Grenchen
Mit der Bahn in den Jura kam der Aufschwung

Mit einem Fackelzug wurde am 30. Oktober 1911 der Beginn der Arbeiten an der Moutier-Lengnau-Bahn (MLB) gefeiert. Heute, hundert Jahre später, sind Bautrupps der BLS jede Nacht daran, die Perrons beim Bahnhof Grenchen Nord zu erweitern.

Rainer W. Walter
Drucken
Diese Version des Grenchner Mösliviaduktes befindet sich in der Kunstsammlung der Stadt Thun. zvg

Diese Version des Grenchner Mösliviaduktes befindet sich in der Kunstsammlung der Stadt Thun. zvg

Solothurner Zeitung

Eigentlich heisst die 12,979 Kilometer lange Bahn zwischen Moutier und Lengnau «MLB» und bis vor wenigen Jahren wurde am Schalter des Bahnhofes Grenchen Nord ein bei Sammlern beliebter Stempel mit dem Schriftzug «Moutier-Lengnau-Bahn» verwendet.

Von jeher aber gehörte die MLB ins Netz der BLS. Für Grenchen war es klar, dass der Tunneldurchstich durch den Grenchenberg und damit die Öffnung des prosperierenden Wirtschaftsstandortes Grenchens in den Jura nur Vorteile bringen würde.

In der Planungsphase aber fanden heisse Diskussionen statt, wurden Abänderungsvorschläge auf den Tisch gelegt. Es war schliesslich Frankreich, das den Bau der MLB nicht nur mit guten Worten, sondern auch mit zehn Millionen Franken unterstützte. Frankreich erwartete von der MLB und deren Verbindung zum Lötschberg-Simplon bessere Nord-Süd-Möglichkeiten ausserhalb der Grenzen Deutschlands.

Wasserquellen angebohrt

Kurz zur Baugeschichte des 8,578 Kilometer langen Grenchenbergtunnels: Der Regierungsrat des Kantons Bern wünschte, dass auch die Tunnelstrecke doppelspurig erstellt werde. Allein, es fehlten die dazu notwendigen sieben bis acht Millionen Franken.

Vor Baubeginn wurde verlangt, dass die Bauzeit auf 46 Monate beschränkt bleibe. Tatsächlich wurde diese Vorgabe nur um wenige Tage überschritten, und am 1. Oktober 1915 verkehrte der erste Zug auf der Strecke zwischen Moutier und Lengnau.

Die Gesamtkosten beliefen sich schliesslich auf 25,718 Mio. Franken. Eine besondere Rolle während des Baus spielte die Siedlung der italienischen Arbeiter, das Tripoli. Dieser widmete des Kultur-Historische Museum Grenchen im Rahmen der «Grenchner Wohntage» 2003 eine Ausstellung, zu der eine Schrift erschien.

Für Grenchen war das Jahr 1913 besonders wichtig. Damals wurden die im Berg gefangenen Wassermassen angebohrt, und die Quellen der erst 10 Jahre alten Wasserversorgung versiegten gänzlich. In der Folge musste die BLS im Tunnel 20 Quellen fassen, und heute noch bezieht Grenchen das notwendige Trinkwasser zu einem grossen Teil aus den Fassungen im Grenchenbergtunnel.

Zwei Viadukte als Wahrzeichen

Weitherum sichtbar und bekanntest ist das 288,30 Meter lange Mösliviadukt, welches in einer Maximalhöhe von 18,30 Metern die Bielstrasse überspannt. Weniger auffällig präsentiert sich mitten in der Oberstadt das Oberdorfviadukt. Es misst 291,70 Meter und besitzt eine Maximalhöhe über Terrain von 15,5 Metern.

Die nicht ganz 13 Kilometer lange MLB, ihre beiden Viadukte und nicht zuletzt der Grenchenbergtunnel inspirierten Schriftsteller und Maler. Während des Ersten Weltkrieges leistete der Solothurner Künstler Otto Morach (1887–1973) Wachtdienst auf dem Mösliviadukt. Später befasste er sich in zwei Bildern mit den damaligen Eindrücken.

1978 erschien in Paris der Roman «Un amour à Grenchen-Nord» von Maurice Zermatten. 1979 erschien dieses Werk erstmals auch in deutscher Sprache. Und aus Gesprächen mit Friedrich Dürrenmatt erfuhr man, dass der Schriftsteller oft in Grenchen Nord auf einen Anschluss wartete und in der Folge eine Geschichte skizzierte, deren Einzelteile er später in andere Arbeiten einbaute.

Als die Bahn durch den Grenchenbergtunnel eröffnet wurde, begann erneut der wirtschaftliche Aufschwung Grenchens. Tagtäglich pendelten Frauen und Männer aus dem Jura auf der Tunnelstrecke nach Grenchen, wo sie in der Uhrenindustrie Arbeit und Verdienst fanden.

Vom kulturellen und gesellschaftlichen Austausch zwischen den Grenchnern und den Welsch-Jurassiern profitierten die beiden Partner, lernten sich kennen, schätzen und nicht selten lieben. «Un amour à Grenchen-Nord» eben.