Um- und Neubau
Neue Eigentümer der Estima AG investieren in einen Neustart

Die neuen Eigentümer der traditionsreichen, 1924 gegründeten Uhrzeigerherstellerin Estima AG in Grenchen investieren in einen Neustart – nachdem die Firma einige Verluste hinnehmen musste.

Franz Schaible
Drucken
Bereit für den Neustart: Marc Bernhardt zeigt, wie und wo in die Infrastruktur der Uhrzeigerherstellerin Estima investiert wird.

Bereit für den Neustart: Marc Bernhardt zeigt, wie und wo in die Infrastruktur der Uhrzeigerherstellerin Estima investiert wird.

ZVG

Es wird gebohrt, gehämmert, Handwerker ziehen elektrische Leitungen ein, versetzen und streichen Wände, setzen neue Fenster: Kurz, das Nebengebäude der traditionsreichen Grenchner Estima AG gleicht derzeit eher einer Baustelle als einem Produktionsbetrieb für Uhrzeiger. Hintergrund ist die Übernahme der 1924 gegründeten Firma durch das indische Unternehmen KDDL auf Anfang 2019. Die neuen Besitzer planen mit der Estima einen Neustart, wie Marc Bernhardt, kaufmännischer Direktor, auf dem Rundgang erklärt.

Estima geniesse zwar in der Branche einen guten Ruf, habe eine wertvolle Produktionsinfrastruktur und sei der führende Lieferant für Schweizer Marken im mittleren Preissegment gewesen, heisst es im damaligen Communiqué der KDDL zur Übernahme. Estima habe in den letzten zehn Jahren aber mit dem sich verändernden Marktumfeld nicht mithalten können. Umsatz und Marktanteile seien gesunken, die Verluste gestiegen. Der aktuelle Umsatz wird mit 1,8 bis 2 Millionen Franken angegeben. Vor wenigen Jahren zählte die Firma nach damaligen Angaben rund 45 Angestellte, aktuell sind es noch 16 Mitarbeitende.

Millionen für die Infrastruktur

Über die Vergangenheit will Bernhardt nicht viele Worte verlieren, es gelte nun, nach vorne zu schauen. «Die KDDL ist kein Finanzinvestor, sondern ein Produzent von Uhrzeigern und Zifferblättern in Indien. Das Unternehmen ist langfristig ausgerichtet.» Man sei überzeugt, dass es in der Schweiz durchaus einen Markt für einen unabhängigen Hersteller gibt, welcher die Zeiger unter dem Swiss-Made-Label fertige.

Über die nächsten 18 Monate investieren die neuen Besitzer über 2 Millionen Franken in den Umbau und in neue Produktionsanlagen, wie Bernhardt erläutert. Insbesondere wird eine komplett neue Galvanik-Anlage zur Oberflächenbehandlung der Zeiger - vom Vergolden bis hin zum Brünieren – installiert. In diesem Bereich habe zuletzt die Qualität gefehlt. Ebenfalls werde, um die hohen Anforderungen zu erfüllen, auch die Qualitätssicherung mit der Beschaffung von Röntgenmaschinen und einer Klimakammer ergänzt und modernisiert.

Zudem werde demnächst eine zweite hochmoderne Diamantierfräse installiert. Darauf werden die Zeiger mit diamantbesetzten Werkzeugen hauchdünn abgefräst, um eine hochglänzende Oberfläche zu erhalten. Im Hauptgebäude angesiedelt bleibt die eigentliche Herstellung der Zeiger. Zig Maschinen rattern um die Wette und Stanzen die Zeiger aus Messing, Kupfer, Eisen und Stahl in verschiedensten Formen aus den Metallbändern aus. Die Stanzwerkzeuge werden alle im Hause gefertigt. «Das Hauptgebäude wird in einem zweiten Investitionsschritt modernisiert», blickt Bernhardt nach vorne.

