Ist die Gemeindeversammlung ein alter Zopf, der abgeschnitten gehört? Das Forum Grenchen lud zu einem Vortag unter dem Thema «Gemeindeversammlung oder Gemeindeparlament?» ein. Als Referent konnte der Politologe Andreas Ladner engagiert werden, der als profunder Kenner der Materie gilt.
Andreas Ladner lehrt und forscht an der Universität Lausanne und hat gerade zu diesem Thema ein Buch geschrieben.
Er wäre nicht schockiert, wenn sich Grenchen dazu durchringen würde, über einen Wechsel zu einem Parlament nachzudenken, zog Andreas Ladner ein etwas sibyllinisches Fazit. Aus gutem Grund: Denn einerseits sei er einfach zu weit weg von Grenchen, um sich ein abschliessendes Urteil zu erlauben. Andererseits hänge ein funktionierendes System von einigen Faktoren ab.
Zuvor hatte der Politikwissenschaftler eine Art Auslegeordnung vorgenommen: In der Schweiz gibt es knapp 500 Gemeinden mit einem Parlament (etwa jede fünfte Gemeinde). Prinzipiell gilt: Je grösser ein Ort, desto eher wurde die Gemeindeversammlung abgeschafft. Grenchen ist die achtgrösste Gemeinde, die sich noch eine solche «leistet». Dank der Gemeindeautonomie gebe es auch diverse Speziallösungen: Gemeinden mit Parlament und Gemeindeversammlung oder Orte, welche keine der beiden Organisationsformen kennen. Und dann ist Grenchen selber noch sehr speziell mit einem Gemeinderat, der weder reines Parlament noch reine Exekutive ist.
Kritisiert wird an den Gemeindeversammlungen, dass sie aufwendig, wegen der oftmals tiefen Beteiligung anfällig auf Mobilisierung seien und so von gewissen Gruppierungen instrumentalisiert werden könnten, und dass man sich exponieren müsse. Dazu kommt, dass sich offenbar jüngere Personen an einer Gemeindeversammlung schlicht nicht wohlfühlen. Die meisten Gemeinden haben mit Korrektiven (geheime Abstimmung, Urnenabstimmung für gewisse Geschäfte oder auf Antrag, Referendum) darauf reagiert.
Von einem Parlament erwarte man eine Steigerung des politischen Interesses, eine höhere Wahlbeteiligung und eine qualitativ bessere Politik. Zumindest für die ersten beiden Erwartungen gebe es keine oder nur marginale Zeichen, dass dem auch so sei.
Was also tun? «Es gibt leider – oder zum Glück – kein eindeutiges dafür oder dagegen», bilanzierte Andreas Ladner. Man müsse die Vor- und Nachteile abwägen und die politische Debatte darüber führen. Dies ist in Grenchen auch schon geschehen und geschieht offensichtlich noch immer. 1972 wurde die Einführung eines reinen Parlamentes an der Urne verworfen, vor einigen Jahren hat man sich wieder Gedanken darüber gemacht, nicht zuletzt aus Kostengründen die Idee aber nicht weiterverfolgt.
Als Aufmunterung für Befürworter eines Gemeindeparlamentes hatte Andreas Ladner ein Beispiel bereit: Wetzikon (ZH) brauchte acht Anläufe, um die Gemeindeversammlung durch ein Parlament zu ersetzen.