Ein Händler bietet die kürzlich erschienene Grenchner Geschichte zu einem günstigeren Preis an als die Stadt selbst.
Ende März erschien in dieser Zeitung ein Inserat, in welchem die vor etwas mehr als einem Monat der Öffentlichkeit vorgestellte Grenchner Geschichte «Grenchen im 19. und 20. Jahrhundert – Vom Bauerndorf zur Uhrenmetropole» für 47 Franken statt 58 Franken angeboten wird. Dies inklusive Porto. Zu bestellen über eine Mailadresse des Händlers.
Diese Zeitung hätte natürlich brennend interessiert, wie so etwas möglich ist. Denn der Chronos-Verlag, der das 332 Seiten umfassende Werk herausgegeben hat, dürfte wohl nicht viel mehr als die vereinbarten 2500 Exemplare herausgegeben und die Druckerei nicht mehr Exemplare gedruckt haben. Wie also kann ein Händler das Werk zu einem um satte 17 Prozent günstigeren Preis anbieten, als alle anderen Buchhändler? Diese Frage hat sich auch Angela Kummer, Museumsleiterin des Kultur-Historischen Museums gestellt, als sie über die Entdeckung eines ähnlich tiefen Angebotes auf Ricardo informiert wurde. Sie kontaktierte daraufhin Martin Illi, einen der Autoren der neuen Grenchner Geschichte.
Illi antwortete, sie brauche sich keine Sorgen zu machen. «Das sind Neuantiquare. Die holen die Bücher neu in der Auslieferung ab und bieten sie im sogenannten Neuantiquariat an.» Als Neuantiquariat oder modernes Antiquariat wird laut Wikipedia das Marktsegment im Buchhandel bezeichnet, in dem besonders preisgünstige Bücher gehandelt werden. Dabei handle es sich um neuere Bücher, deren Buchpreisbindung aufgehoben wurde, und andererseits preisgünstige Sonderausgaben.
In der Schweiz wurden die Buchpreise nicht durch ein staatliches Gesetz vorgeschrieben, sondern durch eine privatrechtliche Vereinbarung der Verlage und Buchhändler. In der Deutschschweiz waren die Buchhändler seit 1976 auf Initiative des Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband an den von den Verlagen vorgegebenen Buchpreis gebunden. Ab 1993 wurde dies einheitlich in Deutschland, Österreich und der Deutschschweiz durch einen sog. «Sammelrevers» organisiert. Geschäfte, die den Revers nicht unterschrieben, wurden von den Verlagen und den Zwischenhändlern nicht beliefert. Aufgrund einer Untersuchung verbot die Wettbewerbskommission in der Schweiz sowohl die Preisbindung als auch die Nichtbelieferung. Denn diese Vereinbarung stand im Widerspruch zum Kartellgesetz.
Die Buchpreisbindung fiel im Mai 2007, nachdem das Bundesgericht die Einschätzung der Wettbewerbskommission bestätigt hatte und der Schweizer Bundesrat eine Ausnahme für ein Kartell abgelehnt hatte. Ein Gesetz zur Einführung beziehungsweise Wiedereinführung einer Buchpreisbindung scheiterte 2012 am Referendum. In der Volksabstimmung vom 11. März 2012 lehnten die Stimmberechtigten das Gesetz mit 56,1 % Nein-Stimmen ab. (om)
In der Schweiz gibt es aber keine Buchpreisbindung mehr. Was hingegen auch in der Schweiz gilt, ist die Verramschung. Als «Verramschung» bezeichnet die Fachwelt den Verkauf der Restauflage eines Buches, das zum Laden(Buchhandlungs)preis nicht mehr nennenswert abgesetzt werden kann, bei denen die Lagerkosten zum Beispiel zu hoch geworden sind, zu stark herabgesetzten Preisen.
Die neue Grenchner Geschichte wird also demnach bereits verramscht? Für Luzia Meister, Stadtschreiberin Grenchens, eine sonderbare Situation. Denn, obwohl dieses Buch nicht in erster Linie für den Handel geschrieben worden sei, verkaufe es sich laut Angaben des Verlags überraschend gut: 370 Stück wurden über den Chronos-Verlag ausgeliefert, eine weitere Auslieferung stehe bevor. 200 Stück seien via Stadt an die Museen und Grenchen Tourismus ausgeliefert worden, wo man das Buch ebenfalls erwerben kann.
«Wir bekommen schönes Echo für das toll bebilderte Buch, auch von Heimwehgrenchnern», so die Stadtschreiberin. «Es gibt keinen Grund, ein so schönes und neues Buch zu verramschen. Wir haben hier ein Werk mit einer Halbwertszeit von gut 15 Jahren, das für uns während dieser Zeit ungefähr zur Verfügung stehen muss, damit wir es interessierten Personen, Neuzuzügern, hohem Besuch oder ähnlich, abgeben können.» Auch mit hohen Lagerkosten könne nicht argumentiert werden, denn die Stadt als Auftraggeberin lagere den grössten Teil der Bücher selber. Woher also kommen die Billig-Exemplare?
Eine mögliche Quelle wären die paar Exemplare, die an ausgewählte Personen anlässlich der Vernissage abgegeben wurden. Dagegen spricht allerdings, dass von besagtem Händler nicht nur zwei, drei Exemplare angeboten werden, sondern mindestens 15 Stück zum Verkauf bereit stehen. Und schliesslich hat das Inserat in dieser Zeitung ebenfalls etwas gekostet: 72 Franken. Die wollen erst amortisiert sein.
Der fragliche Händler war für eine Stellungnahme leider nicht zu erreichen, da die angegebene Telefonnummer sich als ungültig erwies und auch der Handelsregistereintrag nur einen Domizilwechsel von der einen zu einer anderen Adresse beinhaltete, an der aber keine entsprechende Firma zu finden ist. Einzig ein Link zur Genossenschaft «Bücherbon», der die meisten Buchhandlungen und Verlage angeschlossen sind, ist gültig.
Dort erklärt Martin von Matt, dass es sich wohl bei diesem einen Händler um ein Mitglied der Genossenschaft handle, aber weshalb gerade dieses besondere und in seinen Augen wertvolle Werk im Sonderangebot vergünstigt angeboten werde, entziehe sich seiner Kenntnis und auch seinem Verständnis. «Auf diese Art und Weise wird der Buchhandel kaputtgemacht.» Grosshändler wie Ex Libris und Weltbild hätten in der Schweiz die Möglichkeit, die gängigen Preise bei Bestsellern beispielsweise zu unterbieten.
Aber auch sie hätten grosse Mühe, sich gegen die ausländische Konkurrenz, beispielsweise von Amazon, zu behaupten, wie man unlängst feststellen musste. Erst recht die Kleinen hätten ohne Preisbindung Mühe, wie von Matt sagt. «Der grösste Ausgabeposten ist noch immer das Personal. Und wir können nun mal keine gut ausgebildeten Angestellten für 20 Franken in der Stunde anstellen, wie das im Ausland üblich ist.»