Grenchen
Islamwissenschaftlerin: «Reformdruck von aussen ist kontraproduktiv»

Die Islamwissenschafterin Amira Hafner referierte im Dachgeschoss des Grenchner Museums zu Reformation im Christentum und Islam.

Andreas Toggweiler
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Die Grenchner Islamwissenschafterin Amira Hafner anlässlich ihres Vortrags im Kulturhistorischen Museum.

Die Grenchner Islamwissenschafterin Amira Hafner anlässlich ihres Vortrags im Kulturhistorischen Museum.

Hanspeter Bärtschi

Zahlreich war das Publikum, das sich im Dachgeschoss des Grenchner Museums zu einem von Granges Mélanges organisierten Vortrag einfand. Präsidentin Elisabeth Egli konnte als Referentin Amira Hafner ankündigen. Die national bekannte Islamwissenschafterin, Publizistin und Fernsehmoderatorin war vor Jahren selber Gründungsmitglied des Vereins, der sich für Integrationsfragen in Grenchen engagiert.

Die Affiche von Hafners Vortrag lautete «Bewegt euch! – Reformation im Christentum und Islam». Allerdings machte Hafner schon relativ bald klar, dass die lauten Rufe in den westlichen Gesellschaften nach Reformation im Islam nicht das bewirken können, was sich der weitgehend säkularisierte Westen erhofft: zum Beispiel Frauen als Gottesdienstleiterinnen in Moscheen oder historisch-kritische Schriftauslegung des Korans. Im Gegenteil drohe bei vermehrtem äusseren Druck eher Verhärtung der Fronten und vermehrte Abgrenzung.

Veränderung von innen

«Wenn diese Rufe angesichts des Reformationsjubiläums lauter werden, muss man sich vergegenwärtigen, dass die Reformation eine Veränderung von innen war.» Hand in Hand mit der Renaissance, aber auch in der Rückbesinnung auf die Bibel, die durch die gleichzeitige Erfindung des Buchdrucks nun verbreitet und von jedermann gelesen und ausgelegt werden konnte, sei dies eine ganz andere Ausgangslage gewesen, als diejenige in islamischen Gesellschaften heute: «Die europäischen Verhältnisse im Spätmittelalter lassen sich nicht auf den Islam von heute übertragen.»

Als Reformationsbewegung verstehe man im Islam noch am ehesten den Wahabismus, der analog zum Motto «sola scriptura» der christlichen Reformation die Rückkehr zum Wortlaut der Schrift predige und Heiligen- und Totenverehrung des Sufismus (eine alte islamische Mystik) bekämpfe. «Auch die Reformatoren waren alles andere als liberal, sondern verfolgten Häretiker, die beispielsweise die Dreieinigkeit anzweifelten, unerbittlich. Sie waren in diesem Sinne Fundamentalisten mit der Bibel als Fundament.»

Minderheiten-Phänomene

«Liberale Haltungen, beispielsweise gegenüber Homosexualität, treffen die Weltanschauung der Massen in der islamischen Welt keineswegs», meinte Hafner, und rief in Erinnerung, dass dies auch für viele Christen ausserhalb von Nordeuropa, England und den USA gelte. Nur diese säkularisierten Gesellschaften, ein kleine Minderheit der Weltbevölkerung also, seien in gesellschaftlichen Fragen freizügig. Der Ruf nach Priesterweihe für Frauen ist gar nahezu ein «deutschsprachig-angelsächsisches Phänomen.» Und gerade im laizistischen Europa sei da und dort ein beunruhigender nationalreligiöser Backlash zu beobachten.

Eine Art Reformation habe auch in der Türkei Atatürks stattgefunden, der «Auswüchse im Volksislam», bekämpft habe und die Religion ins Private verbannte. «Bei Erdogan handelt es sich jetzt um eine Gegenreformation.»

Gewalt hüben und drüben

Im Diskussionsteil kam erwartungsgemäss auch die Frage nach gewaltverherrlichenden Koranpassagen auf. «Diese gibt es in der Bibel auch – und sie wurden nicht gestrichen», sagte Amira Hafner dazu. «Die Frage nach dem guten Leben», sie beschäftige Christen und Muslime gleichermassen und werde in den heiligen Schriften beantwortet. «Beiderorts gilt es, den Geist der ganzen Bibel, des ganzen Korans zu berücksichtigen», meinte die Muslima. Erst in der ganzheitlichen Sicht ergebe sich eine ausgewogene Sicht zwischen Ermahnung zum Meiden des Bösen und Trost und Zuversicht.