Aarebrüggli
Hier erhalten stachelige Tiere eine zweite Chance

Im Grenchner Tierheim Aarebrüggli werden Igel untersucht, notfalls gepflegt und medizinisch versorgt und dann wieder ausgesetzt.

Yvonne Aregger
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Diese Igeldame wurde zur Pflege bei Edith Bähler im Aarebrüggli aufgenommen.

Diese Igeldame wurde zur Pflege bei Edith Bähler im Aarebrüggli aufgenommen.

Yvonne Aregger

Im Behandlungszimmer ist es still bis auf ein leises Rascheln in einer Kiste. Als Erstes legt Ivan Schmid, Inhaber und Tierpfleger des Aarebrügglis, ein Dokument auf den Tisch. «Das sind die Anforderungen, die das Bundesamt für Umwelt an eine Igelstation stellt», erklärt Schmid. Es geht darum, dass nicht einfach jedermann einen geschützten Igel aufnehmen, respektive einsperren kann. Das ist verboten.

Das Aarebrüggli erfüllt jedoch die Bedingungen der Behörden hierzu. «Wichtig ist sicher, dass wir wirklich nur kranke Tiere aufnehmen. Die gesunden Tiere bleiben erst gar nicht bei uns.» Doch wann ist ein Igel gesund und wann krank? Und was sollte man tun, wenn man auf einen vermeintlich kranken Igel stösst?

Erste Hilfe für die Stacheltiere

«Wir erhalten sehr viele Telefonanrufe», erklärt Schmid. Das Prozedere am Telefon sei immer ähnlich. «Wir fragen zuerst die wichtigsten Parameter ab. Um die ungefähre Grösse des Igels abzuschätzen, fragen wir, ob er grösser oder kleiner als eine Männerfaust sei. Dann fragen wir, ob er reagiert, sprich ob er ein Abwehrverhalten – beispielsweise Einkugeln, Puffen – zeigt oder nicht. Als nächstens wollen wir wissen, ob er röchelt, hustet oder sonst auffällig atmet. Weiter ist es wichtig, zu fragen, ob der Igel sich normal bewegt oder ob er beispielsweise humpelt, zittert oder Koordinationsschwierigkeiten hat.»

Aufgrund dieser Angaben und einigen mehr wird der Entscheid gefällt, ob der Igel ins Aarebrüggli gebracht werden sollte oder nicht. Igel, die in die Station kommen, erhalten zuerst ein Antiparasitikum und Futter mit beigemischtem Entwurmungsmittel. Die Igel werden gewogen und genauer untersucht. «Dabei kontrollieren wir Ohren und Nase sowie die Genitalien, dort legen Fliegen gerne ihre Eier ab. Wir bestimmen auch das Geschlecht und den Ernährungszustand des Igels und kontrollieren seine Bauchgegend und die Gelenke.» Je nach Befund wird entschieden, wie der weitere Verlauf aussehe. «Falls eine Operation oder die Verschreibung von Medikamenten nötig ist, kommt der Igel zum Tierarzt. Wir arbeiten eng mit der Tierklinik Neuhaus zusammen, einmal pro Woche kommt ein Tierarzt vorbei, sonst bringen wir die Igel in die Klinik.»

Auch Einschläfern dürfe nur der Tierarzt. «Das kommt natürlich auch vor. Wenn der Tierarzt sieht, dass dem Igel nicht mehr zu helfen ist und das Tier leidet, ist es das Vernünftigste auch aus der Sicht des Tierschutzes, was wir tun können.» Manchmal lässt Schmid ein Tier auch direkt zum Tierarzt bringen, wenn während des Telefonats klar ist, dass es eines Tierarztes bedarf. «Dann ersparen wir dem Tier einen Umweg über die Igelstation.»

Er bedaure allerdings die Haltung einiger Tierärzte, die einen offensichtlich verletzten Igel, der direkt von Privatpersonen gebracht werde, wieder in die Igelstation verweise. «Das macht überhaupt keinen Sinn, wir können ihm ja noch weniger helfen. Medizinische oder operative Behandlungen dürfen ausschliesslich zugelassene Tierärzte vornehmen.» Er wünsche sich, dass die Ethik über dem Profit stehe. «Natürlich kann ein Tierarzt in seinem geregelten Tagesablauf nicht auch noch ständig Igel behandeln. Aber es kommt mir oft so vor, als wollten einige Mediziner die Igel nicht versorgen, weil niemand für die Unkosten aufkommt.»

