Der abtretende Kommandant Rolf Witschi spricht über vergangene und künftige Herausforderungen.
Rolf Witschi war 41 Jahre bei der Grenchner Feuerwehr, davon 22 Jahre als Kommandant. Per Ende Jahr hat er seine Demission eingereicht und blickt im Interview mit dieser Zeitung zurück und voraus.
Wie fühlt es sich an, nach vier Jahrzehnten die Feuerwehr zu verlassen?
Rolf Witschi: Ich habe ein gutes Gefühl und fand Befriedigung im Job. Denn ich bin der Meinung, ich habe einen Auftrag erfüllt, welcher der Allgemeinheit gedient hat. Nun werde ich 62, bin verheiratet, habe zwei erwachsene Kinder und freue mich darauf, mit meiner Frau in Zukunft mehr Zeit zu verbringen.
Welche Ereignisse sind Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Vom Kaninchenstallbrand bis zum Fabrikbrand habe ich alles erlebt: Menschen, die ihr Leben verloren haben, verbrannt oder zerstückelt wurden, Tierrettungen hingegen sind oft lustig: Man muss eine Katze von einem Baum retten, und das Tier springt von einem Ast auf den nächsten. Ich erinnere mich auch an einen Vorfall, als wir alarmiert wurden, man sehe Flammen in einem Fenster an der Karl-Mathy-Strasse. Wir rückten aus und fanden einen Feuerwehrkollegen, der mit seiner Frau gemütlich auf dem Balkon sass, auf dem Tisch eine Windkerze, deren Flamme sich im Fenster spiegelte. Er hat uns dann Getränke offeriert.
Und grössere Einsätze?
Es gab etliche Bauernhöfe im Bucheggberg und in Staad, welche brannten. Das Althüsli in Selzach war ein gröberer Einsatz. Ich habe einige Brände von Restaurants in Grenchen erlebt: Helvetia, Burgi, der Ochsen, wo jetzt das Coop City steht. Der Brand der Firma Pipeline im City Nord war ein heikler Einsatz, weil die beim Brand entstandenen Rauchgase Blausäure enthielten. Der Brand der Farbenfabrik Rotoflex vor einigen Jahren war eine grosse Sache und in letzter Zeit der Brand bei Heri in Selzach. Aber ich bin auch ein wenig stolz: Wir hatten nie schwere Unfälle mit eigenen Leuten, höchstens Bagatellen. Ich führe das darauf zurück, dass die Ausbildung bei uns sehr gut ist: Jeder weiss, die eigene Sicherheit steht im Vordergrund. Alle meine Frontleute, Offiziere und Kader wissen genau, worum es geht, und das hilft, Unfälle zu vermeiden. Wenn ich an die Todesfälle von Feuerwehrleuten im Kanton denke, bin ich doch sehr froh, dass ich selber so etwas nicht erleben musste. Glück spielt immer eine grosse Rolle.
Was hat sich in der Feuerwehr in den 41 Jahren verändert?
Ich habe mit Filzhosen und Kittel angefangen, die nicht geschützt haben, sondern nass nur schwer wurden. Die persönliche Ausrüstung heute ist top-modern, das kostet Geld. Aber: Der Schutz des einzelnen Feuerwehrmannes hat oberste Priorität, und da darf man nicht sparen. Die Fahrzeugtechnik hat ebenfalls riesige Fortschritte gemacht. Früher musste man Räder drehen und Ventile öffnen, heute drückt man Knöpfe, und das Wasser kommt. In der Ausbildung wurden enorme Fortschritte gemacht, im Ausbildungszentrum Balsthal beispielsweise kann man 1:1 ausbilden und die Leute spüren lassen, was es heisst, im Rauch und Wasserdampf zu arbeiten.
Wie sah der Bestand der Feuerwehr im Vergleich zu heute aus?
Als ich 1969 in der Feuerwehr begann, waren wir 120 Leute, alles Freiwillige. Heute haben wir einen Bestand von 73 Leuten. Nach Gebäudeversicherung müssten wir 80 Leute haben. Wir müssen diesen November 8 bis 10 Leute rekrutieren, um die Vorgaben zu erfüllen. Und das ist nicht einfach: Die Jungen heute haben meist andere Interessen, und ich mache mir für die Zukunft Sorgen. Wir haben die Jugendfeuerwehr ins Leben gerufen und hoffen, dass noch mehr Jüngere in die «richtige» Feuerwehr wechseln. Aber: Man kann die Jungen irgendwie nicht so recht begeistern, obwohl der Dienst interessant wäre und man enorm viel technisches Wissen erwerben könnte.
