Standortentwicklung
Grenchen will die Steuern jedes Jahr um 1 Prozentpunkt senken

Der Grenchner Gemeinderat will eine Förderung von Wohn- und Lebensqualität und eine Steuersenkung vorantreiben und demonstriert dafür Einigkeit.

Andreas Toggweiler
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Oliver Menge

Der Gemeinderat von Grenchen hat gestern Abend das Projekt «Kompass Standortentwicklung» abgeschlossen und ein entsprechendes Strategiepapier verabschiedet. Sämtliche Mitglieder des Gemeinderates haben ihre Unterschrift unter die strategischen Leitlinien für die Politik der laufenden Legislatur gesetzt. Damit geht plangemäss ein Prozess zu Ende, der im Frühjahr gestartet wurde und in dessen Verlauf auch die Bevölkerung zur Mitwirkung eingeladen sowie thematische Workshops mit Vertretern aus verschiedenen Bereichen durchgeführt wurden.

Obschon der «Kompass» keine unmittelbar rechtsverbindliche Kraft hat, sei dieser Schritt als Meilenstein für Grenchens Standortentwicklung zu werten, denn der Kompass beschreibe nicht nur abstrakte Ziele, sondern sei auch konkret, wie die Stadt in einer gestern veröffentlichten Mitteilung schreibt.

Steuern auf Durchschnitt senken

So wird ein zusätzliches Investitionsprogramm von 10 Millionen Franken über die nächsten 10 Jahre zugunsten des Schwerpunktthemas «Leben und Wohnen» und verbunden mit einem Steuersenkungsprogramm angekündigt: Im Laufe der nächsten sechs Jahre sollen die Steuern jedes Jahr um einen Prozentpunkt bis auf den kantonalen Mittelwert von aktuell 118 Prozent sinken. Bereits an der kommenden Gemeindeversammlung sollen die Steuern von natürlichen Personen um einen Prozentpunkt gesenkt werden auf 123 Prozent. Dies beschloss der Gemeinderat gestern Abend in einem Rückkommen auf das Budget einstimmig. Auch danach wird noch ein kleiner Überschuss von 56 000 Franken erwartet.

Wie hat der Stadtpräsident die SP für eine Steuersenkung an Bord geholt? «Einfach dadurch, dass der Kompass für alle ein Geben und Nehmen ist. Wir sind bereit, beträchtliche Mittel in die Wohn- und Lebensqualität zu investieren», betont François Scheidegger (FDP). Eine Steuersenkung könne nämlich auch durch Bevölkerungswachstum finanziert werden. Und danach sieht es in Grenchen weiterhin aus. «Ein Bevölkerungswachstum von 80 Personen kann gemäss einer Faustregel bis zu 150 000 Fr. Mehreinnahmen bedeuten.» Auch verfüge die Stadt über 54 Mio. Fr. Eigenkapital und könne sich auch eine moderate Neuverschuldung leisten. Und nicht zuletzt würden die eingeleiteten Sanierungsmassnahmen in der laufenden Rechnung den Handlungsspielraum erhöhen.

SP-Präsidentin Angela Kummer bestätigt: «Wir haben uns seit Jahren für mehr Investitionen eingesetzt – sei dies im Langsamverkehr, bei der Sportinfrastruktur oder bei den Tagesstrukturen. Weil eben nicht nur gespart wird, können wir zu diesem Gesamtpaket Ja sagen.» Kummer gibt überdies zu bedenken, dass je nach Resultat der Unternehmenssteuerreform der steuerliche Kompass ohnehin neu gestellt werden müsse.

Führung gemeinsam wahrnehmen

Der Kompass signalisiere, «dass die Exekutive an die Zukunft der Stadt Grenchen glaubt und in sie investieren will», so die Mitteilung weiter. Der konstruktive Prozess zu seiner Erarbeitung habe gezeigt, dass im Gemeinderat «ein starker Wille für eine gemeinsam wahrgenommene Führungsrolle sowie die dazu notwendige Kompromissbereitschaft über die Parteigrenzen hinweg» bestehe. Dies unterstrichen die Gemeinderäte, indem sie sich nach der Unterzeichnung fürs Gruppenbild hinter einem Schiffssteuerrad aufstellten. Auch zuvor demonstrierten die vier Chefs der Gemeinderatsfraktionen Einigkeit, in dem sie sich vorn neben Stadt- und Vizepräsident setzten.

«Es ist nicht selbstverständlich, dass hier alle 15 Gemeinderäte am gleichen Strick ziehen, doch so kommen wir effektiv weiter», fasst SP-Fraktionschef Alex Kaufmann die Befindlichkeit zusammen und auch Ivo von Büren (SVP) hielt fest, dass «die Grabenkämpfe, die hier bis vor fünf Jahren ausgefochten wurden, vorbei sind.»

«Die Erarbeitung der Ziele in Workshop-Form hat sich bewährt», betont Scheidegger. Grenzen des Parteiendenkens konnten so überwunden werden. In gleicher Weise habe man eine Lösung für die Gestaltung des Bahnhofplatzes erarbeitet. «Es mussten alle abrücken von Maximalforderungen und Hand bieten zu einem Kompromiss.» Die Vorlage zur Gestaltung des Bahnhofplatzes soll im Dezember in den Gemeinderat kommen.

Wo man sparen will

«In Zeiten knapper Mittel ist es wichtig, Prioritäten zu setzen und die Ressourcen zu fokussieren», heisst es weiter. Mit der Unterschrift verpflichte sich der Gemeinderat dazu, bei allen künftigen Entscheidungen dem Thema Lebens- und Wohnqualität eine hohe Priorität einzuräumen. Dabei soll «ausdrücklich den Bedürfnissen von Menschen und Familien, die auch wirtschaftlich zum Gemeinwohl beitragen, besonders Rechnung getragen werden».
Die angekündigten Investitionen könnten nebst dem Umbau des Bahnhofsplatzes beispielsweise die Aufwertung der Sportanlagen beinhalten, präzisiert Scheidegger. Sparpotenzial sieht der Rat demgegenüber bei den Wirtschaftsförderungsbeiträgen für Neuansiedlungen, bei der Überprüfung des Busangebotes («Ergänzendes Miteinander der Verkehrsträger») oder bei den städtischen Kinderkrippen. Hier sei beispielsweise eine Verselbstständigung denkbar, präzisiert der Stadtpräsident auf Anfrage. Dies bedeute keineswegs Leistungsabbau.

Nachdem der Gemeinderat aus politischer Sicht die grossen Leitlinien der Standortentwicklung festgelegt hat, werden nun die Erkenntnisse aus den Workshops im zweiten Quartal entsprechend priorisiert und in Richtung Umsetzung weiterentwickelt, wobei den Vorschlägen und Ideen mit Fokus auf «Leben und Wohnen» die höchste Priorität beigemessen wird. So soll ein «Leuchtturmprojekt» evaluiert und «inszeniert» werden, welches für die Standortqualität steht.