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Hufschmied Gerhard Spycher demonstrierte zusammen mit seinem Sohn Joël unter dem Stadtdach seinen Beruf und verpasste dem keineswegs publikumsscheuen Pferd Mona neues «Schuhwerk».
Gestern bot sich den Marktbesuchern unter dem Stadtdach ein ungewöhnliches Bild: Hufschmied Gerhard Spycher aus Selzach hatte zusammen mit seinem Sohn Joël, der bei ihm in diesen Tagen die Lehre abschliesst, seine mobile Schmiede mit einem kleinen Ofen, Amboss und Werkzeugen installiert.
Die beiden Hufschmiede demonstrierten einem interessierten Publikum ihr altes Handwerk, das sie schon in 5. Generation betreiben. Eine «Kundin» war ebenfalls zugegen: die 16-jährige Freibergerstute Mona, ein aussergewöhnliches Pferd, das den Rummel auf dem gestrigen Markt locker wegsteckte und sich gleichzeitig auch noch neues «Schuhwerk» verpassen liess.
Mona, das geduldige Pferd
Lange Zeit muss die Stute stillstehen, um ihre neuen Eisen zu erhalten. «Das Beschlagen eines Pferdes dauert normalerweise rund eine Stunde, aber da wir den Leuten hier auf dem Markt auch etwas zeigen wollen, dehnen wir die ganze Prozedur auf rund zwei Stunden aus», erklärt Hufschmied Spycher.
Da Mona mehrheitlich auf harten Strassen und Wegen unterwegs ist, bekommt sie alle 8 bis 10 Wochen neue Hufeisen. Sie kennt also das Prozedere und lässt alles geduldig mit sich geschehen. «Pferdehufe wachsen im Monat um rund einen Zentimeter. Wenn ein Pferd viel auf hartem Untergrund unterwegs ist, nützt sich mehr ab als nachwächst», erklärt Hufschmied Spycher. Aus diesem Grund würden Pferde überhaupt beschlagen.
Spycher hat vierzehn verschiedene Grössen von Hufeisen an Lager. Sie unterscheiden sich, je nachdem ob sie vorne oder hinten, links oder rechts verwendet werden. Spycher sucht die passenden neuen Hufeisen aus und legt sie in den Ofen.
Dort werden sie auf rund 800 Grad erhitzt. Alsdann werden die alten, abgenützten Hufeisen entfernt. Jeder Huf wird nun sorgfältig zurechtgestutzt - ähnlich wie beim Menschen das Schneiden der Finger- oder Fussnägel - und vom Dreck befreit, der sich im Innern des Hufs unter dem alten Hufeisen festgesetzt hat.
Mit Spezialwerkzeugen wird der Huf gekürzt und die Hufsohle zurechtgeschnitzt. Danach holt Spycher das rot glühende Eisen aus dem Ofen und schlägt es auf dem Amboss in die richtige Form.
Das noch heisse Eisen wird kurz auf den Huf gelegt, um die Passform zu kontrollieren - Rauch steigt auf und ein unangenehmer Geruch von verbranntem Horn liegt in der Luft. «Eisen müssen heiss geschmiedet werden», erklärt der Hufschmied, der das Handwerk schon über 30 Jahre betreibt.
«Schmiede, welche kaltes Eisen bearbeiteten, kommen zum Teufel, sagt ein altes Sprichwort. Aber da der Teufel auch die schönsten Frauen bei sich hat, kann das ja nicht so schlimm sein», so Spycher mit einem Schmunzeln. Er bearbeitet das Eisen so lange weiter am Amboss, bis es die gewünschte Form hat und genau passt. Dann kommt es zur Abkühlung ins Wasser.
Leder gegen spitze Steine
Mona kommt sogar noch in den Genuss von «Spezialschuhen»: Unter den vorderen Hufeisen soll eine Ledersohle auf den Huf montiert werden. «Dieses Pferd ist oft auf Kies- und Splitwegen unterwegs.
