Zu den Lebenserinnerungen des Grenchner Uhrenarbeiters Adolf Gschwind (1886-1966) ist ein Buch erschienen.
Arbeiterinnen und Arbeiter haben nicht so selten schriftliche Lebenserinnerungen hinterlassen, wie man gemeinhin glauben könnte. Meistens erzählen sie darin von ihrem gewerkschaftlichen oder politischen Engagement als Sozialdemokraten oder Kommunisten. Nicht wenige von ihnen machten eine politische Karriere in der Partei (SP, PdA) oder im Gewerkschaftsapparat. Sie vertauschten den Blaumann mit einem feineren Stoff.
Anders verhält es sich beim Grenchner Uhrenarbeiter Adolf Gschwind (1886–1966), der interessante, noch heute lesenswerte Lebenserinnerungen hinterlassen hat und sich darin auch zur «grossen Politik», beispielsweise zum Russisch-Japanischen Krieg von 1905 äussert. Eindeutig sozialdemokratische Positionen kommen im Text aber nur sehr selten vor, was nicht heisst, dass Adolf Gschwind unsensibel war gegenüber sozialer Ungerechtigkeit oder wirtschaftspolitischen Fragen. Er war aber wohl kein Parteifusssoldat.
Gschwind interessierte sich mehr für die gewaltigen baulichen Veränderungen, die seine Heimatstadt Grenchen mit seinen ca. 5000 Einwohnerinnen und Einwohnern im Laufe seines Lebens durchlaufen hat, für Bräuche, «Originale» im Stadtleben oder für die Arbeitsvorgänge als Uhrenmacher in seiner «geschätzten» Fabrik ETA-AG, der er bis zum dreiundsiebzigsten Lebensjahr treu blieb (1901-1959).
Adolf Gschwind war ein geschickter Arbeiter und beherrschte sein Metier, das gute Augen und eine behände Feinmotorik erforderte. Wie sah nun Adolf Gschwinds Leben aus, welchen Dingen widmete er seine Aufmerksamkeit als Autor?
Adolf Gschwind wurde im Jahre 1886 als Sohn des Grenchner Laternenanzünders geboren. Seine Kindheit und Jugend waren von Armut gekennzeichnet, die damals durchaus typisch war für die schweizerischen Unterschichten. Das Holzhäuschen etwas unterhalb des «Bellevue» war sehr primitiv.
Warum verfasste Adolf Gschwind Lebenserinnerungen?
Konkreter Anlass dafür war sein vierzigjähriges Dienstjubiläum in der ETA. Gschwind wollte Bericht erstatten «von der guten alten Zeit». Es sei nicht seine Absicht gewesen, «meine Wenigkeit in den Mittelpunkt zu stellen». Ziel war es vielmehr, ein wahrheitsgetreues Bild aus den Jugendjahren und aus den Arbeiterjahren in der Fabrik zu zeichnen.
In die Schule ging Adolf einerseits gerne, andererseits auch ungern, «musste doch ein schönes Stück der goldenen Freiheit geopfert werden». Der Bub lernte auf einer Schiefertafel schreiben und in einem interessanten Büchlein lesen. Die Pause nützte die wilde Schar zum Toben und zum Lärmen. Die Buben ab der «Schmelze» erwiesen sich als echte «Wildlinge» und Draufgänger. Sie übten sich im Murmelspiel, die Mädchen im Seilspringen.
Die Grenchner Buben waren neugierig und erkundeten die Welt um sich herum, die sich rasant schnell veränderte. So waren sie eigentliche Technikfreaks und bewunderten beispielsweise die neuen Lokomotiven, die sie regelrecht «gefangennahmen». Im Winter tummelten sich die Grenchner Knaben im Schnee und veranstalteten waghalsige Schlittelfahrten.
Vom Skifahren wussten sie noch nichts. Dennoch kann gesagt werden, dass der Sport bereits um 1895 eine gewisse Rolle in der Lebenswelt der Heranwachsenden spielte. Nicht nur die Bahn brachte den spürbaren Fortschritt nach Grenchen. Auch gebaut wurde fleissig, so die Neue Post, deren Fassade bürgerlichen Geschmack repräsentierte.
Für einige Abwechslung vom manchmal etwas eintönigen Alltag sorgten fremde Spielleute, so ein Dudelsackpfeifer, dem die Jungmannschaft gebannt zuhörte.
Aber auch das Grenchner Festleben hatte es um die Jahrhundertwende in sich. Grenchen habe «keine Festgelegenheit unbenützt vorüberziehen» lassen, so Adolf Gschwind. Die vielen Vereine wetteiferten miteinander um die Gunst des Publikums mit Theaterstücken, Umzügen oder sportlichen Darbietungen. Musiker spielten zum Tanz auf. Dass dabei der Alkohol in Strömen floss, versteht sich von selbst. Nach der obligatorischen Schulzeit hiess es auch für Adolf Gschwind, in die Berufswelt einzutreten. Der Vater hielt eine Bürostelle für geeignet, der Sohn schätzte seine Freiheit, wollte indessen lieber Uhrmacher werden. Er wollte eine Lehre absolvieren, zum Missfallen der Mutter, die ihn als «Kommissionär» (Boten) in die Uhrenfabrik schickte. Doch hielt der Prinzipal Gschwind für zu «gering», er solle essen und turnen und in einem Jahr wieder erscheinen.
Adolf Gschwind war ob dieses Fehlstarts ins Berufsleben sehr enttäuscht. Er fand schliesslich Arbeit in einem anderen Atelier (Gebr. Schild & Cie.), wo es ihm recht gut gefiel. In die Fabrik Eterna trat Gwschind dann im Jahre 1901 ein. Er avancierte doch noch zum fähigen und fleissigen Uhrmacher.
In seinen Erinnerungen beschreibt er das Fabrikgebäude, die Beleuchtung, das Fabrikleben und technische Details der Uhrenherstellung. Weniger bekommt der Leser von unzufriedenen Arbeitern mit oder auch vom Generalstreik 1918. Der schreibende Uhrmacher Adolf Gschwind bewegte sich zwar am Puls der Zeit, leistete aber recht wenig Widerstand gegen eine doch feststellbare Ausbeutung. Denn eine Luxusuhr war nur dem Grossbürger zugänglich. Der Lohn der Uhrmacher hingegen blieb tief.
Hinweis: *Der Autor ist freischaffender Historiker und Buchautor. Quelle: Gschwind, Adolf. Erinnerungen eines ETA-Arbeiters. Erläutert und ergänzt von Rebekka Meier. Grenchen 2014. 86 Seiten mit historischen Illustrationen.