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Am Samstag vor genau 90 Jahren fand eine Gemeindeversammlung in Grenchen statt. Über 1000 Stimmberechtigte waren an diesem Abend anwesend. Die Übernahme des Stromnetzes von der AEK war Thema.
Auf den Knopf drücken – und der Radio oder Fernseher läuft, das Licht brennt. Das war bis zum Jahr 1900 in Grenchen nicht der Fall. Mit der damaligen Jahrhundertwende begann das elektrische Zeitalter im grossen Bauerndorf, das sich in den Jahrzehnten zuvor gleichzeitig zu einem Ort der Uhrenindustrie entwickelt hatte.
160 Hausbesitzer entschlossen sich bei der Jahrhundertwende probeweise für die Installation einer oder mehrerer Lampen, zudem wurden mit der neuen Energie sieben Motoren mit rund 100 PS betrieben.
Drei Jahrzehnte später kam es zu einem wichtigen Wendepunkt. Inzwischen war die elektrische Energie nicht mehr aus den Haushalten und der Industrie wegzudenken. Grenchen wollte die Verteilung des Stroms in die eigene Hand nehmen und legte damit den Grundstein zur Gründung des Elektrizitätswerks, das später zu einem Teil der Städtischen Werke – heute SWG – wurde.
Vor genau 90 Jahren, am 19.Dezember 1930, tagte eine denkwürdige Gemeindeversammlung in der Turnhalle, der späteren alten Turnhalle und heutigen Stadtbibliothek. Über 1000 Stimmberechtigte folgten an diesem Freitagabend der Einladung des Gemeinderats und hatten darüber zu bestimmen, ob das Stromnetz von der AEK zu übernehmen sei.
Theodor Schild hielt das Eintretensreferat. Der Ingenieur war seit 1899 Mitglied der Grenchner Elektrizitätskommission, zum Zeitpunkt der Gemeindeversammlung hatte er dieses Amt also schon 31 Jahre inne. Über eine Stunde lang referierte er und verwies auf den Untersuchungsbericht über die wirtschaftlichen Möglichkeiten der eigenen Elektrizitätsversorgung der Gemeinde Grenchen. Verfasst wurde dieser Bericht vom Grenchner Bürger Siegfried Schild von der Zürcher Firma Schuler & Schild.
Theodor Schild schloss seinen Vortrag unter «mächtiger Beifallskundgebung», wie es im Protokoll heisst. Er empfahl mit «wärmsten Worten der Überzeugung die Vorlage als gutes Geschäft, das der Gemeinde einen erheblichen Ertrag abwerfen werde.»
Das Grenchner Stromverteilungsnetz gehörte seit Anfang 1921 der Gesellschaft Aare-Emmekanal (siehe Kasten). Offenbar gab es harte Verhandlungen über den Kaufpreis mit der AEK, die mit einem Gerichtsurteil erst kurz vor der Gemeindeversammlung beendet wurden. Jedenfalls heisst es im Beschluss, dass das «bundesgerichtliche Schiedsgericht den Übernahmewert des Elektrizitätsverteilungsnetzes der AEK in Grenchen am 4. November 1930 auf 791480 Fr. festgesetzt» hat.
Den Stimmbürgern wurde im Beschluss versichert, dass nach der Netzübernahme die elektrische Energie zu den gleichen Tarifen abgegeben werde, wie dies die «Olten-Aarburg-AEK» offerierten. Erwartet wurde für die Gemeinde ein jährlicher Ertrag von rund 93'000 Franken.
Ohne Diskussionen ging das Geschäft in der alten Turnhalle nicht durch, die proppenvoll besetzt gewesen sein musste. Leo Wullimann beantragte Ablehnung, weil der Kauf für die Gemeinde kein gutes Geschäft sei. Verlangt wurde von verschiedenen Votanten auch die Verschiebung des Geschäfts zwecks vertiefter Abklärungen.
Kommissionspräsident Theodor Schild wehrte sich gegen die Anträge wie auch Gemeindepräsident Arthur Stämpfli. In einer geheimen Abstimmung wurden Stimmzettel verteilt, die mit «Nein» und «Ja» vorgedruckt waren. Der Ordnungsantrag um Rückweisung des Geschäfts wurde mit 186 Ja gegen 972 Nein deutlich abgelehnt.
Über die endgültige Übernahme des Stromnetzes hatte in der Folge eine Urnenabstimmung zu entscheiden, die gleich am Samstag, also am Folgetag, durchgeführt wurde, was aus aktueller Sicht erstaunt. Mit den heute vorgeschriebenen Fristen ist es eine Unmöglichkeit, gleich am Tag nach einer Gemeindeversammlung über ein grosses Geschäft eine Urnenabstimmung durchzuführen, wie es beispielsweise in Grenchen diesen Herbst mit der Neugestaltung des Busterminals und Platzes beim Bahnhof Süd geschehen ist.
Den ersten Strom erhielt die Gemeinde Grenchen im Jahr 1900 vom Elektrizitätswerk Hagneck AG. Dafür wurde die Elektrizitätskommission ins Leben gerufen, die unter dem Vorsitz vom Gemeindepräsident Robert Luterbacher stand. Der Gewerbeverein half mit, in Grenchen die ersten Interessenten für einen Stromanschluss zu finden. Für das Stromverteilungsnetz wurden fünf Trafostationen gebaut. Am 1. September 1900 wurde die Anlage dem Betrieb übergeben. Der Vertrag mit dem Elektrizitätswerk Hagneck wurde für die Dauer von 20 Jahren abgeschlossen. Bereits 1904 musste das Netz ausgebaut werden. So wurde eine neue Trafostation bei der Michel AG erbaut, womit das heutige «Zaubertürmchen» gemeint sein dürfte.
Bis 1903 gehörten die elektrischen Anlagen in Grenchen der Aktiengesellschaft Hagneck, bis 1909 den Vereinigten Kander- und Hagneckwerken und bis 1921 den Bernischen Kraft werken. Anschliessend ging das Netz an die AEK und wurde zehn Jahre später mit dem Beschluss der Gemeindeversammlung und der Urnenabstimmung in den Besitz der Gemeinde Grenchen überführt. (pbg)
Zur Urnenabstimmung waren 2836 Stimmberechtigte (damals nur die Männer) eingeladen. 2050 gaben ihre Stimme ab. Zustimmung gab es mit 1628 Ja gegen 397 Nein, bei 17 leeren und acht ungültigen Stimmen. Das Stromverteilungsnetz wurde ab 1. Juli 1931 definitiv von der AEK übernommen.
Bereits im Frühling traf man die Vorbereitungsarbeiten für den neuen Gemeindebetrieb und installierte die Administration sowie die Bauabteilung, ebenso mussten die Reglemente und Tarife ausgearbeitet werden. Gleichzeitig mit der Netzübernahme eröffnete das neue «Elektrizitätswerk Grenchen» am 1. Juli 1931 seine Tätigkeit.