Grenchen
Findet die staunende Berta jetzt im Kanton Bern die letzte Ruhestätte?

Die «Staunende Berta» verlässt am Mittwoch Grenchen – ihre Erbauerin und «Mutter» Marianne Flück-Derendinger holt sie heim nach Wangen an der Aare. Sie hofft, dass die 6,5 Tonnen schwere Skulptur den Transport übersteht.

Oliver Menge
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Die «Staunende Berta» und ihre «Mutter», Marianne Flück-Derendinger.

Die «Staunende Berta» und ihre «Mutter», Marianne Flück-Derendinger.

Oliver Menge

Die «Staunende Berta» war in den letzten Jahren immer wieder Gesprächsthema, sei es in den Medien, SMS-Spalten oder am Stammtisch. Oft wurde über sie geschimpft, wenn sie an einen neuen Standort kam, oft wurde gelästert, wenn eine Renovation fällig wurde, oft wurde gelobt, weil man das Urweib einfach mochte. Aber eines war auf ihrer ganzen Reise zu den diversen Standorten klar: Gleichgültig liess sie niemanden.

Am Mittwochmorgen tritt die blaue Figur ihre letzte Reise an: Die Künstlerin Marianne Flück-Derendinger, nach wie vor Eigentümerin, holt sie heim nach Wangen a/A, nachdem am 7. November eine Brust abgefallen war und man in der Stadt entschied, auf eine nochmalige Renovierung zu verzichten. Denn Berta ist innerlich verfault.

Gebaut für Plastikausstellung

Berta hat eine bewegte Geschichte, wie ihre Erschafferin erzählt: 1996 war Flück-Derendinger eine von rund 70 Künstlern aus der ganzen Schweiz, die von der Stadt Biel eingeladen wurden, um anlässlich der 10. Plastikausstellung Skulpturen oder Installationen auszustellen. Ihre Eingabe – die Idee der staunenden Berta – wurde von der Jury gutgeheissen und ihr sei von Anfang klar gewesen, dass die Skulptur gross, sehr gross werden müsse. Die Skulptur wäre auf den Bieler Burgplatz zu stehen gekommen, «als Urweib, das aus dem Jura in die Stadt kommt und über die kleinen Menschen staunt, die da auf dem Märit herumwuseln und ihre Dinge verkaufen», erklärt die Künstlerin.

«Durch die Grösse stellte sich das erste Problem: Wo herstellen?», erzählt Flück-Derendinger. Unmöglich, eine Skulptur derartiger Grösse bei sich zu Hause zu fertigen. Sie kam irgendwann auf die Idee, bei der Brienzer Schnitzerschule anzufragen.

Zur Finanzierung des Projekts stellte Flück-Derendinger Holzschnitte und Zeichnungen von Berta her, die an Interessierte und Gönner verkauft wurden. Der Kanton Solothurn kaufte der Künstlerin eine andere Figur ab, die «Susanna», welche nun in der Fachhochschule für Pädagogik – dem ehemaligen Seminar – unter einer Treppe versteckt ist.

Eine Zimmerei in Brienz setzte die Klötze aus aargauischem Holz – Berta besteht aus Weymouthsföhre – zusammen. Die Balken wurden nicht wie üblich kreuzverleimt, sondern alle in dieselbe Richtung gelegt. Das führte zu Spannungen im Holz und später zu Rissen. Zudem seien schon bei der Trocknung des Holzes Fehler passiert und im Innern wurde Nässe eingeschlossen. Probleme, die Berta bis jetzt begleiteten, so die Künstlerin.

Zehn Wochen lang wurde geschlagen, geschnitten und geformt. Berta wurde geboren. Und just am Tag der Fertigstellung kam der Brief aus Biel: Die 10. Plastikausstellung wurde abgesagt, weil die Finanzen fehlten.

Beginn einer langen Reise

Bis Frühling 1998 blieb Berta in Brienz. Marianne Flück-Derendinger verpasste ihr noch dort die blaue Farbe. Nur: Inzwischen hatte ein Schreiner die entstandenen Spalten im Holz mit Silikon aufgefüllt. Und da sich die beiden Materialien unterschiedlich ausdehnen, traten an ihrem ersten Ausstellungsort auf dem Riedholzplatz schon nach zwei Monaten die ersten farblichen Probleme auf: «Berta sah aus wie ein Zebra! Die Farbe brach bei den Silikonstellen auf. Ich verbrachte unzählige Stunden bei ihr und kratzte mit Spachtel und Messer das Silikon aus den Spalten.»

Der Riedholzplatz in Solothurn war die erste Station einer längeren Reise, die von viel Missgunst begleitet war. «Berta war noch nicht auf dem Boden, als schon die ersten Altersheimbewohner sich beschwerten. Unterschriften wurden gesammelt, man wollte einfach diese ‹gruusige› Figur nicht in der schönen Solothurner Altstadt.» Nicht etwa, dass dies der Künstlerin viel zu schaffen gemacht hätte. «Kritik und Gerede passierte auch ‹hingenume›, damit hatte ich mehr Mühe.»

Nach genau einem Jahr in der Altstadt ging Berta für ein halbes Jahr im Rahmen einer Ausstellung nach Balsthal. Dann meldete sich die ehemalige Direktorin der Zentralbibliothek, welche die Figur unbedingt vor dem Gebäude aufstellen wollte. Also kam sie wieder nach Solothurn. Die Künstlerin «entführte» sie etwas später nochmals, Berta stand für fast zwei Jahre im Rahmen eines Kunstwegs mitten auf einer Wiese, «eine blaue Kuh, die weidet, so kam sie mir vor».

Zurück an ihrem Standort bei der Zentralbibliothek dauerte es nicht mehr lange: Just an ihrem 50. Geburtstag erhielt die Künstlerin den Anruf, Berta müsse dort weg. Nach einem unschönen Briefwechsel holte Flück-Derendinger Berta in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Hause, unterzog sie später einer Renovation. Die Stadt Solothurn konnte sich zunächst nicht zu einem neuen Standort durchringen, Ideen vom Märetplatz und der Schanze wurden verworfen. Schliesslich logierte Berta bis 2010 beim Ramada-Hotel. «Und auch hier gab es Widerstand.»

Grenchen gewährt «Asyl»

Ende 2009 habe dann Boris Banga sein Interesse angemeldet, Berta in Grenchen ein neues Zuhause anzubieten. Und im Gegensatz zu Solothurn war Grenchen auch als einzige Stadt bereit, sich finanziell an Transport und Montage zu beteiligen und sogar die notwendigen Renovationen zu übernehmen. «Ich fühlte mich nirgends so respektiert und ernst genommen, wie hier in Grenchen: Sogar den Standort durfte ich wählen», so die Künstlerin.

Nun also der letzte Akt: Marianne Flück-Derendinger hofft, dass die Figur den Umzug ganz übersteht: «Gut möglich, dass die rund 6,5 Tonnen schwere Figur auseinanderbricht, wenn wir sie am Kran anhängen.»