Im Bachtelen hat Johan Tissot den grössten Teil seines Lebens verbracht. Es habe ihm «optimalen Halt» gegeben, erinnert sich der heute 23-jährige Waadtländer zurück an Internat und Schule.
«Alles, was ich erreicht habe, verdanke ich dem Bachtelen und seinen Mitarbeitern. Denn dort habe ich den grössten Teil meines Lebens verbracht», sagt Johan Tissot. Die Zwischenbilanz jetzt, mit 23 Jahren, kann sich sehen lassen: Er arbeitet in der Stadt Solothurn als Chef de Service in einem renommierten Restaurant.
«Ich war ein Lausbub», bekennt der junge Mann freimütig. Doch das war nicht der Grund für seine umfassende Karriere im Sonderpädagogischen Zentrum.
Johan Tissot ist Waadtländer, aus Yverdon-les-Bains, und stand bereits bei der Geburt unter Vormundschaft. Alles, was er von seinen leiblichen Eltern weiss, ist, dass seine Mutter drogensüchtig war. «Ich habe liebevolle Pflegeeltern bekommen, ich hatte Glück.» Sie zogen mit ihm berufsbedingt nach Grenchen, als er sieben- oder achtjährig war.
Doch das Familienleben in der oberen Freimatt dauerte nur kurz. Kurz darauf sei er ins Internat im Bachtelen gekommen. Fortan war das Haus am Hügel seine Heimat. Hausvater Pädu Bur, die Miterzieherin Valerie Khan und der Lehrer Hans Herrmann wurden seine wichtigsten Bezugspersonen. «Mein Pflegevater hatte mit einem grossen Poster versucht, mir vor dem Umzug ein paar Grundbegriffe Deutsch beizubringen, obwohl er es selbst noch nicht so gut konnte», erinnert sich Johan Tissot.
«Im Bachtelen ging das dann ziemlich schnell. Erziehung und Ausbildung gehen da Hand in Hand, das gab mir optimalen Halt.» Der Erziehungsgrundsatz «keine Extrawürste» bedeutete für Johan den Besuch des vollständigen Französischunterrichts. «Gelegentlich habe ich den Lehrer korrigiert, und meinen deutschsprachigen Kameraden habe ich ständig geholfen.»
Der Wunsch, schon als 10-Jähriger sein Sackgeld selbst zu verdienen, sei hingegen seine eigene Idee gewesen. «Ich habe am Wochenende im Quartierladen geholfen. Eigenes Geld war für mich der Beweis, dass ich aus eigener Kraft etwas erreichen kann.»
Heute ist Johan Tissot bilingue, fühlt sich aber zu 100 Prozent als Romand. «Meine besten Kollegen sind in Yverdon-les-Bains. Ich habe nie aufgehört, mich in der Deutschschweiz als Gast zu fühlen.» Die Dankbarkeit, die er für das Bachtelen empfindet, geht mit einem selbstkritischen Blick auf seine Jugend einher: «Die Tages- und Wochenämtli mochte ich gar nicht und das habe ich auch deutlich gemacht.»
Groben Unfug habe es im «Hügel» nie gegeben, «dazu war die Erziehung viel zu streng». Drogen- und Alkoholkonsum habe er im Bachtelen nie gesehen.
Doch ein wenig Rebellion war für die Teens eine Frage der Selbstachtung. «Einmal schlichen wir hinter das Haus, in der einen Hand eine Zigi, in der anderen das Deo. Aber verflixt, Pädu hat uns erwischt und uns deutlich gemacht, wo die Grenzen liegen», sagt Johan Tissot und grinst.
Eine Lebenskrise hatte er nur einmal, als seine Pflegeeltern sich trennten, etwa drei Jahre nach dem Eintritt: «Ich glaube, da war ich eine Zeit lang unausstehlich. Umso dankbarer bin ich, dass die Erzieher mir sagten, dass sie mich verstehen.»
Mit dem Eintritt in die Oberstufe verbrachte der Schüler die Wochenenden bei der Pflegemutter in Yverdon und knüpfte Freundschaften, die er bis heute pflegt.
Die Berufswahl bereitete Johan Tissot keine Schwierigkeiten. Schon als kleiner Bub habe er im Restaurant fasziniert das Servicepersonal bei der Arbeit beobachtet. Die Lehrstelle zum Restaurationsfachmann in der Solothurner «Krone» erfüllte seinen beruflichen Traum. «Die ‹Krone› setzte den Massstab für das Topniveau auf dem Platz. Da musste jeder voll mitziehen – oder gehen. Gleich am ersten Tag wurde ich ins kalte Wasser geschmissen, bekam das Serviceportemonnaie in die Hand gedrückt und musste einkassieren, den kritischen Blick im Rücken.» Eine Strategie, die den Lehrling zu Höchstleistungen anstachelte.
Den Abschied vom Bachtelen zum Lehrbeginn (er wohnte in der «Krone») beschreibt Johan Tissot mit dem Bild eines Jungvogels, der das Nest verlässt: den Blick vorwärts gerichtet, ohne Bedauern.
Johan Tissot vergleicht das Leben mit einem Buch. Er blättert lieber vorwärts als zurück. Zukunftspläne hat er diverse, immer in Verbindung mit Serviceaufgaben. Er könnte sich vorstellen, die Hotelfachschule zu besuchen. Auch im Militär möchte er sich vom Fourier aus weiterbilden: «Ich würde mich gern für das kulinarische Wohl der Truppe einsetzen.»
Schiessen betreibt er über das Obligatorische hinaus mit Freunden als Hobby. Abgesehen davon spielt er gern Badminton und geht wann immer möglich joggen. Mit der Katze Luna, die er letztes Jahr aus dem Tierheim Aarebrüggli geholt habe, wohnt er in Solothurn. «Luna braucht viel Aufmerksamkeit, fast wie ein Hund. Für mich ist sie ein bisschen wie eine Tochter», sagt er.
Bitterkeit hat keinen Platz im Leben von Johan Tissot. Den Eltern nachforschen wollte er nie. Seine ganze Energie investiert er in den Beruf und die Beziehung mit Freunden.
Lediglich, dass er lange keine Zeit hatte, im Bachtelen einen Besuch zu machen, bedauert er: «Ich hoffe, dass ich am Ehemaligentag teilnehmen kann, aber die Arbeit geht vor.»
Am kommenden Samstag, 21. Mai, versammeln sich die Ehemaligen aller Jahrgänge im Bachtelen. Das grosse Treffen findet im Rahmen des Doppeljubiläumsjahres des Sonderpädagogischen Zentrums (125 Jahre Bachtelen und 100 Jahre Standort Grenchen) statt.