Literatur
Helle Nacht voll guter Menschen: Lesung mit Regula Portillo

Die Stadtbibliothek Grenchen bot die Kulisse für eine stimmungsvolle Lesung mit Talk mit der Solothurner Literaturpreisträgerin Regula Portillo, organisiert von der Literarischen Gesellschaft Grenchen.

Claudia Dahinden
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Die Autorin rechts im Bild im Gespräch mit Amira Hafner-Al Jabaji (links)

Die Autorin rechts im Bild im Gespräch mit Amira Hafner-Al Jabaji (links)

zvg

Die in Deitingen aufgewachsene, in Bern wohnhafte Autorin las in der Stadtbibliothek Grenchen aus ihrem 2020 erschienenen zweiten Roman «Andersland», für den sie die Literaturpreise der Kantone Bern (2020) und Solothurn (2021) erhielt.

In vier Buchsequenzen nimmt Portillo das Publikum mit in das Leben von Matilda, Tochter einer Mexikanerin und eines Schweizers, die bei ihrem alleinerziehenden Vater Pascal in einem Schweizer Dorf aufwächst.

Matildas Welt zerbricht

Aus den Augen Pascals tauchen wir in Matildas noch heile Welt ein: Es ist 1986, die Gespräche drehen sich um die Fussball-WM und um Matildas Lieblingskuchen, den «Unmöglichen Kuchen», oder wie sie ihn nennt, die «Helle Nacht», ein kulinarisches Produkt aus zwei Gegensätzen, die sich nicht verbinden und trotzdem – oder deswegen? – unwiderstehlich sind.

Dann zerbricht Matildas Welt, zu der auch ihr Onkel Tobias und dessen Partner Michael gehören, als ihr Vater stirbt und sie von der ihr fremden leiblichen Mutter nach Mexiko geholt wird. In Sequenzen aus den Augen von Tobias, von Matildas Mutter Lucia und zuletzt von Matilda als junge Erwachsene entführt uns Portillos einfühlsame Sprache in die Welt eines Mädchens, das bezüglich seiner Vergangenheit sowohl tatsächlich wie metaphorisch sprachlos wurde.

Matilda befindet zwischen zwei Welten, die sich wie ihr Kuchen nicht vermischen dürfen, und muss sich darum in ihrem Innern «Andersland» schaffen – einen Ort, an dem diese Welten koexistieren können. Damit zeichnet die Autorin die Erfahrungen einer Schulkollegin nach, die ebenfalls zu ihrer im Ausland lebenden Mutter ziehen musste.

Plädoyer für verschiedene Familienformen

Aus der Sicht des Tobias öffnet Portillo den Blick in die Ohnmacht und Wut eines Betroffenen über die Ungerechtigkeiten, unter denen Homosexuelle in den 1980er Jahren leben mussten; ein für Portillo wichtiges Plädoyer für verschiedene Familienformen und für die Gleichheit vor dem Gesetz.

Neben den Einblicken in das Leben der Protagonisten in ihren fremden, zum Teil feindlich anmutenden Welten stechen Portillos Charaktere heraus, die Schwächen haben, aber nie wirklich böse sind – ein erfrischender Zug, hinter dem Portillos positives Menschenbild steht.

So dankt Amira Hafner-Al Jabaji der Autorin nach einer spannenden Diskussion für den erbrachten Beweis, dass man mit Figuren, die alle das Gute wollen, sogar gute Literatur schreiben kann.