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In diesem Sommer und Frühherbst waren Mittelmeermöwen öfters in Grenchen zu sehen als auch schon. Der Grund: Der Vogel ist inzwischen bei uns heimisch geworden und macht den wesentlich kleineren Lachmöwen Konkurrenz.
Wer hat nicht auch schon erlebt, dass er oder sie frühmorgens beim Aufwachen, also noch vor dem Öffnen der Augen, sich irgendwo am Meer wähnt – insbesondere wahrscheinlich diejenigen, die in diesem Sommer auf Ferien in südlichen Gefilden verzichten mussten oder verzichtet haben. Verantwortlich dafür sind die grossen Möwen mit ihren charakteristischen, klagenden Rufen, die sich immer öfters entlang der Aare aber auch in der Stadt aufhalten.
Es handelt sich dabei um die Mittelmeermöwe, die sich in der Schweiz und Europa ausbreitet, erklärt Livio Rey von der Vogelwarte Sempach. Nicht zu verwechseln mit der Silbermöwe, die an praktisch allen Küsten im Norden Europas in der Nähe von Küstenstädten und Häfen anzutreffen ist, deren Ruf sich aber kaum von dem der Mittelmeermöwe unterscheidet.
An Schweizer Seen kann man drei Möwenarten oft in stattlicher Zahl antreffen: die Lachmöwe, die Mittelmeermöwe und die Sturmmöwe. Andere Möwenarten sind nicht sehr häufig zu beobachten, wie beispielsweise die Zwergmöwe, die man am Genfersee weit draussen beobachten kann, oder die Schwarzkopfmöwe. Von dieser Art brüten vereinzelte Paare am Neuenburgersee.
Die grösste aller europäischen Möwenarten, die Mantelmöwe, kommt nur im Winter ganz selten in der Schweiz vorbei, sie lebt fast ausschliesslich an den Küsten Europas.
Bei uns hingegen weit verbreitet und das ganze Jahr anzutreffen ist die Lachmöwe. Mit einer Spannweite von rund 80 Zentimetern bis zu einem Meter und einem braunen Kopf – im Winterkleid ganz weiss –, kennt man die Tiere als ausgezeichnete Flieger und Segler. Insbesondere an Seeufern nützt die Lachmöwe die starken Westwinde aus, um kunstvoll durch die Luft zu gleiten oder an Ort und Stelle zu fliegen. «Nicht wegzudenken sind die akrobatischen und geschickten Flüge der Lachmöwen, mit denen sie blitzschnell das den Enten zugeworfene Brot noch in der Luft wegschnappen. Auch sonst fällt für die Nahrungsopportunisten in Siedlungsnähe vieles ab», heisst es zu dieser Möwe auf der Website der Vogelwarte Sempach.
Die Lachmöwe ist in der Schweiz auf der Roten Liste und gilt als stark gefährdet. «Sie brütet in der Schweiz an wenigen Seen und in Feuchtgebieten im Mittelland. Die aktuellen Brutplätze liegen auf Flössen und Plattformen, aber auch auf künstlich angelegten Inseln, Molen, Dämmen und selten in überspülten Riedwiesen. 2013–2016 waren es jährlich 563–800 Paare in 14–16 Kolonien», heisst es dazu auf der Website.
Die Mittelmeermöwe ist mit 1,20 m bis 1,40 m Spannweite um einiges grösser als die Lachmöwe. Sie bringt bis 1,5 Kilo auf die Waage, die Lachmöwe ist mit bis zu 350 Gramm ein Fliegengewicht im Vergleich. Die Mittelmeermöwe gilt als nicht gefährdet. Rund 80 % der zwischen 1240 und 1450 Brutpaare in der ganzen Schweiz sind rund 35 Kilometer von Grenchen entfernt am Neuenburgersee heimisch und sind auch in Städten, die nicht an Seen liegen, wie Bern, Grenchen und Solothurn immer öfters zu sehen.
Die dritte Möwenart, die Sturmmöwe, ist ebenfalls etwas grösser als die Lachmöwe. Mit einer Spannweite von 1,08 m bis 1,20 m bringt sie allerdings nur unwesentlich mehr auf die Waage: 300–500 g. Diese Möwenart ist ein häufiger Wintergast, sozusagen ständig auf der Durchreise. Aber auch diese Art steht bei uns auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.
Es ist also die Mittelmeermöwe, die uns mit ihren Rufen aus den Federn holt. Aber weshalb verbreitet sich diese Art in den letzten Jahren so stark? «Die Möwe passt sich dem Menschen an. Auf frisch gepflügten Feldern findet sie Nahrung in Form von Würmern und anderen Kleintieren, im Siedlungsgebiet sind es weggeworfene Nahrungsmittel und Abfall, der sie anzieht», erklärt Rey. In südlichen Ländern bevölkern die Vögel Müllhalden zu Tausenden. Die gibt es ja bei uns zum Glück nicht.
Und doch scheint diese Möwenart bei uns einen gedeckten Tisch vorzufinden, sodass sie sich vermehren und genügend Nahrung für ihren Nachwuchs finden kann.
