Grenchen
Krise schürte bei Migranten Ängste um die Existenzgrundlage der Familie daheim

Grenchner Migranten kämpften in der Krise für die Unterstützung ihrer Angehörigen im Ausland. Das war schwierig, als die Möglichkeit zur Geldüberweisung gestoppt wurde.

Daniela Deck
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Alberta De Paiva bietet in ihrer Boutique an der Bielstrasse auch Geldtransfers an.

Alberta De Paiva bietet in ihrer Boutique an der Bielstrasse auch Geldtransfers an.

Oliver Menge

Der Bund hat die Geldüberweisung von Migranten in ihre Heimatländer zur unverzichtbaren Dienstleistung erklärt. Dies, nachdem der Dienst mitten in der Krise ausgerechnet unter dem Vorwand der Fairness abgewürgt worden war. Das bekamen unzählige Grenchner schmerzlich zu spüren. Betroffen war vom Unterbruch auch der Südbahnhof, dessen Westernunion-Dienstleistungen zwei Tage lang nicht erbracht werden durften.

Das Problem begann mit diesem Reflex: Wettbewerbsvorteile gewisser Gelddienstleister gegenüber anderen eliminieren. Bei den Überweisungen über die Grenze kam ein Mechanismus zum Tragen, der im Zusammenhang mit dem Verkauf von Pflanzen bei Grossverteilern Schlagzeilen gemacht hatte: Floristen und Gartencenter gingen Mitte März leer aus und erwirkten den allgemeinen Verkaufsstopp über den Ladentisch. Dieser Logik folgend, durften Bahnhöfe und Lebensmittelläden am Montag, 20. April, plötzlich keine Finanzdienstleistungen mehr anbieten.

Verkaufsstopp sehr schnell zurückgenommen

An einzelnen Orten, wie in Genf, erschien die Polizei, um der «Fairness» Geltung zu verschaffen. Auch in Grenchen mussten die Leute ihr Geld wieder mitnehmen. Doch Rimessen, wie die Rücküberweisungen in die Heimat im Fachjargon heissen, sind keine Blumen.

Zwei Tage brauchte der Bundesrat, um die Tragweite der Entscheidung zu überdenken und Rimessen in der zweiten Covid-19-Verordung als unverzichtbaren Dienst zu klassieren. Schon am 22. April konnten die Migranten ihre Verwandten daheim wieder unterstützen. Der Haken dabei: Manche Geschäfte, die Geldüberweisungen ins Ausland anbieten, sind in Segmenten tätig, die im Lockdown nicht zum Grundbedarf gerechnet wurden. Ihre Kundschaft musste zur Konkurrenz oder in andere Städte ausweichen. Mitte Mai hat die Schweiz das Bekenntnis zur Bedeutung der Rimessen in Absprache mit Grossbritannien bekräftigt, wie die Zeitung «Le Temps» schreibt. Denn das Verbot der Rücküberweisungen setzt gerade in Krisenzeiten Kettenreaktionen in Gang, die nicht im Sinn der «Geberländer» sind: Not in wenig entwickelten oder politisch instabilen Ländern, soziale Unruhen, die sich zu Bürgerkriegen auswachsen können, Fluchtbewegungen und damit mehr Migrationsdruck auf Europa.

Am Südbahnhof war Teamleiter Dani Hafner froh über das Machtwort des Bundes. «Ich staune über die Familiensolidarität in vielen Kulturen. Selbst wenn das eigene Einkommen kleiner wird und sie sich sehr einschränken müssen, unternehmen diese Leute alles, um der Familie daheim dieselbe Geldmenge zu schicken wie immer.»

Mitte März habe die Nachfrage, Geld ins Ausland zu schicken, merklich zugenommen. Um wie viel, kommunizieren die SBB nicht. Von einzelnen Personen habe Hafner gehört, dass es mit dem Geldabholen im Empfangsland aufgrund der Quarantänemassnahmen Probleme gegeben habe.

Offene und verschlossene Türen

Der Kiosk am Nordbahnhof überweist via Moneygram Geld ins Ausland. Nach Auskunft einer Angestellten, die anonym bleiben will, sei das Volumen in der Krise stabil geblieben. Mit Ängsten von Migranten um die Existenzgrundlage der Familie daheim sah sich Alberta De Paiva konfrontiert. Da sie die Überweisungen in ihrer Kleiderboutique Rosalba Fashion anbietet, standen die Kunden hier zwei Monate lang vor verschlossener Tür. «Ich habe unzählige Anrufe von Stammkunden erhalten, die mich eindringlich gebeten haben, die Überweisungen weiterhin zu machen», erzählt sie.