Vorsichtig budgetiert

Für das laufende Jahr hat das Unternehmen ein Umsatzplus von rund zehn Prozent budgetiert. Konkrete Zahlen werden nicht genannt, nur so viel: Jährlich werden mehrere Millionen Uhrzeiger gefertigt. «Wir bleiben vorsichtig, planen aber ein stetiges und nachhaltiges Wachstum», so Bernhardt. Er leitet das Unternehmen zusammen mit Marcel Giger, der die Firma schon lange auf betrieblicher Ebene führt. Der 56-jährige Bernhardt wohnt in Biel, ist Betriebswirtschafter und seit 1995 in der Uhrenbranche aktiv. Unter anderem war er Verkaufschef bei der Nobelmarke IWC und war für die Solothurner Marke Mondaine in den USA tätig.

Hauptaufgabe sei es nun, neue Kunden zu finden. Dazu werde Estima erstmals seit längerem auch wieder an der Internationale Fachmesse für Zulieferer der Uhren- und Schmuckindustrie im Juni in Genf teilnehmen. «Damit wollen wir zeigen, dass die Estima wieder auf dem Markt zurück ist.» Erste Kontakte zu potenziellen Kunden seien sehr positiv verlaufen.

Vorerst kaum neue Arbeitsplätze

Estima sei zwar nicht in einem Wachstumsmarkt aktiv. Bernhardt ist aber überzeugt, dass es trotzdem Platz habe für die Grenchner Traditionsfirma. Die direkten Konkurrenten seien deutlich grösser, dafür sei Estima flexibel, könne rasch Muster erstellen, auch Kleinmengen fertigen und die nötige Qualität bieten. Ausgerichtet ist Estima auf das Uhren-Mittelpreissegment von 2000 bis 4000 Franken. Derzeit liegt der Exportanteil bei rund 15 Prozent. Die Erwartungen der Vorgänger über die positiven Auswirkungen der auf 2017 hin eingeführten gesetzlichen Swissness-Regelung, wonach 60 Prozent der Herstellkosten einer Uhr in der Schweiz anfallen müssen, seien zu hoch gewesen. «Aber der Trend hin zur Swissness kommt uns grundsätzlich entgegen.»

Vorerst werde der Neustart kaum zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Die Kostenstruktur sei ein Problem der Estima gewesen, der Personalbestand sei zu wenig angepasst worden. «Aktuell haben wir mit 16 Mitarbeitenden einen Kernbestand, um das Auftragsvolumen zu bewältigen.» Bernhardt schliesst aber nicht aus, dass bei gutem Geschäftsverlauf mittelfristig die Zahl der Mitarbeitenden wieder steigen werde. Und Grenchen soll ein Produktionsstandort bleiben. Ansonsten hätte KDDL nicht die gesamten Liegenschaften übernommen, so Bernhardt.

Uhrzeiger-Produzent

Die indische Unternehmen KDDL wurde 1983 als Familienunternehmen gegründet. Sie ist in zwei Bereichen aktiv. Gefertigt werden einerseits Uhrzeiger primär für den indischen Markt (Marktanteil 90 Prozent) und Zifferblätter. Andererseits betreibt das Unternehmen eine Einzelhandelskette für Uhren unter dem Namen Ethos. Verkauft werden in 45 Läden in Indien auch Schweizer Uhren.

Bereits vor dem Kauf der Estima war KDDL in der Schweiz präsent. Vor rund zehn Jahren wurde die Zifferblätter-Herstellerin Pylania in Grandval übernommen.
Das an der indischen Börse kotierte Unternehmen erwirtschaftet nach eigenen Angaben einen Umsatz von umgerechnet rund 90 Millionen Franken und beschäftigt 1500 Mitarbeitende. Die nun von KDDL übernommene, 1924 gegründete Estima war von Beginn an auf die Herstellung von Uhrzeigern spezialisiert. Mangels Nachfolgeregelung hat die Ostschweizer Unternehmerfamilie Looser das Traditionsunternehmen 2009 übernommen. Laut Angaben in der KDDL-Medienmitteilung zur Akquisition haben die Inder für die Grenchner Firma rund 400'000 Franken bezahlt. (FS)