Will Moutier zum Kanton Bern oder Kanton Jura gehören? Trotz einer engen Verkehrsanbindung zu Moutier sieht sich Grenchen bei der spannenden Abstimmung als Zaungast.
Geschäftlich sind die Firmen in Grenchen und Moutier als Lieferanten und Abnehmer eng verflochten. Auch personalseitig profitieren die Städte voneinander. Doch von der fieberhaften Spannung, die ennet dem Berg herrscht, ist in Grenchen nichts zu spüren. Ob Kanton Bern oder Kanton Jura, spielt diesseits des Tunnels keine Rolle. Nach Einschätzung des Industrie- und Handelsverbands Grenchen und Umgebung (IHVG) hat der Wirtschaftsstandort durch die Abstimmung nichts zu verlieren, und auf einen möglichen Gewinn im Fall des Kantonswechsels würde niemand wetten.
«Der Ausgang der Abstimmung am 18. Juni in Moutier hat auf Grenchen sehr wenig Auswirkung», ist IHVG-Präsident Erwin Fischer überzeugt. Stadtpräsident François Scheidegger teilt diese Auffassung. Teilweise habe das damit zu tun, dass sich die Zusammenarbeit zwischen den beiden Wirtschaftsstandorten mehrheitlich auf Geschäftsbeziehungen von Firmen beschränke, die voneinander unabhängig sind. Bei den KMU sind Erwin Fischer keine Grenchner Unternehmen bekannt, die Niederlassungen in Moutier haben. Entsprechend spielen Steuerfragen keine Rolle. Es sind Diskussionen um Steuerfüsse und Steuererträge, die im Wahlkampf bei Pro-Bernern wie auch bei Pro-Jurassiern für reichlich Zündstoff gesorgt haben (siehe Kasten).
Im Countdown vor der Abstimmung in Moutier sorgt eine falsche Angabe des Kantons Bern zu den Staatssteuern der Stadt Moutier für Irritation. Diesen Steuerertrag hatte die Finanzdirektion mit 14 Mio. Franken angegeben. In einem Communiqué vom 30. Mai berichtigte der Kanton die Zahl, die «aufgrund von Medienanfragen im März 2017 bekannt gegeben» worden sei und korrigierte den Steuerertrag auf 24 Mio. Franken. Kommuniziert hat die Finanzdirektion den strittigen Steuerertrag (14 Mio. Franken) der Redaktion dieser Zeitung allerdings bereits Mitte Januar. Zu diesem frühen Zeitpunkt war die Finanzdirektion offenbar noch nicht auf eine entsprechende Anfrage zu Moutier vorbereitet. So wies Yvonne von Kauffungen, Leiterin Kommunikation der Steuerverwaltung des Kantons Bern, am 12. Januar darauf hin, dass die Informatikabteilung mehrere Tage zur Beschaffung der gewünschten Steuerdaten benötige. Am 18. Januar vermeldete sie den Steuerertrag der Stadt Moutier folgendermassen per E-Mail: «Das Steuersubstrat der natürlichen und juristischen Personen der Stadt Moutier lag im Durchschnitt der letzten drei Jahre bei CHF 14,3 Mio.» Dies ausgehend von der letzten definitiven Veranlagung. (dd)
Anders sieht die Verflechtung beim Lokalmatador Eta SA aus. Die Swatch- Group-Tochter hat in Moutier zwei Produktionsstätten. Allerdings nicht nur dort, sondern auch im jurassischen Boncourt. Damit weiss die Teppichetage der Eta alles, was es fiskalisch im Fall eines Kantonswechsels zu wissen gibt und dürfte gegen Überraschungen gefeit sein. Eine Anfrage zur Einschätzung dieser Frage zum Jahresbeginn hatte in der Kommunikationsabteilung der Swatch Group jedenfalls beträchtliche Heiterkeit zur Folge, aber keine Antwort.
«Grossfirmen treffen innerhalb des gesetzlichen Rahmens üblicherweise Steuervereinbarungen mit den Standortgemeinden ihrer Produktionsstätten», sagt IHVG-Präsident Erwin Fischer. Wie der Kanton Bern die Fälle handhabt, in denen juristische Personen über Kantonsgrenzen hinweg zu besteuern sind, erklärt auf Anfrage Yvonne von Kauffungen, Leiterin Kommunikation der kantonalen Steuerverwaltung: «Der von der Unternehmung erzielte Gewinn wird auf die beteiligten Kantone (Sitzkanton und Betriebsstätte-Kantone) aufgeteilt. Jeder Kanton besteuert dann den ihm zugewiesenen Gewinn. Bei der Ermittlung der massgeblichen Quote der Kantone stehen verschiedene Methoden zur Verfügung. Bei der sog. direkten Methode wird auf die Ergebnisse der Betriebsbuchhaltungen abgestellt. In der Praxis wird aber meist die sog. ‹indirekte Methode› angewendet. Für die Ausscheidung des Gesamtgewinns wird dann auf Hilfsfaktoren abgestellt. Dazu zählen vor allem die Umsätze, die Honorare und die Erwerbsfaktoren (eingesetztes Kapital, Gehälter und Löhne).»
Zurück zur Moutier-Abstimmung in Grenchen: Selbst in Zeiten digitaler Vernetzung schaffen Berg- und Sprachgrenze im Norden Realitäten, die trennend wirken. Die Konsequenz davon: In vielen Belangen orientiert sich Grenchen nach Süden und Westen. Hier sieht der IHVG-Präsident Hindernisse, die die Entwicklung der ganzen Region hemmen: «Unsere Kantonsgrenze Bern-Solothurn schadet uns viel mehr als die Jura-Frage.» Ermutigende Ansätze sieht er in der Repla Grenchen-Büren. Diese will er pflegen und ausbauen.
Und wenn Moutier für den Wechsel stimmen und künftig am Ende des Tunnels ein neuer Nachbarkanton sitzen sollte? «Dann ist das ebenso wenig ein Grund zur Besorgnis wie das gegenteilige Ergebnis», finden Stadtpräsident François Scheidegger und IHVG-Präsident Erwin Fischer übereinstimmend. Wer sich mit dem Ergebnis nicht abfinden wolle, sei diesseits des Berges herzlich willkommen, ob juristische oder natürliche Person, ob Jura- oder Bern-Fan.