Nicht weniger als 1360 Gräber werden auf dem Friedhof Grenchen aufgehoben. Die Stadt stösst offenbar Angehörige von Verstorbenen und Gärtner vor den Kopf. Hat sie es verpasst zu kommunizieren?
Thomas Egloff, Inhaber der Firma Egloff Gartenbau in Lengnau, ist aufgebracht. Der Grund: Im November 2021 erhielt er von der Stadtverwaltung Grenchen ein vertrauliches Schreiben, in dem er darüber informiert wurde, dass die Stadt plane, einen Teil der Gräber auf dem Friedhof aufzuheben.
Für ihn, der selber von 1986 bis 2017 als Grabstatt-Unternehmer, sprich Friedhofsgärtner und Totengräber auf dem Friedhof tätig war, Grund genug für eine Rückfrage bei der Stadt. Denn Egloff, der ein Gartenbauunternehmen führt, ist für die Instandhaltung und Bepflanzung von 560 Gräbern zuständig. Dies über Abos, die die Nachkommen vertraglich mit ihm abgeschlossen haben, die meist gleich zu Beginn der Laufzeit einmalig für die Dauer der Grabesruhe bezahlt werden.
Dieses Geld kommt auf dafür vorgesehene Konten, von denen Egloff jährlich einen entsprechenden Betrag abbucht. Wenn dann auf einen Schlag ein paar Hundert Gräber aufgehoben werden, für die eben solche Abos gelöst worden waren, sei es unerlässlich, dass die betreffenden Gärtner vorgängig darüber informiert würden, sagt Egloff. «Denn schliesslich plane ich die Bepflanzungen auch im Voraus, schaffe die entsprechenden Pflanzen und Blumen an.»
Doch von der Stadt hörte er erst, als der Artikel im Grenchner Tagblatt über die Grabaufhebung erschien – selbst eingeschriebene Briefe seines Anwalts Boris Banga ans Stadtpräsidium blieben unbeantwortet. Von den 560 Gräbern, die er pflegt, verliert er 242.
Jetzt muss Egloff knapp 40'000 Franken an Nachkommen von Verstorbenen zurückzahlen, die ein Abo gelöst und bis 2035 vorausbezahlt haben, weil sie nicht damit gerechnet haben, dass das Grab bis dahin aufgelöst wird. Dazu kommt, dass er rund 3000 Begonien entsorgen muss, die er für die Grabbepflanzung gezogen oder erworben hat, nebst all den anderen Blumen und Pflanzen für Grabschmuck, die bereits auf dem Kompost gelandet sind.
«Mir entgehen rund 70’000 Franken Umsatz jährlich, ich verliere etwa die Hälfte meiner Gräber, die ich gepflegt habe»,
sagt Thomas Egloff. Aber die Stadt kümmere das nicht.
Seine Grundlage für die vertraglichen Abo-Abschlüsse waren stets die jeweils gültigen Friedhofsreglemente. Das aktuelle Reglement der Stadt Grenchen stammt aus dem Jahr 2008 und wurde in einzelnen wenigen Punkten 2017 abgeändert und von der Gemeindeversammlung genehmigt. Ebenso das Gräber- und Grabmalreglement, das aus dem Jahr 2001 datiert und per 1. Juli 2017 aktualisiert wurde.
Laut Egloff haben sich zentrale Dinge verändert. Auch die Dauer der Grabesruhe. Während bis noch vor wenigen Jahren eine zusätzlich ins Grab gelegte Urne eines später verstorbenen Angehörigen eine Verlängerung, sogar Verdoppelung der Grabesruhe bedeutete, gilt jetzt nur noch die Restruhe des ersten dort Bestatteten – was von den Nachkommen mit Unterschrift auf einem Formular formell bestätigt werden soll.
Egloff hat aber ständig Anrufe von Kundinnen und Kunden, die offenbar nie ein entsprechendes Formular unterzeichnet haben, sich ziemlich überrumpelt fühlen durch die Gräberaufhebung und jetzt nicht wissen, wie weiter.
Er sehe nicht ein, sagt Egloff, dass das bei der Bestattung gültige Reglement dann für dieses Grab nicht auch für die ganze Laufzeit gelte. «Wenn ich von einer Gemeinde Land im Baurecht für 100 Jahre erhalte, darauf ein Haus baue und die Gemeinde dann die Dauer ihres Baurechts neu auf 50 Jahre festlegt, wird sie mir das Haus ja auch nicht über meinem Kopf abbrechen nach 50 Jahren.»
Und ausserdem sagt Egloff:
«Ich sehe nicht ein, weshalb man jetzt eine so grosse Zahl an Gräbern – 1360 – auf einmal aufheben muss, zumal es auf dem Friedhof noch genügend Platz für die nächsten 10 Jahre gibt und man die Grabstätten auch gestaffelt hätte aufheben können.»
Pro Jahr gebe es im Schnitt nur zwischen 160 und 178 Bestattungen, ein Grossteil der Verstorbenen werde seit fünf Jahren in den Wiesen- und Urnengräbern bestattet.
Ausserdem habe er den Friedhof noch nie in einem so desolaten Zustand gesehen, sagt Egloff. Ganze Flächen, die vor drei oder mehr Jahren aufgehoben wurden, seien völlig verwildert und es stehe etwa 1 Meter hohes Gras drauf. «Bei uns wären dort Neubepflanzungen hingekommen, wir achteten darauf, den Friedhof als Bijou schön zu behalten.» Das sei offenbar heute nicht mehr so wichtig.
Christian Schlup ist pensionierter Lehrer und sass selber bis vor etwa 25 Jahren im Grenchner Gemeinderat und der GRK, elf Jahre lang. Seine Eltern sind 1998 und 2004 gestorben, seine Frau starb 1985, sie liegen ebenfalls auf einem der Felder des Friedhofs, die jetzt aufgehoben werden.
Als Schlup von der Räumung erfuhr, traf er auf dem Friedhof einen Bekannten, dessen Frau vor 25 Jahren hier begraben wurde und in deren Urnengrab seine Tochter beigegeben wurde, die erst 2016 starb. Damals hatte er den Grabstein zum Bildhauer bringen lassen, der den zusätzlichen Schriftzug für ein paar Hundert Franken hinzufügte.
Heute sage dieser Mann, darauf hätte er verzichtet und seine Tochter woanders in ein eigenes Grab gelegt, wenn er gewusst hätte, was nun auf ihn zukomme. Denn eine Umbettung ist laut Reglement verboten.
«Ich habe daraufhin SVP-Gemeinderat Ivo von Büren informiert, weil das offenbar auch kein Einzelfall ist, dieser seinerseits wandte sich an Stadtpräsident François Scheidegger, gemeinsam kam es zu einem Augenschein.» Der Stadtpräsident habe daraufhin klar geäussert, die Grabaufhebungen müsse man sofort stoppen. Aber offenbar sei diese Information Mitte Mai schlicht nicht an die zuständigen Stellen weitergegeben worden. Und jetzt habe man den Salat.
«Mir kommt es vor, als wolle man das Ganze einfach aussitzen. Auch den Friedhof verkommen lassen, bis man gezwungen ist, etwas zu tun»,
sagt Schlup. Die Grabsteine seiner Eltern und seiner Frau hat er bereits zum Steinmetz bringen lassen, vielleicht gebe es irgendwann mal ein Vogelbad daraus.