Grenchen
Goethes Faust wird in einer aussergewöhnlichen Art und Weise auf die Bühne gebracht

Bernd Kohlhepp brilliert im Kleintheater als Alleinunterhalter, bindet aber auch die Zuschauer ins Geschehen ein.

André Weyermann
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Bernd Kohlepp spielt im Kleintheater Grenchen.

Bernd Kohlepp spielt im Kleintheater Grenchen.

Hansjörg Sahli

So hat man den Faust noch nie erlebt. Heerscharen von Schülerinnen und Schülern werden sich mit Grauen an stundenlange, öde Deutschstunden erinnern, an das sich Reiben an diesem Text, der zweifelsohne grosse Literatur ist, der aber so rein gar nicht mit der eigenen Befindlichkeit zu korrespondieren scheint. «Oh, hätte sich dieser Bernd Kohlhepp doch schon damals mit seiner Version an uns gewandt», wird sich auch der eine oder andere im Zuschauerraum gedacht haben.

In seiner Classic-Comedy «Mit dem Faust aufs Auge» entstaubt er den altehrwürdigen Test gründlich, ohne ihm seine Seele zu nehmen. Wir begegnen den wohlbekannten Figuren, die durch des Akteurs Schauspielkunst ungemein wahrhaftig erscheinen. Die Requisiten sind dabei äusserst karg, umso üppiger haucht er Faust, Mephisto, Gretchen, Wagner, Marthe oder Valentin Leben und Charakter ein. Während zweier Stunden tobt er sich auf der Bühne aus, rezitiert, singt, tanzt, lamentiert, verführt und wird verführt. Fasziniert staunt der Betrachtende ob des bisweilen turbulenten Geschehens, geniesst die Schlüsselszenen, die Verve, mit welcher die Handlung vorangetrieben wird.

Der Akteur schlüpft von einer Rolle in die andere

Es ist aber auch eine Freude, diesen Künstler zu beobachten, seine Gestik und Mimik, seine Intonation, sein Rezitationsvermögen. Bernd Kohlhepp schlüpft von einer Rolle in die andere, mimt den verschlagenen Mephisto, taucht den hadernden und zaudernden Faust in einen Jungbrunnen, führt das bis anhin so unschuldige Gretchen in den Abgrund und verhilft der sich grämenden Witwe Marthe Schwerdtlein zu scheinbarem neuen Liebesglück. Ein Herrgott, der «schwäbelet», und Fausts Gehilfe Wagner, der sich des böhmischen Dialektes bedient (eine Reminiszenz an den Schwejk?) verbreiten dazu einige Heiterkeit.

Ein gelungener Kunstgriff öffnet dem Akteur weitere Perspektiven. Er gibt sich als faustaffiner Lehrer aus, der seine Schüler schon mal Aufsätze schreiben lässt, die einerseits herrlich unverbrauchte Charakterisierungen der wichtigsten Personen zum Vorschein bringen, die es ihm andererseits auch erlauben, mittels Erklärungen die Handlung so zu reduzieren, dass sie in ein abendfüllendes Programm passt.

Goethe ist durchaus gegenwartstauglich

Und er hält sich so die Möglichkeit offen, Goethes Stoff mit der Gegenwart zu konfrontieren. Da taucht unvermittelt, aber nachvollziehbar ein modernes «Navi» auf, ebenso das Smartphone, die MeToo-Bewegung kommt zu ihrem Auftritt, Fausts verschiedene Delikte (Tierquälerei, Meineid, Mitglied in einer kriminellen Vereinigung) werden schonungslos aufgedeckt, öde Elternabende und nicht gerade glückliche Familienverhältnisse werden thematisiert, ebenso Tupperpartys oder andere Tätigkeiten, mit welchen sich Frauengruppen verlustieren. Feine bis bitterböse Ironie sind das Markenzeichen jener Ausflüge vom «Hochgeistigen» in die bodenständige Aktualität.

Dazu bindet Bernd Kohlhepp gekonnt die Zuschauenden in die Handlung ein, verteilt Buzzers, die gedrückt werden soll, wenn wieder ein klassisches Zitat fällt, Erotik knistert oder sich die Goethe angedichtete Nähe zum Islam bewahrheitet. Natürlich geht dies nicht alles reibungslos vonstatten und dies erlaubt es dem Protagonisten, seine Improvisationskunst unter Beweis zu stellen.

«Mit die Faust aufs Auge» ist eine bemerkenswerte und äusserst unterhaltsame Kabarett-Produktion eines «Bühnenenthusiasten», die nicht nur das Bildungsbürgertum anspricht. Sie gipfelt in der Abschlussszene, in welcher Gott, natürlich wiederum in schwäbischem Dialekt, sich mit den vielsagenden Worten verabschiedet: «Wenn ich nicht Herrgott wäre, wäre ich wohl Atheist.»