Grenchen
Entstaubt, aber nicht die Seele genommen: Dürrenmatts «Besuch der alten Dame» im Parktheater

«Der Besuch der alten Dame» funktionierte dank kluger Inszenierung auch mit kleinem Ensemble. Ein Besuch im Parktheater Grenchen.

André Weyermann
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Noch freuen sich die Güllener und erwarten Claire Zachanassian mit einem Ständchen.

Noch freuen sich die Güllener und erwarten Claire Zachanassian mit einem Ständchen.

Zvg/Judith Schlosser

Es muss eine kleine Ewigkeit her sein, seit Dürrenmatts Welterfolg «Der Besuch der alten Dame» aus dem Jahr 1956 auf Grenchens Theaterbrettern aufgeführt wurde. Nun gab das Theater Kanton Zürich (in Koproduktion mit dem Theater Winterthur) seine Version im Parktheater zum Besten. An den Kernaussagen «Schuld-Sühne-Gerechtigkeit, Rache, Allmacht des Geldes» rüttelte Regisseur Elias Perrig selbstredend nicht, er hat das Stück aber so ziemlich entstaubt und einiges weggelassen, ihm aber nicht die Seele genommen. Dazu besetzte er die Figur der Multi-Milliardärin Claire Zachanassian mit der verhältnismässig jungen, grandios aufspielenden Katharina von Bock.

Die Alte Dame als diabolischer Racheengel

Diese gab die ehemalige Einheimische aus Güllen nicht mit der noblen Grandezza, wie dies in anderen Inszenierungen der Fall ist. Vielmehr fuhr sie in die verarmte Gemeinde ganz in Rot ein, als diabolischer Racheengel, der manchmal in seinem Gehabe an die unbedarften, in die heutige Zeit passenden Millionärssternchen à la Kardashian erinnert. Lediglich verschiedenste Prothesen, die ihr zu schaffen machen, lassen ihr wahres Alter erahnen. Sie, die einst mit Schimpf und Schande und zu Unrecht aus der Stadt gejagt wurde, sich als Hure verdingen musste, dann aber durch Heirat zu unermesslich viel Geld gekommen ist, steht mit ihrem schillernden Outfit so ganz im Kontrast zu den mausgrau gekleideten «Honoratioren» der Stadt.

Der Bürgermeister gratuliert Ill und zementiert so sein Todesurteil.

Der Bürgermeister gratuliert Ill und zementiert so sein Todesurteil.

Zvg/Judith Schlosser

Die einst blühende Ortschaft ist verarmt. Nicht zuletzt dank kräftigem Intrigieren ihrer einstigen Mitbewohnerin. Ausgerechnet der Krämer Alfred Ill, der die damalige 17-jährige Kläri Wäscher und jetzige Claire Zachanassian geschwängert und dann sitzengelassen hatte, soll es nun richten, da er ihr «am nächsten» steht. Allein, diese hat nichts vergessen, dürstet nach Rache und verlangt nichts weniger als den Tod für ihre Milliardenspende.

Entrüstet wird das Anlie-gen scheinbar zurückgewiesen, allein die Einwohner Güllens putzen sich auf Pump so langsam, aber sicher heraus. Alfred Ill, hervorragend verkörpert von Pit Arne Pietz, sieht das Unheil kommen, ergibt sich nach und nach in sein Schicksal, den Gefallen, die Angelegenheit mit einem Selbstmord zu regeln, tut er seinen hinterlistigen Miteinwohnern jedoch nicht.

Zachanassian und Ill im Gespräch auf Distanz. Ills jetzige Gemahlin hört staunend zu.

Zachanassian und Ill im Gespräch auf Distanz. Ills jetzige Gemahlin hört staunend zu.

Zvg/Judith Schlosser

Die devote Mathilde Ill (Miriam Wagner), der opportunis-tische Bürgermeister (Daniel Hajdu), der latent brutale Polizist (Julian M. Boine), der humanistisch-verklärte Lehrer (Manuel Herwig) und der rationale Pfarrer (Stefan Lahr) erklären Ill zum Helden, zum Einfädler der millionenschweren Stiftung, über deren Annahme die Gemeindeversammlung zu entscheiden hat.

Geschickt verheimlichen sie vor den Medien und damit auch vor der Öffentlichkeit, dass ein Ja nur das Ableben Ills bedeuten kann. Er wird im siegestrunkenen Gedränge ermordet. «Herzschlag» und «Tod aus Freude» wird diagnostiziert. Claire lässt den Toten in einen mitgebrachten Sarg legen – «Er ist wieder so, wie er war» –, händigt dem Bürgermeister den Milliardenscheck aus und reist ab nach Capri, wo bereits ein Mausoleum auf Ills Leichnam wartet.