Ursprünglich stammt die Mittelmeermöwe – wen wundert’s bei diesem Namen – aus dem Mittelmeerraum und Nordafrika und breitet sich seit den Sechzigerjahren kontinuierlich über ganz West-, Mittel- und Südeuropa aus. Bis in die 90er-Jahre wurde der grosse Vogel Weisskopfmöwe genannt. Ab 1996 unterscheidet man zwischen der weiter im Osten lebenden Steppenmöwe und der Mittelmeermöwe, die unseren Siedlungsraum bevölkert.
Die Vogelwarte Sempach nennt sie einen Zivilisationsfolger. Der älteste freilebende Vogel, den man beringt hatte, wurde über 18 Jahre alt. Das Durchschnittsalter dürfte aber wesentlich tiefer liegen. Livio Rey bestätigt, dass die Mittelmeermöwe ein sehr anpassungsfähiger Vogel sei, der es unter anderem auch gelernt hat, auf Flachdächern zu brüten. Die Vögel können aber auch an denselben Orten brüten, wie die Lachmöwen und diese verdrängen.
Wobei Rey relativiert: «Der Mensch hat einen viel grösseren Einfluss auf die Entwicklung der Populationen, indem er die Lebensräume der Vögel zerstört.» So seien die typischen Brutplätze der Lachmöwe beispielsweise überflutete Gebiete, von denen es nur noch wenige gibt, weil die meisten Gewässer korrigiert sind und keine Überflutungen mehr stattfinden. Dazu kämen die verschiedenen Aktivitäten der Menschen auf Seen und Flüssen, welche die Vögel während der Mauser und in der Brutzeit unnötig stören: Badegäste, Stand-Up-Paddler, Kitesurfer und Böötler, die zu nahe an die Uferschutzzonen heranfahren.
Schnepfen und Regenpfeifer sind auf ihrer Reise von Nordeuropa und
der Arktis nach Afrika auf nasse Wiesen und Äcker als Rastplätze
angewiesen. Diese sind in der Schweiz jedoch vielerorts trockengelegt
worden. Um den Vögeln auf Ihrer Reise das Erholen zu ermöglichen,
werden von August bis Oktober 5 Hektar Kulturland bei Yverdon-lesBains geflutet.
Watvögel, zu denen die Schnepfen und Regenpfeifer gehören, sind
nur etwa starengross, legen während des Zugs aber mehrere Tausend Kilometer zurück
und vollbringen damit wahre Meisterleistungen. Im Frühling und Herbst überqueren sie zu
Tausenden auch die Schweiz.
Dabei sind gute Raststätten unentbehrlich, denn sie bieten Nahrung und Ruhe. Wie wir
Menschen auch, brauchen die Vögel auf ihren Reisen zwischendurch eine Pause, um zu
fressen, sich zu putzen und sich zu erholen. Umso mehr, weil sie im Gegensatz zu uns
diese beschwerliche Reise über mehrere Tausend Kilometer aus eigener Kraft zurücklegen!
Die meisten Watvögel bevorzugen zum Rasten flache Gewässer und feuchten, weichen
Boden, in welchem sie nach Insekten und Würmern stochern können. Diese Raststätten
sind in der Schweiz jedoch rar geworden, da Flüsse begradigt, Feuchtbiotope entwässert,
Seen reguliert und feuchte Böden für die Landwirtschaft trockengelegt wurden.
Um dies zu ändern, werden in Yverdon von August bis Oktober 5 Hektar Kulturland
vorübergehend geflutet. Landwirte, Vogelschützer und die Stadtbehörden arbeiten seit 2015
Hand in Hand, um als gute Gastgeber den Watvögeln auf dem Zug einen guten Rastplatz
anzubieten. Das Projekt wird namentlich von der Schweizerischen Vogelwarte Sempach,
der Gesellschaft „Nos Oiseaux“, dem Verein CH Club 300, der Stiftung Montagu, der Stadt
Yverdon, dem Kanton Waadt und dem Bund unterstützt.
„Die temporär überflutete Fläche ist der beliebteste Rastplatz für Watvögel in der Schweiz!“, freut sich Pierre Iseli von der Vereinigung „Limikolen-Rastplätze und Landwirtschaft“ und
Mitinitiator des Projekts. Seit Anfang August rasten hier täglich bis zu 120 Watvögel aus 20
verschiedenen Arten, darunter auch Seltenheiten wie der Sichelstrandläufer. Diese Art legt
in Yverdon einen Zwischenstopp ein, um von ihren Brutgebieten in der russischen Arktis in
das über 4 000 Kilometer entfernte tropische Winterquartier in Westafrika zu fliegen.
Neben den Vogelzählungen werden auch Untersuchungen zu den Auswirkungen auf die
Böden durchgeführt. Die Projektdauer ist aber noch zu kurz, um eine mögliche Erhöhung
der Fruchtbarkeit der Böden durch die temporäre Überflutung festzustellen. Dies wäre ein
willkommener Nebeneffekt des Projekts. Denn dann würden alle profitieren – die Landwirte
in Yverdon und die Zugvögel aus der Arktis. (Quelle: Vogelwarte Sempach)