Auch die Tierpfleger des Aarebrügglis verdienen nichts, wenn sie den stacheligen Tierchen helfen. «Der Verein Tierasyl Aarebrüggli kommt zwar für die medizinische Versorgung der Igel auf, aber nicht für unsere Arbeit.»

Zurück in die Selbstständigkeit

Während Schmid erzählt, raschelt es in einer Kiste. Ein kleiner Igel taucht auf und frisst aus einem Schälchen Futter. Das Igelweibchen ist derzeit 170 g schwer und kam unterkühlt in die Igelstation. Nach einer ersten Versorgung übernahm Edith Bähler die Aufzucht. Die kleinen Igel müssen regelmässig versorgt werden, auch in der Nacht. «Wenn ich mehrere versorgen muss, komme ich nicht wirklich zu viel Schlaf», sagt sie lachend.

Berühren nur mit Handschuhen

Der Igel ist überhaupt nicht ängstlich, er ist sich Menschen gewohnt. «Irgendwann hört das aber auf», erklärt Bähler. Sie sei dann nicht mehr länger das «Ersatz-Igelmami» sondern eben ein Mensch. «Sie fangen an, sich einzukugeln, wenn ich sie anfasse. Ab diesem Zeitpunkt verwende ich nur noch Handschuhe, einerseits zum Schutz meiner Hände, andererseits damit mein Geruch nicht mehr Gewohnheit ist. Sie sind dann quasi abgenabelt.» Die Aufzucht der Igel wird protokolliert und jeder Igel hat ein «Patientenblatt» mit den wichtigsten Koordinaten wie Fundort, Gewicht, Geschlecht usw. «Das Ziel ist, die Igel möglichst früh wieder in die Selbstständigkeit zu entlassen. Die Auswilderung funktioniert gut, selbst wenn die Igel von Menschenhand aufgezogen wurden», erklärt Schmid.

Junge Igel seien oftmals alleine unterwegs und das beunruhige viele. «Es ist aber eigentlich normal in einer bestimmten Phase. Die Igelmutter versorgt ihre Jungen ungefähr in den ersten 35 Tagen nach der Geburt. Danach sind die Kleinen immer mehr auf sich gestellt. Sie müssen eigenständig lernen sich zu ernähren, das bringt ihnen die Mutter nicht bei.» Es gäbe allerdings auch Situationen, in denen die Mutter die Jungen zu früh verlasse. Solche Igel bedürften dann dem Dienst von Edith Bähler – wie die kleine Igeldame in der Kiste.

Ausgewildert werden die Igel, ob gross oder klein, möglichst dort, wo sie aufgefunden worden sind. Die Auswilderung erfolgt in kleinen Schritten. Zu Beginn wird den Igeln noch Futter und Wasser sowie ein Igelhaus angeboten. Nach und nach wird der Igel selbstständiger, bis er irgendwann ohne Hilfe überlebt und seinen Weg geht.

Problemfaktor Mensch

Die grössten Gefahren für Igel seien nach wie vor alle Arten von Mähern, Strom- und Nylonzäune, in denen sie sich verfangen sowie Pools, in denen sie ertrinken. «Zusätzlich machen ihnen natürlich die Überbauungen zu schaffen, sie verlieren dadurch immer mehr Lebensraum.» Somit ist unter anderem auch der Mensch eine Ursache für die Probleme der Igel. «Der Igel ist einer der ältesten Kulturfolger, es wäre schade, wenn es ihn nicht mehr gäbe. Wir müssen einfach lernen aneinander vorbei zu kommen», sagt Schmid nachdenklich.

Schmid erklärt: «Das Wichtigste, wenn man auf einen Igel stösst, ist, gesunden Menschenverstand walten zu lassen.» Nicht jeder junge Igel, ist in Gefahr, weil seine Mutter nicht bei ihm ist. «Bevor man handelt, erkundigt man sich am besten telefonisch bei einer Fachinstanz, sei das bei uns oder beispielsweise in der Wildstation Landshut», erläutert Schmid.

Wasser, nicht Milch

«Und man sollte immer daran denken, der Igel ist ein Wildtier und kein Garten-Haustier.» Falls man den Igel im Garten in den heissen Sommertagen etwas unterstützen wolle, könne man ihm schon ein Schälchen Wasser (aber auf keinen Fall Milch!) nach draussen stellen. Ansonsten sollte man den Igel in Ruhe lassen, erst wenn er sich wirklich auffällig verhält, ist ein Anruf in einer Igel- oder Wildstation nötig.