Kaum jemand hat in Grenchen schon Dachse gesehen. Der Geselle ist sehr scheu. Mitten in der Stadt lebt er und ist nur nächtens unterwegs, um sich zu verpflegen. Mit Glück und Geduld gelingt ein kurzer Blick auf das vorsichtige Tier.
Es raschelt im Maisfeld. Bald ist Mitternacht, die Temperatur ist angenehm. Geräusche nähern sich der angrenzenden Strasse. Die hochgewachsenen Stängel bewegen sich im Schein der Strassenlampe und teilen sich schliesslich. Ein Dachs tritt aus der Pflanzung hervor. Schnuppernd hält er seine Schnauze in den Wind und überquert die zur späten Nachtstunde unbefahrene Strasse. Diese erste Begegnung mit Grimbart, wie der Dachs aus der Fabel bekannt ist, hat sich bereits vor einem Jahr zugetragen.
Kaum jemandem ist der Dachs aufgefallen
Statt Mais war heuer Weizen auf dem Feld gepflanzt. Lange hatte der Dachs sich nicht mehr gezeigt, bis er vor Wochen denselben Weg gegangen ist. Einige Meter hinter ihm tapsten zwei Jungtiere auf die Strasse. Die Anwesenheit des Raubtiers aus der Familie der Marder ist im Quartier kaum jemandem aufgefallen. Kein Wunder: «Der Dachs ist äusserst scheu», weiss der Stadtwildhüter Viktor Stüdeli und ergänzt, dass deshalb von ihm keine Gefahr ausgehe. Im Garten von Roland und Vreni Epple war der Dachs schon öfter zu Besuch. «Aufgefallen sind uns eines Morgens die vielen Löcher im Rasen», berichtete Roland Epple und zeigte mit der Hand die noch sichtbaren Spuren. Die etwa 5 cm breiten Vertiefungen im Rasen sind keineswegs angefangene Dachsbauten. Sie stammen von der Nahrungssuche. Der an der Oberseite Silbriggraue, mit der schwarz-weissen Zeichnung am Kopf, ist fast ausschliesslich nachtaktiv. Er sucht nach Würmern, sticht mit der Schnauze in den Rasen und schnappt sich Regenwürmer und Insektenmaden. Auch Käfer frisst er, Wespennester, Beeren und Fallobst, macht sich aber nichts aus Zivilisationsabfall, welcher in Plastiksäcken am Strassenrand deponiert ist.
Bauten mitten in der Stadt
Epple hatte sich kundig gemacht und erwähnte die Empfehlungen des Oeko-Forums der Stadt Luzern. Diese Umweltberatung hat im Internet zur Thematik einen Bericht veröffentlicht. Bei Epples ist der Dachs seit letztem Sommer nicht mehr aufgetaucht. Mitten in der Stadt, kaum 20 Meter von der Strasse entfernt, hat ein Stadtdachs einen Bau errichtet. Gut sichtbar sind die beiden Erdhaufen und der Einstieg in den Bau. Peter Wolf, der für den Unterhalt der brachliegenden Fläche verantwortlich ist, hat ein Loch versuchsweise zugeschaufelt. Am andern Tag war der Zugang zum Bau wieder frei; seither lässt er die scheuen Tiere gewähren. Unweit der reformierten Kirche gibt es ein Privatgrundstück mit einem grossen Areal, das Freiflächen bietet und teilweise auch von Bäumen bestanden ist. Es ist anzunehmen, dass dort auch Dachse hausen. Verschiedene Bauten sind vorhanden. Es ist bekannt, dass Füchse und Dachse die Erdlöcher gelegentlich gemeinsam bewohnen.
140 Dachse im Zürcher Stadtgebiet
Der Allesfresser besiedelt meist hügelige Landschaften mit Waldungen, Gehölzen oder Hecken und ist in Siedlungsnähe selten zu finden. Zwar leben auf Zürcher Stadtgebiet beispielsweise neben 700 Füchsen auch 140 Dachse. Diese meiden jedoch das Stadtzentrum und leben in den Wäldern am Zürichberg und am Üetliberg. Dass Grenchen für Grimbart attraktiv ist und dass er sich in bester Wohnlage sein Höhlensystem gebaut hat, ist eine Rarität.
Der Europäische Dachs ist zwischen 60 und 80 cm lang und wird bis zu 17 kg schwer. Typisch sind die beiden schwarzen Längsstreifen über Augen und Ohren am weissen Kopf. An den Vorderbeinen hat der Dachs starke Grabkrallen, er ist Allesfresser und ein Dämmerungs- und Nachttier.