Gemeinderat
Wirtschaftsförderung sagt, wie es um Industrie und Gewerbe steht – und der Gemeinderat nutzt Diskussion für «Kropfleerete»

In der Grenchner Industrie sind ein Grossteil der Unternehmen in Kurzarbeit. Der Gemeinderat möchte sich dennoch vor allem um das Gewerbe kümmern.

Andreas Toggweiler
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Kurzarbeit und unsichere Märkte: Die Grenchner Industrie bekommt die Coronakrise zu spüren.

Kurzarbeit und unsichere Märkte: Die Grenchner Industrie bekommt die Coronakrise zu spüren.

Archivbild

Die Grenchner Industrie ist von der Coronakrise massiv betroffen. Dies das Fazit von Susanne Sahli, Wirtschaftsförderin der Stadt Grenchen. Sahli rapportierte ihren Befund anlässlich der letzten Gemeinderatssitzung. Unter dem Titel «Wirtschaftsförderung in Zeiten von Corona» berichtete sie über die Befindlichkeit bei Industrie und Gewerbe der Uhrenstadt.

Susanne Sahli ist seit September die neue Wirtschaftsförderin der Uhrenstadt.

Susanne Sahli ist seit September die neue Wirtschaftsförderin der Uhrenstadt.

Michel Lüthi

Seit Amtsantritt im vergangenen September bis Januar habe sie über 25 Industriefirmen besuchen und sich über die aktuelle Situation informieren können, berichtete Sahli. Der Befund ist ernüchternd:

Umsatzrückgänge bis zu 80 Prozent

  • Rund 85 Prozent der Firmen operieren im Kurzarbeitsmodus.
  • Die Umsatzrückgänge der Industriebetriebe betrage bis zu 80 Prozent, wobei das Gros bei Rückgängen von rund 20 Prozent liege.
  • Firmen mit Fokus Maschinenbau (Investitionsgüter) wie auch die Uhrenbranche seien von Umsatzeinbrüchen stärker betroffen als die Präzisionstechnik.
  • In einem Betrieb kam es zu Massenentlassungen (Mecaplex, Hersteller von Plexiglasscheiben für Flugzeugindustrien, Anm. der Redaktion).
  • 15 Prozent der Betriebe gaben an, einen Überbrückungskredit in Anspruch genommen zu haben.

Die Zahlen gilt es aber zu relativieren

Doch Sahli differenzierte auch: «Die Grenchner Firmen bezeichnen sich mehrheitlich als gesund.» Umsatzrückgänge in einem Bereich könnten oft in einer anderen Sparte teilweise aufgefangen werden.

Ein gutes Zeichen sei auch, dass Firmen ihre Bauprojekte in Grenchen weiter durchziehen. Allein in der Industriezone Neckarsulm sind zurzeit drei Projekte im Gang: Thommen Medical, Alpha Electronic und Sitec (Baugesuch für Erweiterung eingereicht). Es gebe auch weiterhin reichlich Anfragen für die noch verbleibenden Landreserven.

Anderseits hielt die Wirtschaftsförderin unmissverständlich fest:

«Wenn Instrumente des Bundes nicht mehr greifen, wird sich die Lage für viele dramatisieren.»

Das Gewerbe noch mehr angeschlagen als die Industrie

Für die Gewerbetreibenden, inklusive Detailhandel und Gastgewerbe, ist die Lage weitaus bedrohlicher. Die Betroffenen leiden nicht nur unter den Coronarestriktionen, sondern auch unter dem Formularkrieg und der Ungewissheit, bis wann der Lockdown aufgehoben wird und wann die beantragten Hilfen eintreffen.

Die Telefon-Hotline der Stadt für diese KMU, welche am 8. Januar eingerichtet worden sei, werde sehr geschätzt und helfe den Betroffenen nach Kräften. «Viele sind in einer existenziell bedrohlichen Lage», mahnte Sahli.

Tut die Stadt genug für das Gewerbe?

Die anschliessende Diskussion im Gemeinderat drehte sich in erster Linie um die besorgniserregende Lage des Detailhandels – gepaart mit impliziten Vorwürfen, die Stadt engagiere sich zu wenig für diese Branche.

«Ich möchte wissen, was konkret für den Detailhandel im Stadtzentrum gemacht wird», meinte etwa Reto Gasser (FDP), während Nicole Hirt (glp) gar meinte, die Wirtschaftsförderung Grenchen sei falsch aufgestellt. «Es ist falsch, sich jetzt um die Ansiedlung von Industriebetrieben zu kümmern, die ohnehin keine Steuern zahlen.» Die Stadt müsse den Fokus wieder auf die Standortförderung legen.

Wirtschaftsförderung oder Standortförderung?

Nach dem Weggang von Karin Heimann hatte die Stadt entschieden, die Bereiche Standort- und Wirtschaftsförderung zu trennen und nur die Wirtschaftsförderung im Mandat zu vergeben und die Standortförderung wieder mit eigenen Ressourcen abzudecken. Wie die Diskussion an der Gemeinderatssitzung zeigte, wird dieser Schritt hinterfragt – jetzt auch von Gemeinderatskommissionsmitgliedern, die daran beteiligt waren.

So oder so ähnelte die Diskussion etwas einer «Kropfleerete». Alex Kaufmann (SP) meinte, es gelte jetzt das Überleben der letzten Geschäfte im Stadtzentrum zu sichern. Er ortete das Problem in den zum Teil exorbitanten Mietzinsen, welche für die Ladenlokale verlangt würden. Das sehe man bei der seit Jahren leerstehenden ehemaligen CS-Filiale am Marktplatz. Stadtpräsident François Scheidegger gab ihm insofern recht, als er das Gefühl habe, auswärtige Liegenschaftsbesitzer seien an einer Vermietung gar nicht interessiert.

Was Ivo von Büren (SVP) zur Bemerkung veranlasste, dass sich Liegenschaften ohne eigene Parkplätze und Terrasse heute nicht mehr vermieten liessen.