Ich habe das neue Jahr mit der Mammutaufgabe begonnen, mein Arbeitszimmer umzuräumen − ein Unternehmen der Grössenordnung «Ställe des Augias» mit dem freudigem Hintergrund, dass ich mich dieses Jahr fast vollzeitlich aufs Schreiben konzentrieren kann. Dafür habe ich mein Pult aus der Ecke herausgeholt und im Zentrum des Zimmers platziert; ins Licht des Dachfensters und mit Blick auf den Lengnauer Wald. «Raum geben» auf ganz praktische Art!
Das hat mir bewusst gemacht, wie viel unsere Wohngewohnheiten über unsere Prioritäten aussagen. Die einen haben einen grossen Fitnessraum, die anderen einen begehbaren Kleiderschrank, wieder andere (ich bekenne mich schuldig) ein bequemes Sofa und einen grossen Fernseher für den Netflixmarathon. Erst-Welt-Probleme natürlich: In anderen Regionen und Zeiten stell(t)en sich den Menschen solche Einrichtungsfragen kaum. Früher hatte man mehr Kinder, aber weniger Platz, und Lebensmittelpunkt war die Küche; oft der einzige beheizte Raum. Dennoch lässt sich auch an Räumlichkeiten früherer Zeiten einiges über die Lebensgewohnheiten ablesen: Unser Haus hatte früher ein «Herrenzimmer», in dem die Messieurs nach dem Essen geraucht und Schnaps getrunken haben. Was die Damen machten, ist nicht überliefert, und im neu entstandenen Wohnzimmer dürfen alle Platz nehmen.
Auch Städte demonstrieren seit je mit ihren Bauten, was den Menschen wichtig ist. Lange Zeit wurden die Kirchen am besten Platz gebaut und opulent ausgestattet, und im 19. Jahrhundert baute man prunkvolle Fabriken als sichtbare Speerspitzen des industriellen Fortschritts − in Grenchen zum Beispiel die Michel-Fabrik beim Nordbahnhof und noch früher die alte Schild-Fabrik am Märetplatz. Die industriellen Bauten prägen Grenchen noch heute, aber daneben demonstriert unsere Stadt, dass ihr auch andere Räume und Bedürfnisse wichtig sind. Spielplätze und Lindenhaus schaffen Raum für Kinder und Jugendliche, «Grenchen on Ice» unter dem Stadtdach lädt zum Spörteln ein, und ich freue mich schon auf den ersten Gang durch die Stadtbibliothek in der Alten Turnhalle, die dem geschriebenen Wort eine würdige neue Heimat verschafft.
Ich freue mich am Raum, den Grenchens Geschichte seit 20 Jahren im Kultur-Historischen Museum erhält, das im ersten Grenchner Schulhaus an der Absyte beheimatet ist. Und wenn wir schon in dieser Ecke sind, blicke ich gespannt auf den Umbau um die römisch-katholische Kirche, der einen direkteren Zugang zum sakralen Gebäude und zu seiner Umgebung ermöglichen soll. Jede Stadt hat es in der Hand, Raum zu geben und damit Weichen zu stellen und Zeichen zu setzen. Ich erfreue mich heute an all dem Guten, das in Grenchen Raum einnimmt und noch einnehmen wird!