35 Jahre lang war Othmar Dellsperger Platzspeaker bei allen Heimspielen des FC Grenchen. Doch nun hängt er diesen Job an den Nagel. So ist das unverkennbare «Hopp Gränche, hopp, hopp» aus der Kabine über der Tribüne nun Vergangenheit.
«Hopp Gränche, hopp, hopp!» - Ende Juni ist Schluss mit dem unverkennbaren Anfeuerungsruf aus der Kabine hoch über der Zuschauertribüne. Seit 35 Jahren war Othmar Dellsperger Platzspeaker bei allen Heimspielen des FC Grenchen, ebenso während vieler Jahre beim Uhrencup. «Die Spiele, an denen ich gefehlt habe, kann man an einer Hand ablesen», sagt der Mann, dem man die 69 Jahre nicht ansieht.
Angefangen habe eigentlich alles per Zufall, sagt er. Sein Vorgänger, Kurt Weissbrodt, hatte nach rund 30 Jahren Speakertätigkeit aufgehört. Der Club probierte daraufhin etliche Kandidaten aus, unter anderem auch Dagobert Cahannes, der später eine steile Karriere machte. Warum es mit keinem der Interessenten klappte, weiss Dellsperger nicht.
«Eines Abends nach dem Training - ich war selber aktiver Fussballer beim FCG in der 4. Liga und kurzzeitig sogar Ersatz in der 3. Liga - wurde ich gefragt, ob ich es nicht mal versuchen wolle.»
So rutschte er rein in den Job - und hatte gleich beim ersten Match seinen ersten Versprecher. Beim Runterlesen der Mannschaftsliste auf Hochdeutsch - das war damals noch üblich - hörte das Publikum, als er fast am Ende angelangt war: «Nummer Wirth: 11.» «Alle haben schallend gelacht - und ich musste das noch ein paar Jahre lang hören.»
Auch sonst erlebte Dellsperger in den Jahren viel und kann einige Müsterchen erzählen. Zum Beispiel begrüsste er Bundesrat Willi Ritschard anlässlich eines Uhrencupspiels auf der Tribüne mit den Worten «Grüessech, Herr Bundesrat», worauf ihm der 2-Meter-Mann ein freundliches «Grüess di» entgegnete.
Auch andere Prominente lernte er während der Zeit kennen, wie zum Beispiel Sascha Ruefer, damals noch Sportjournalist beim Bieler Lokalradio Canal 3, der später beim FC Grenchen die Geschäftsleitung übernahm, dem Uhrencup neuen Wind einhauchte und jetzt beim Schweizer Fernsehen die Spiele der Nationalmannschaft kommentiert.
Als der FCG in die NLA aufstieg
Höhepunkt seiner Karriere sei die Saison 85/86 gewesen, als der FC Grenchen in die Nationalliga A aufstieg, erzählt Dellsperger. Beim ersten Spiel gegen Xamax sei ihm die Zuschauerzahl durchgegeben worden: 8500 Zuschauer besuchten das Spiel. Kurze Zeit später teilte ihm jemand mit, dass man noch 2000 aus dem Vorverkauf vergessen hatte ...
«Von solchen Zuschauerzahlen kann man heute nur noch träumen. Leider stieg der FCG gleich in der nächsten Saison wieder ab, zwei Schlüsselspieler in der Verteidigung hatten sich schwer verletzt, Stohler und Born, und schliesslich fehlten etwa drei Punkte für den Ligaerhalt.»
Mühe mit Hooliganismus
Othmar Dellsperger hat die ganzen Jahre keinen Rappen verdient, immer ehrenamtlich gespeakert. Vor rund einem Jahr kündigte er seinen Rücktritt an. «Ich habe langsam Abnützungserscheinungen», sagt er.
Die Entwicklung im Fanbereich und die zunehmende Gewaltbereitschaft machen ihm zu schaffen. Dass man sich jetzt schon in der 1. Liga mit Hooligans auseinandersetzen müsse, mache ihm extrem Mühe. «Ich höre auf, bevor ich den Fans übers Mikrofon dafür danken muss, dass sie sich anständig aufgeführt haben.»
Auch sei das Publikum ziemlich phlegmatisch geworden. «Früher, da war Stimmung im Stadion. Wenn ein Tor fiel, gab es Torjubel. Heutzutage muss man es den Leuten schon fast mit einem Schriftzug im Stadion anzeigen, wenns ein Goal gibt.» Auch fehlten die Originale, die früher bei jedem Spiel anzutreffen waren. «Wer heute originell sein will, der lässt eine Rauchpetarde ab. Damit kann ich wenig anfangen.»
Grenchner Sponsoren versagten
Was ihm auch zu schaffen mache, seien die Ereignisse rund um die Klubführung in der letzten Zeit und das Verhältnis der Grenchner zum FCG. Seit dem Rückzug des ehemaligen Hauptsponsors Erb sei die finanzielle Lage immer prekärer geworden.
