Grenchen
Neuer Macher setzt zum Überholmanöver an

Den 69-jährigen Andy Rihs und den 38-jährigen Thomas Binggeli trennen zwar Jahrzehnte, eines haben sie aber gemeinsam: Beide sind sie Velo-Enthusiasten und gehören zu den motiviertesten Veloproduzenten des Landes.

Patrick Furrer
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Beim Alten bleibt hier sicher nichts: die vollautomatische Produktionsanlage in Grenchen. Oliver Menge

Beim Alten bleibt hier sicher nichts: die vollautomatische Produktionsanlage in Grenchen. Oliver Menge

Seit Ende 2011 arbeiten sie zusammen: Rihs hat seine Marken BMC (Siegerteam Tour de France 2011) und Bergamont (Hamburg) mit dem erfolgreichen E-Bike Stromer von Thomas Binggeli unter dem gemeinsamen Dach der ISH International Sport Holding vereint. Binggeli übernimmt den Platz von Mike Hürlimann und wird neuer Geschäftsführer, beteiligt sich zudem mit 30 Prozent an der ISH.

Das Ziel des schweizweit beachteten Schulterschlusses ist klar: Die ISH will ihre Position auf dem internationalen Markt stärken. Eine Herkulesaufgabe für den neuen Geschäftsführer. Innert weniger Jahre soll Binggeli den heutigen Jahresumsatz der ISH verdoppeln. Kein Ding der Unmöglichkeit – Thomas Binggeli ist der Erfinder und Gründer der Mountainbikemarke «Thömus» – ein unermüdlicher, heimatverbundener und innovativer Machertyp, der 2006 zum Jungunternehmer des Jahres gekürt wurde.

«Anforderungen klar unterschätzt»

Deshalb wird jetzt viel passieren, wie Thomas Binggeli auf Anfrage erklärt. Seit zwei Monaten werde intensiv an der neuen Strategie gefeilt. «Meine Aufgabe ist es zu entscheiden, wie wir die neu formierte Gruppe mit Stromer, BMC und Bergamont künftig aufstellen. Wir werden unsere Geschäftsstrategie anpassen.» Sicher ist: Binggeli muss massive Anstrengungen unternehmen, um den Zielvorgaben gerecht werden zu können; er muss optimieren, Synergien ausschöpfen, Neues ausprobieren.

Davon betroffen ist mit Sicherheit auch der Standort Grenchen. Andy Rihs hat diesen Standort immer bevorzugt. Dennoch wird einiges umgebaut. Denn gerade die vollautomatische Produktionsanlage an der Niklaus-Wengi-Strasse macht dem neuen Geschäftsführer Sorgen.

Im Sommer 2010 wurde die Rahmenproduktion für Karbonrahmen mit grossem Medienecho eröffnet. Der damalige BMC-CEO Mike Hürlimann kündigte an, bereits im September wolle man mit der Auslieferung der neuen «impec»-Bikes beginnen. Doch das Wunderkind kränkelte: Der Starttermin für die Auslieferung der ersten Karbonrahmen musste mehrmals verschoben werden, das ehrgeizige Projekt wurde zunehmend kritisiert. Jetzt endlich, fast eineinhalb Jahre später als angekündigt, kommen die ersten Bikes aus der Roboterfabrik in die Fachgeschäfte. Thomas Binggeli macht keinen Hehl daraus : «Die Anforderungen einer vollautomatischen Produktionsanlage wurden klar unterschätzt. Die Anlagen und die Prozesse einer Karbon-Produktion sind komplexer als angenommen, wenn man letztlich das Ziel hat, auf Formel-1-Niveau zu produzieren.» Es musste noch einmal stark investiert werden, um der Fabrik die Kinderkrankheiten auszumerzen.

Produktionsleistung noch zu tief

Jetzt werde seit rund sechs Wochen produziert und ausgeliefert. Noch laufe die Anlage nicht so, wie man es sich wünsche, erklärt Binggeli. Noch stimmen Leistungsfähigkeit und Rentabilität nicht. Zurzeit liegt der Output bei 60 Rahmen pro Woche, im Endausbau sollen es aber 25 000 pro Jahr und damit 480 Velorahmen pro Woche sein.

Was soll denn am Standort Grenchen passieren? Wird ausgebaut? Wird abgebaut? Bleibt die Fabrik überhaupt in der heutigen Form bestehen? «Dazu will und kann ich momentan öffentlich noch nichts sagen», erklärt Binggeli. «Erst werden die Mitarbeitenden der ISH-Gruppe über die weiteren Schritte in Kenntnis gesetzt werden», erklärt er vielsagend. «Grundsätzlich hinterfragen wir einfach alles. Ich glaube an den Standort Schweiz und an eine Fahrrad-Produktion in der Schweiz. Angesichts der enorm starken asiatischen Konkurrenz muss aber alles stimmen.» Eine Ankündigung, die fast nach einem Neustart klingt. Ein Neustart, der sowohl in Grenchen, wie auch in einer anderen Gemeinde erfolgen könnte.

In Grenchen oder anderswo?

Fakt ist: Die BMC hat in der Industriezone oberhalb der Firma Mahle ein Landstück reserviert, um dort im Falle eines Wachstums oder vorgesehenen Ausbaus eventuell einen Neubau zu realisieren. Laut Stadtbaumeister Claude Barbey wurde diese vertragliche Landsicherung sogar vor kurzem erneuert. Gut möglich also, dass Thomas Binggeli und Andy Rihs konkrete Pläne mit dem Land haben oder solche zumindest prüfen. Denkbar wäre Insidern gemäss auch, dass die vollautomatische Velofabrik an der Niklaus-Wengi-Strasse an die Riedernstrasse versetzt würde, wofür auch die Tatsache spricht, dass sich die BMC in ihrem gegenwärtigen Fabrikationsgebäude nur eingemietet hat; die Liegenschaft ist Eigentum der Stadt Grenchen.

Vielleicht wird also doch aus- und neu gebaut in Grenchen? Oder aber, Binggeli schliesst die Produktionen in Oberwangen zusammen. Denn auch dort hat der 38-jährige Unternehmer eine neue Fabrik geplant. Noch werden die Spekulationen nicht bestätigt. Ende Februar soll die Öffentlichkeit informiert werden.