Die spitzen Steine können im weicheren Teil der Hufsohle, dem Hufstrahl, stecken bleiben und das können wir mit der Ledersohle verhindern.» Die Hohlräume in der Sohle werden mit einer speziellen Masse gefüllt, die rund 3 Millimeter dicke Ledersohle auf die Grösse zugeschnitten.
Danach kommt beides zusammen - Huf und Ledersohle - auf den Huf: Sechs bis sieben Nägel aus weichem Eisen mit einem hohen Zinnanteil werden in und durch die äussere Schicht des Hufs, den Hufmantel, getrieben, die Enden «vernietet», d. h. so umgebogen, dass sie sich nicht mehr herausarbeiten können und das Pferd das Hufeisen verliert.
Zum Abschluss wird jeder Huf auch auf der Oberseite abgefeilt. «Fehlt eigentlich nur noch der Lack», meint ein interessierter Zuschauer. «Ja, heute Abend gehen wir nämlich ‹z'Tanz›», meint Samuel Baumann schmunzelnd.
Monas Besitzer aus Oberdorf schwärmt von seinem einzigen Pferd in höchsten Tönen. «Mona ist ein sehr intelligentes und ruhiges Pferd, das aufs Wort gehorcht.» Baumann führt zweimal in der Woche sogar Therapiestunden, sogenannte Hippotherapie für Multiple-Sklerose-Patienten und cerebral gelähmte Menschen durch.
Mona sei durch ihre ruhige Art und ihr feinfühliges Wesen geradezu prädestiniert dafür, so Baumann. «Sie stolpert nie, hat einen sehr ruhigen Gang und trägt auch problemlos zwei Menschen.
Bei den cerebral Gelähmten sitzt ja immer auch eine Betreuungsperson mit auf dem Pferd.» Und sie gehorche, besser als ein Hund. Er gehe ab und zu mit Mona im Jura spazieren, erzählt er.
«Zwischen dem Ausladen aus dem Pferdeanhänger am Vormittag und dem Einladen am Abend ist mein Pferd vielleicht eine Viertelstunde an der Leine. Den Rest der Zeit läuft sie frei, aber sie bleibt brav bei uns oder zumindest in der Nähe.» Es gebe auch nie Probleme mit anderen Pferden, denen sie begegneten. «Pfeife ich, dann kommt sie im Galopp angebraust.»
Bauchgefühl ist gefragt
Mona hält geduldig jedes gewünschte Bein in die Höhe, Joël Spycher, der meistens als «Aufheber» fungiert, braucht sie nur kurz anzufassen. Nicht jedes Pferd sei so geduldig, erzählt Spycher, der zwischen 20 und 25 Pferden pro Woche beschlägt.
Er sei auch schon an etlichen Stellen grün und blau gewesen. «Ein Pferd reagiert rund sechsmal schneller als wir», erklärt er. Meist sei man schon mehrmals getroffen worden, bevor man es überhaupt realisiere.
«Es braucht in diesem Beruf halt auch ein grosses Mass an Bauchgefühl, um zu spüren, wie es dem Pferd geht und wie man selber drauf ist.» Da sei es manchmal besser, das Beschlagen auf einen anderen Tag zu verschieben.
Spychers, die in Selzach auch eine Schlosserei betreiben, haben viel zu tun: «Noch nie hatte es so viele Pferde in unserer Region, wie jetzt.» Das Interesse am Beruf des Hufschmieds hingegen sei klein. «Nur gerade 24 Lehrlinge aus der ganzen Schweiz absolvieren diese Woche die Abschlussprüfung.» Ein Problem, mit dem Handwerksberufe ganz allgemein zu kämpfen hätten.
Auf die Frage, ob er als Hufschmied auch ans Hufeisen als Glücksbringer glaube, meint Spycher lachend: «Meine Glücksbringer finde ich bei mir in der Alteisenmulde zuhauf.»