Keine Ausnahme für Geldüberweisungen

Entsprechend sei sie zur Polizei gegangen für eine Ausnahmebewilligung. «Die Polizei hat mich mit leeren Händen heimgeschickt. So habe ich meinen Kunden empfohlen, in die Ria-Firmenzentrale nach Biel zu gehen. Diese blieb geöffnet.» In dem Monat, seit die Boutique wieder offen ist, haben nach Aussage von De Paiva die Geldüberweisungen zugenommen.

Rücküberweisungen ins Heimatland sind nicht Sache der Kantone, sondern fallen in die Zuständigkeit des Bundes. Eine Reihe von Selbstregulierungsorganisationen wacht darüber, dass die Geldwäschereibestimmungen der Finma (Eidg. Finanzmarktaufsicht) eingehalten werden.

Ausländer in der Schweiz an der Spitze

Migranten, die in der Schweiz arbeiten und Schweizer mit ausländischen Wurzeln schicken oft Geld in ihre Heimat. Die so genannten Rimessen sparen sie sich zum Teil mühsam vom Mund ab. Die Schweiz als Goldesel belegt in der Rangliste den vierten Platz (hinter den USA, Saudiarabien und den Arabischen Emiraten). Gemessen an der Überweisung pro Kopf und Jahr stehen die Schweizer Migranten mit 11'000 US-Dollar sogar an der Spitze, so eine Schätzung der Weltbank 2013.

Übrigens profitieren nicht nur Länder wie Philippinen, Türkei, Kosovo und Brasilien von der Finanzspritze, sondern auch unsere direkten Nachbarländer. Auf geringem Niveau, aber mit hohen Zuwachsraten entwickeln sich gemäss Marktbeobachter Statista die Online-Rimessen. Bisher sind diese neben dem Bargeld ein Nischenprodukt. Online-Rimessen sind zwar für die Anwender deutlich günstiger als der Versand von Bargeld, setzen aber beim Empfänger eine korrespondierende Infrastruktur (E-Banking) voraus. Im laufenden Jahr rechnet Statista in der Schweiz mit gut 6,4 Mio. Euro, was einem Plus von über sieben Prozent entspricht.

Gemäss einem Beitrag im Blog der Migrosbank im Mai letztes Jahr sind «für viele Entwicklungsländer Rimessen inzwischen die wichtigste Devisenquelle». Seit dem Jahr 2000 soll sich das Volumen weltweit verdoppelt und im Jahr 2018 schon 689 Mia. Dollar betragen haben (aktuelle Schätzungen gehen von bis zu 1000 Mia. Dollar aus). Im Vergleich mit der internationalen Entwicklungshilfe, so der Blog, sei der Rimessenmarkt dreimal grösser.

Rimessen sind derzeit wichtiger denn je, da in den Heimatländern durch die Quarantänemassnahmen mancherorts die Verdienstmöglichkeiten im April und Mai weggebrochen sind und sich noch nicht erholt haben. In Grenchen mit einem Ausländeranteil von 37 Prozent ist das Geld eine wichtige Grösse. Mithilfe von Moneygram, Westernunion und Ria Money Transfer, aber auch via Bank und Post, verschicken allein die Grenchner jeden Monat hunderttausende Franken. Wie viel, ist nicht bekannt.

Erstens lassen sich die Dienstleister nicht in die Karten schauen und zweitens nimmt die Forschung an, dass ein Teil der Rimessen (in normalen Zeiten) von Vertrauenspersonen als Bargeld über die Grenze gebracht wird, um Gebühren zu sparen. Diese Gebühren können je nach Anbieter um den Faktor sieben variieren. Die Branche ist wenig transparent, kommen doch neben der erkennbaren Transfergebühr versteckte Aufschläge bei den Wechselkursen zum Tragen. Deshalb hat der Lausanner Vergleichsdienst Monito es sich zur Aufgabe gemacht, je nach Zielland, Betrag und Währung die günstigste Lösung zu berechnen. (dd)
www.monito.com