Bekamen Sie immer die notwendigen finanziellen Mittel?
Die Behörden haben uns immer unterstützt, wir haben auch nie Aussergewöhnliches gefordert, sondern nur wirklich Notwendiges. Dadurch haben wir das Vertrauen des Gemeinderates erlangt.
Momentan wird eine Zusammenlegung der Dienste Feuerwehr, Rettungsdienste und Zivilschutz überprüft. Würde das für Sie Sinn machen?
Es ist das dritte Mal, dass ich so eine Überprüfung erlebe. Und es hat seine Berechtigung, wenn nach Synergien gesucht wird. Das letzte Mal war das vor etwa 6, 7 Jahren der Fall, als man eine Zusammenlegung von Feuerwehr und Zivilschutz überprüfte. Man kam damals zum Schluss, der Status quo sei beizubehalten. Neu kommt jetzt der Rettungsdienst dazu. Ein Resultat der laufenden Überprüfung ist noch nicht in Sicht, aber jeder der Dienste muss seine Möglichkeiten prüfen. Im administrativen Bereich könnte man Synergien nutzen, beim Unterhalt wird es schwieriger. Im Vergleich zu Solothurn und Olten sind wir günstig: Grenchen hat eine 100%-Stelle, Solothurn und Olten deren zweieinhalb. Solothurn und Olten haben die Millionengrenze im Budget überschritten, Grenchen liegt immer noch darunter. Es wäre wünschenswert, wenn man bei der Überprüfung feststellen würde, dass die Feuerwehr Grenchen wirklich günstig arbeitet und man eigentlich nichts ändern müsste.
Bestand der Wunsch oder Auftrag zu Zusammenschlüssen mit anderen Solothurner Gemeinden?
Ein möglicher Zusammenschluss mit den Nachbargemeinden Selzach und Bettlach wurde diskutiert, kam aber nie zustande.
Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Bernern aus?
Auch eine engere Zusammenarbeit mit den Berner Gemeinden Arch, Rüti, Lengnau und Leuzigen wurde ins Auge gefasst. Aber die Gebäudeversicherung des Kantons Bern zog klare Grenzen: Die Feuerwehr Grenchen darf selbst bei einem Grossbrand oder Verkehrsunfall dort nicht zum Einsatz kommen, dafür sind die Feuerwehren Biel und Lyss zuständig. Wenn also ein Mensch eingeklemmt im Wagen liegt, muss er auf die Feuerwehr Biel oder Lyss warten. Biel hat eine Berufsfeuerwehr, die nach den gefahrenen Kilometern entschädigt wird. Es kommt also nicht mehr darauf an, ob jemandem innerhalb von 10 Minuten geholfen werden kann oder erst nach einer halben Stunde: Heute ist die Finanzierung ausschlaggebend.
Was halten Sie vom neuen Einsatzkonzept «Futura» ? (Neue Richtlinien der Gebäudeversicherung.)
Bei einer Unfallrettung muss die Feuerwehr innerhalb von 30 Minuten vor Ort sein! Dies laut den heute schon gültigen Vorgaben der Feuerwehrkoordination Schweiz. Das Wichtigste sei der Rettungsdienst, der schnell beim Unfall sein müsse, meinen die Verfasser der neuen Richtlinien. Wer aber macht die Sicherung und Stabilisierung? Zum Beispiel in steilem Gelände? Wer den Brandschutz? Mehr als ein Unfallwagen geht plötzlich in Flammen auf. Oft kommt der Rettungsdienst gar nicht zum Patienten, weil zuerst ein Zugang zu ihm geschaffen werden muss. Es braucht oft als Erstes die Feuerwehr. Ein weiteres Beispiel ist der Wassertransport: Laut neuer Bestimmung bekommen wir nur noch 1000 Meter Transportschlauch, um das Wasser zu fördern: Das Chappeli ist aber 1300 Meter weit weg vom Hydranten. Also müsste die Feuerwehr Solothurn im Fall eines Brandes für den Wassertransport angefordert werden. Das ist doch Unsinn!
Das Auswahlverfahren für Ihren Nachfolger wird in diesen Tagen durchgeführt. Welche Eigenschaften muss er als Kommandant mitbringen?
Er muss Feuerwehrmann von der Pike auf sein, wissen, wovon er spricht und auch an vorderster Front im Einsatz sein. Ein Quereinsteiger wäre keine gute Lösung. Wir hier in unserem kleinen Städtchen Grenchen brauchen einen echten Feuerwehrmann als Kommandanten.