Stadtbummel Solothurn
«Meitschibei» – alle liebten dasselbe Girl

Der heutige Stadtbummel dreht sich um Personen und Generationen, die sich zum Vor- oder Nachteil verändert haben.

Roger Rossier
Roger Rossier
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Vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan – so schnell kann es gehen.

Vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan – so schnell kann es gehen.

Theresia Boos

Bei «Meitschibei» denken Sie vermutlich an ein süsses, mit Haselnüssen hergestelltes Berner Gebäck, das zwar gut schmeckt, aber vom Aussehen her dem schönen Geschlecht nicht unbedingt schmeichelt. Ich verbinde dieses Wort mit einem Lied des neuen Chappeli-Tüfel-Preisträgers Kurt Gilomen und erinnere mich gleichzeitig an eiskalte Dezemberabende vor fast vierzig Jahren in Samedan.

Im vom Jugendhauskomitee organisierten Skilager traf man sich nach Nachtessen und Küchendienst im Gemeinschaftsraum. Ein Fernseher stand nicht zur Verfügung, Computer konnten sich nur Firmen leisten und Smartphones waren höchstens in den Jugendträumen von Steven Jobs vorhanden. Mangels Alternativen wurde bis spät in die Nacht diskutiert, gesungen und musiziert. Einer der wenigen, die Gitarre spielen konnten, war Kurt Gilomen. Der blonde Teenager überraschte alle mit seinen komponierten Mundartliedern. Zum absoluten Renner entwickelte sich «Meitschibei», das von Jungs erzählt, die alle in dasselbe Mädchen der Klasse verliebt waren. Jahre später sieht einer dieser Schüler die Klassenschönheit wieder und erschrickt, wie sie sich zu ihrem Nachteil verändert hatte.

«Meitschibei» hätte Potenzial zum Mundarthit gehabt. Eine ähnliche Geschichte, in umgekehrter Reihenfolge, besang Gölä Jahre später. Im Lied «Schwan» verwandelt sich das hässliche Entlein mit Spange im Gesicht in eine bildhübsche Frau. War dies das Geheimnis seines Erfolges?

Selber noch Teenager beeindruckten mich im erwähnten Skilager die von den «jungen Wilden aus Grenchen» geführten Diskussionen. Sie engagierten sich politisch auf verschiedene Ebenen und lösten nicht selten Kopfschütteln bei den Meinungsträgern der Uhrenstadt aus. Die Idee, man könne die Welt verbessern, faszinierte mich und weckte mein Interesse an der gesellschaftlichen Entwicklung.

Demographisch gehören die beschriebenen Skilager-Teilnehmer zur Babyboomer-Generation. Dazu zählen alle, die zwischen 1954 und 1969 geboren wurden. Es ist die Generation, die ohne digitale Welt erwachsen wurde. Und wo sind heute die rebellierenden Jungen geblieben, die wie die Babyboomer alles verändern wollten? Die Generation Y (Jahrgänge 1980–1995) hat andere Werte, setzt neue Prioritäten, denkt individueller. Auch in Grenchen, angefangen bei den politischen Behörden bis hin zu den Entscheidungsträgern in Banken, Unternehmen und Gewerbebetrieben, sitzen Babyboomer in den Schaltzentralen. Man darf auf die Entwicklung von Grenchen gespannt sein, wenn in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren die Generation Y das Ruder übernehmen wird.

Was kommt nachher? Seit Anfang Juli kann man mit Smartphones in der realen Welt gegen Pokémons kämpfen, sie jagen und tauschen. Eltern finden es gut, spielen ihre Kinder jetzt nicht nur vor dem PC, sondern auch unter freiem Himmel. Ob die Kids neben Pokémon realisieren, welchen Reichtum die reale Welt sonst zu bieten hat, ist eine andere Frage. Doch irgendwann wird die Pokémon-Generation die Geschicke unserer Stadt lenken. Hoffen wir, dass bis dahin alle Pokémons gefunden wurden. Oder wie klagte bereits Goethes Zauberlehrling: «Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los».