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Die Restauratorin Susanne Roth säubert die Grabbeigaben aus den frühmittelalterlichen Gräbern, welche im Februar zwischen Schützengasse und Schulstrasse in Grenchen entdeckt wurden.
Nur wer alle Details beachtet, kann später einmal grosse Schlüsse ziehen. Nach der Ausgrabung des frühmittelalterlichen Gräberfeldes zwischen Schützengasse und Schulstrasse ist jetzt die Restauratorin, Susanne Roth, am Werk. Mit Nadel, Pinsel, Skalpell und ein wenig Alkohol befreit sie die Objekte von der Erde.
Gegenwärtig gilt die Aufmerksamkeit einem handgrossen Klumpen. Aufgrund der Position im Grab, unter einem Schwertgriff und dank ihrer Erfahrung, weiss Susanne Roth, dass sie es mit einer Gürtelschnalle zu tun hat. «Reichhaltige Funde werden mit der Erde rundherum in Gips gegossen und als Block geborgen. Im Labor mache ich jetzt eine Minigrabung», erklärt sie. «Mini» ist fast eine Übertreibung. Eigentlich lassen sich die vorsichtigen Veränderungen an der mit Alkohol angefeuchteten sandigen Erde eher mit «mikro» umschreiben. Zudem blickt die Restauratorin bei der Arbeit stets durch das Binokular. Die Schichten, die sie abträgt, sind von blossem Auge kaum zu sehen.
Die Belohnung: Stofffasern
Abgesehen von Erfahrung, braucht diese Arbeit Geduld und Sorgfalt. Acht bis zehn Stunden wird es dauern, bis die Schnalle so weit ist, dass sie geröntgt, in einer Lösung aus Natriumsulfid von schädlichen Salzen befreit und die Oberfläche schliesslich mit dem Mikro-Sandstrahler freigelegt werden kann. Erst dann ist der Fund so weit, dass er ausgestellt werden kann. Knapp ein Drittel der Arbeit besteht in der Dokumentation der einzelnen Tätigkeiten: skizzieren, fotografieren und beschreiben.
Susanne Roth hat Verständnis für die Ratlosigkeit von Laien, die im Untergeschoss des Kantonsarchäologie-Gebäudes in Solothurn an ihren Tisch treten. «Als ich zum ersten Mal durch das Binokular einen Fund anschaute, sah ich ‹nur Bahnhof›. Alles braun oder grau, nirgends Konturen.» Inzwischen sieht sie winzige Unregelmässigkeiten auf einen Blick. So auch den Fund des Vormittags: zwei Fasern von Textilien. Ob es sich um Leinen oder Wolle handelt, lässt sich in dieser Phase der Arbeit nicht sagen.
Tipp-Ex und Grabräuber
«Häufig ist die Unterseite eines Objekts ergiebiger als die Oberseite. Denn trotz aller Sorgfalt bei der Grabung besteht die Gefahr, dass auf der Oberseite interessantes Material wegbröckelt.» Damit die beiden Seiten nicht verwechselt werden, markiert die Restauratorin die Oberseite für den Moment mit einigen Tupfern Tipp-Ex.
Susanne Roth arbeitet eng mit der Archäologin Mirjam Wullschleger zusammen. Diese leitet die Arbeit am Grenchner Gräberfeld. «Unser Ziel ist, mehr über die Menschen im Frühmittelalter zu erfahren, sodass wir die Funde ausstellen und der Öffentlichkeit ihre Geschichte erzählen können», erklärt Mirjam Wullschleger. Jedes Grab erzählt eine eigene Geschichte. So fand man beim Skelett eines Mannes das Becken zwischen den Rippen. Spätere Generationen hatten es offenbar auf sein Sax (Kurzschwert) und die Gürtelschnallen abgesehen. «Grabraub hat es zu allen Zeiten gegeben», sagt die Archäologin. «Besonders Metall war begehrt.»
Ganze Schulklassen am Werk
Eisen und Bronze komme bei den Grabbeigaben jener Zeit häufig vor. Gold sei hingegen selten anzutreffen. «Kulturell gesehen verlief der Röstigraben im Frühmittelalter östlich von Solothurn», erläutert Mirjam Wullschleger. «Die hier ansässigen Romanen waren mit den Grabbeigaben zurückhaltender als die Alemannen weiter im Osten.»
11 der 62 Gräber waren nach Aussage von Mirjam Wullschleger bei früheren Ausgrabungen zwischen 1823 und den 1940er-Jahren geöffnet worden. Teilweise seien ganze Schulklassen am Werk gewesen. «Wir waren erstaunt, wie viele Gräber von den Hobby-Archäologen unentdeckt blieben», sagt die Archäologin. Ein Glück für die moderne Archäologie, denn die neusten Entdeckungen bringen viele Details ans Licht.