14 Jahre lang war Lilo Dells-
perger Spiko und Sekretärin des FCG. Als Spiko war sie verantwortlich für die Mannschaftsmeldungen, die Betreuung des Clubcorners, einem Organisationssystem des Fussballverbands für Mitgliederverwaltung, Spielbetrieb und Administration der Mannschaften, für die Organisation der Anspielzeiten, Kontakte mit Gegnermannschaften und, und, und. Neun Mannschaften, davon sieben Juniorenmannschaften, waren in ihrer Obhut. Sie war auch Vorstandsmitglied des FC Grenchen, aus dem sie allerdings von Geschäftsführer Paul Kocher erst kürzlich rausgeworfen wurde.
Rausgeworfen? Als es letzten Sommer zwischen Bieri und dem damaligen Trainer Max Rüetschli zum Eklat kam (wir berichteten), war auch sie an den Gesprächen beteiligt. Rüetschli wurde entlassen, Sportchef Peter Baumann quittierte in der Folge ebenfalls den Dienst. Damals hatte Lilo Dellsperger sich einige Tage Auszeit ausbedungen, um in Ruhe über ihre eigene Zukunft im Klub zu entscheiden, weil sie sich das unter dieser Führung nur schwer vorstellen konnte. Sie entschied sich, doch weiterzumachen.
Vor ein paar Wochen wurde dann bekannt, dass sich eine Investorengruppe für den Club interessiert. Man berief eine ausserordentliche Generalversammlung ein. «Ich nahm an, dass diese neuen Leute auch im Vorstand vertreten sein würden, wusste aber nicht, ob es bei einem Fünfergremium bleiben würde oder ob der Vorstand erweitert würde. Alle diesbezüglichen Fragen wurden vom Geschäftsführer stets abgeblockt.»
Drei Tage vor der ausserordentlichen Generalversammlung vor zwei Wochen präsentierte ihr Kocher ein unvollständiges Organigramm, auf dem ihr Name nicht mehr aufgeführt war. Kocher konnte oder wollte auch die Frage nicht beantworten, welche Funktionen Lilo Dellsperger in Zukunft noch haben werde. «Da habe ich mich entschieden, mein Amt per Ende Juni niederzulegen.»
Der FC Grenchen verliert eine Perle, sagen jetzt viele FC-Anhänger. Ihren Job habe sie immer hervorragend gemacht - das beweist auch die Tatsache, dass sie nur ein paar Tage nach Bekanntgabe ihrer Demission bereits ein Jobangebot eines anderen Fussballklubs erhielt.
«Der Rauswurf aus dem Vorstand ist mir egal. Was mich aber wirklich ärgert: Angesichts der prekären finanziellen Situation des Clubs habe ich 14 Tage vor der ausserordentlichen GV auf mein bescheidenes Gehalt von November 2013 bis Juni 2014 verzichtet. Und das ärgert mich jetzt grausam!» (om)
«Es gab einige Grenchner, die immer wieder sagten: ‹Zeigt zuerst einmal eine gute sportliche Leistung, wir kommen dann schon und investieren›. Die letzten zwei Saisons verliefen aus sportlicher Sicht sehr gut. Gekommen ist aber dann doch keiner. Man liess den Klub und die Klubleitung einfach im Regen stehen.»
Ohnehin sei der Zuschauerschwund bedenklich, sagt Dellsperger. «Man kann dem Publikum alles Mögliche bieten. Selbst wenns auch sportlich rund läuft und man Erfolge verbucht, sieht man im Stadion doch nur immer dieselben wenigen Leute. Wahrscheinlich ist das Angebot im Fernsehen und Internet an nationalem und internationalem Fussball einfach zu gross, als dass man sich noch für seinen Heimklub interessiert.»
Eine Nachfolge für ihn sei nicht in Sicht, glaubt er. «Eine Blutauffrischung wäre gut, jemand Jüngeres, der vielleicht anders, etwas lockerer und den heutigen Begebenheiten angepasster speakert.»
Entscheidung ist definitiv
Seine Entscheidung sei endgültig. «Fertig ist fertig. Es war eine schöne Zeit, aber eben: Es wurde immer schwieriger in den letzten Jahren.» Nicht zuletzt auch deswegen, weil seine Frau von den Querelen in der Klubleitung der letzten Monate direkt betroffen ist und ebenfalls ihre Demission eingereicht hat.
«Wir haben bisher unsere Ferien immer auf den FCG ausgerichtet und hatten wenig Freizeit. Wir waren auch ein gutes Team und haben gut zusammengearbeitet. Da sie als Spiko aufhört, müsste ich mich noch auf jemand Neues einstellen, und darauf habe ich wirklich keine Lust. Jetzt freuen wir uns darauf, mehr Zeit für uns selber zu haben und uns nicht mehr ständig nach dem Spielplan orientieren zu müssen.»
Man werde Dellspergers auch weiterhin ab und zu im Stadion antreffen, sagen die beiden langjährigen FCG-Ikonen. «Aber jedes Heimspiel werden wir uns wohl nicht mehr anschauen gehen.»