oder?», meint er lachend.
Seit 116 Jahren in Familienbesitz
Im Jahr 1900 hatte Brechbühls Grossvater die Schmitte in Leuzigen übernommen. Er stellte in erster Linie Pflugscharen und Kartoffelpflüge für die Bauern in der Umgebung her. Sein Sohn Johann trat in seine Fussstapfen, als Huf-, Pflug- und Wagenschmied. Bei ihm erlernte Hans Brechbühl das Schmiedehandwerk. «Es waren schwierige Zeiten damals in den 30er-Jahren. Dank des Bauernbetriebs, den wir auch führten, konnten wir einigermassen gut überleben, aber ich musste viel auf dem Hof arbeiten.»
1943 trat Hans die Nachfolge seines Vaters als Dorfschmied an. Im Militärdienst war er bei den Innerschweizern als Hufschmied tätig. «Ich habe manchen Nagel für den Bund eingeschlagen», sagt Brechbühl mit einem Schmunzeln. 60 Jahre lang habe er auch vor seiner Schmiede Pferde beschlagen. «Mit 80 habe ich damit aufgehört. Das Unfallrisiko ist einfach zu gross, wenn man mit Pferden arbeitet.» Heute dienen ihm die Hufeisen nur noch als Ausgangsmaterial für seine kunsthandwerklichen Arbeiten.
Zeit seines Lebens war Brechbühl ein vielseitiger Mensch und Tüftler: Er half bei Häni in Arch im Maschinenbau aus, war Händler, Verkäufer, arbeitete in den verschiedensten Sparten und immer wieder als Schmied. Vor bald 60 Jahren erlernte er das kunsthandwerkliche Schmieden. Daneben schärfte und revidierte er Werkzeuge aller Art, wie beispielsweise Spitzeisen für den Bau. Das tut er noch heute, wenn er entsprechende Aufträge erhält. «Es sind immer weniger geworden in den letzten Jahren, aber doch bekomme ich ab und zu Spitzeisen, sogar aus dem Jura.»
Und diese zu bearbeiten, erfordere Wissen und Geschick. «Nach dem Bearbeiten des heissen Eisens wird es mit der Spitze in Tierfett gestellt. Das nimmt ihm die Spannung. Denn schliesslich soll die Spitze gehärtet werden, nicht aber der hintere Teil. Der muss elastisch bleiben, sonst zerspringt das Werkzeug.» Auch der Härtevorgang ist eine Wissenschaft für sich.
Fokus auf die Kunst
Seit etwa 20 Jahren fokussiert sich Brechbühl aufs Kunsthandwerk. Aus Werkzeugen und Eisenteilen formt er Figuren, Vögel, Katzen und andere fantasievolle Gestalten. Aber auch Gebrauchsgegenstände werden kunstvoll verziert: Briefhalter, Kerzenständer, Garderobenhaken und vieles mehr. Dazu Figuren, die an Wiggli, Giacometti und andere berühmte Eisenplastiker erinnern, stilisierte Menschen oder ungegenständliche Figuren. Just vor zwei Wochen hat er einen Grossteil seiner Figuren ausgestellt und zu einem guten Teil verkauft – zu unsagbar günstigen Preisen. «Es geht mir nicht darum, viel Geld zu verdienen, sondern darum, Freude zu bereiten.»
Sein Wissen übers Kunsthandwerk gibt Brechbühl weiter. Der Sportlehrer Peter Luterbacher erlerne jeweils am Samstag das Handwerk bei ihm und möchte den Enkel Brechbühls dazu bringen, die Schmitte weiterzuführen, sagt der Schmied. «Wenn ich einmal nicht mehr bin, könnte man hier ein Museum einrichten, mit einer funktionierenden Schmiedewerkstatt, in der immer noch gearbeitet und Kunst geschmiedet wird.»
Vor 17 Jahren verlor Brechbühl seine Frau. «Eine harte Zeit. Aber ich habe eine gute Nachbarschaft und Familie, die sich um mich kümmert.» Und gesundheitlich gehe es ihm ja gut. Zwar habe er vor zwei Jahren aufgehört, in der Männerriege zu turnen, deren Gründungsmitglied er ist.
Aber Bewegung sei halt schon wichtig, geistig wie körperlich. «Man muss aber auch in Kauf nehmen, dass nach und nach alle im selben Alter sterben, wenn man so alt wird. Ich habe schon lange keine Klassenzusammenkunft mehr erlebt», sagt der Vater zweier Töchter, fünffache Grossvater und sechsfache Urgrossvater.
Gratulationen aus Übersee
«Sogar aus Kanada und Irland hat man mir schon gratuliert», sagt Hans Brechbühl, und zeigt die Grusskarten, die er zu seinem 100. Geburtstag aus Übersee erhalten hat. Ein ausgewanderter Bauernsohn aus Leuzigen hat ihm geschrieben, mit dessen Leuziger Vater – auch schon 91 – Brechbühl immer noch regen Kontakt pflegt. Dafür danke er ihm besonders, heisst es im Schreiben, und der Salontisch, den ihm Brechbühl aus einem Wagenrad geschmiedet habe, ziere noch immer seine gute Stube in Kanada.
Auf die Frage, was das Geheimnis seines hohen Alters sei, und dass er noch so gut «zwäg» sei, sagt Brechbühl: «Man darf nie vergessen zu atmen. Und eine positive Einstellung zu haben. Ich habe Freude daran, zu arbeiten und Wünsche zu erfüllen, so geht die Zeit vorbei und ich bleibe beweglich.»