Uhrenfourniturist und Uhrwerksammler Edgar Sutter kann fast jede Uhr reparieren. Wir waren in seinem Uhrmacher-Atelier zu Besuch.
Kann die Zeit stillstehen? Und das ausgerechnet in einem Uhrmacher-Atelier? Wer die Uhrenmanufaktur von Edgar Sutter in Bettlach besucht, kann diesen Eindruck bekommen. Hier werden die letzten mechanischen Wecker der Schweiz produziert, auf Maschinen der vor 40 Jahren fast untergegangenen Schweizer Uhrenindustrie, die Sutter zusammengekauft hat und jetzt weiter nutzt. Vor zweieinhalb Jahren haben wir in einer Reportage an dieser Stelle diese letzte Wecker-Manufaktur vorgestellt.
Ein Aspekt von Sutters Tätigkeit wurde dabei nur am Rande erwähnt. Er hat in seinem Atelier an der Jurastrasse eines der schweizweit grössten Lager an sogenannten Fournituren. Das sind Uhrenersatzteile oder ganze Uhrwerke, darunter viele von längst untergegangener Herstellern. Es sind mehr als zehntausend Uhrwerke und Millionen von Uhrenteilen.
Das findet man in keinem Museum. «Im Gegensatz zu anderen Fournituristen ist bei mir alles fein säuberlich geordnet und in Schubladen abgelegt. Damit weiss ich auch, was ich habe und was nicht», sagt Edgar Sutter.
Sein «Reich» ist in der Tat beeindruckend. Mehrere Laufmeter Schubladenschränke reichen bis unter die Decke. Alles ist angeschrieben, allerdings mit Begriffen aus dem Uhrenfach, mit denen Uneingeweihte nicht viel anfangen können. Der Durchmesser eines Uhrwerks wird beispielsweise in «Linigkeit», nicht in Millimeter angegeben.
«Das Schönste für mich ist, wenn ich eine Uhr mithilfe meiner Erfahrung und der Ersatzteile wieder zum Laufen bringen kann. Denn eine Uhr, die nicht läuft, hat keinen Wert, mag sie noch so schön sein.» Nicht zuletzt dafür hat Sutter schon vor Jahrzehnten begonnen, ganze Lager bei Geschäftsaufgaben aufzukaufen, so bei René Meuslin + Cie in Biel oder den ganzen Bestand des ersten und grössten Fournituristen der Schweiz, der 1894 gegründeten Arnold Hoch Fournituren in Zürich. «Aus diesem Lager sind noch wertvolle Bestände aus den Jahren zwischen 1850 und 1970 vorhanden.»
Drei Uhren, die nicht mehr richtig laufen, haben wir für Edgar
Sutter mitgebracht. Eine etwa 50-jährige «Rodania»-Automatikuhr in quadratischem Gehäuse mit englischer Wochentag- und Datumsanzeige, die sich aber nicht mehr bewegt. Der zuerst konsultierte Uhrmacher konnte sie nicht mehr öffnen, da die Gummidichtung sich aufgelöst hat.
Er gab sie zurück mit dem Hinweis, man könne sie wohl nicht mehr reparieren. Edgar Sutter schafft es aber – mit etwas Geduld und dem richtigen Werkzeug: «Aha, ein schönes, gelb vergoldetetes Assa-Werk (A. Schild SA, Grenchen), Gehäuse und Ersatzkrone sind von Rado, das Formglas ist ganz und alles scheint intakt. Diese Uhr läuft trocken und braucht einfach eine Revision», meint der Experte zuversichtlich.
Fall zwei: Eine Uhr, die tickt wie eine mechanische, aber auf dem Zifferblatt steht unter dem Namen der einstigen Migros-Handelsmarke «Mirexal», das Wort «Electronic». Das Geheimnis ist bald gelüftet. «Es handelt sich um eine elektromechanische, sogenannte Dynotron-Uhr, Kaliber 9150 von 1963, die als Vorläuferin der Quarzuhr Jahren in Marin NE entwickelt wurde.
Die Unruh wird elektromagnetisch durch eine Spule angetrieben, die quarzgenau umgepolt wird. Hier müssen wir einfach die Batterie wechseln». Gesagt getan. Sutter wäre aber kein Uhrmacher, wenn er nicht noch mit seinen geschickten Händen den Lagerstein der Unruh – er ist von blossem Auge kaum sichtbar – herausnehmen, reinigen und frisch ölen würde.
Schliesslich legen wir ihm einen Reisewecker aufs Etabli (Uhrmacherpult). Auf dem Zifferblatt steht «Enicar», der Name einer einst reputierten Herstellerin in Lengnau. Er bleibt, obwohl aufgezogen, nach jeweils einigen Sekunden stehen. «Die hatten auch noch ein Montageatelier in Oensingen», erinnert sich Sutter.
Der Enicar-Wecker wurde 1950 als Antwort auf die Billig-Wecker aus Deutschland entwickelt. «Es ist ein einfaches Messingwerk, nicht vernickelt, daher oxidiert, mit zwei offenen Schlaufenfedern.» Der Wecker konnte sich jedoch nicht behaupten, die Stückzahl der der Produktion sei einfach zu klein gewesen. Schweizer Qualität könne man nicht billig machen.
«Jede mechanische Uhr braucht jeweils nach 5 bis 6 Jahren einen Service mit Reinigung und Schmierung. Hier ist sie wohl längst überfällig.» Bei Weckern kennt er sich ohnehin bestens aus. Zweifellos wird er auch diesen wieder zum Laufen bringen. (at.)
18 offiziell von «Bern» bewilligte Fournituristen gab es in der Schweiz unter dem Regime des Uhrenstatuts. Die Produktion von Uhren und Uhrenteilen war während mehrerer Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts staatlich reglementiert.
Es herrschte faktische Planwirtschaft. Heute ist Sutter einer von noch sechs unabhängigen Anbietern von Uhrenersatzteilen. «Ohne uns könnte man die meisten Uhren nicht mehr reparieren. Leider vermitteln viele Uhrenverkaufsgeschäfte und Firmen dem Kunden, dass sich eine Reparatur oder Service nicht lohnen, da angeblich keine Ersatzteile mehr vorhanden sind. Diese Aussage ist oft falsch. Sie wollen lieber neue Uhren verkaufen, was weniger Arbeit macht.»
Die Zeit kann man ja heute fast überall ablesen, auf dem iPhone oder auf jedem Gerät, das herumsteht. «All diese Zeitangaben ersetzen aber eine von den Grosseltern geerbte Uhr oder ein Erinnerungsstück an die Konfirmation vom Götti nicht», ist Sutter überzeugt. Das sind Uhren, die man liebt und schätzt. Sie können nicht ersetzt werden.»
Sutter hat nicht nur die Teile für Tausende Modelle, er weiss auch, wie man sie einbaut. Während vielen Jahren waren er und seine Frau im sogenannten Terminage-Geschäft tätig, der Montage der Uhren für die Hersteller der damaligen 29 Ebauches-Fabriken mit Hunderten verschiedener Werke. Er kannte alle Patrons und Produktionschefs. Der gelernte Industrieuhrmacher hat sich dabei ein immenses Wissen angeeignet. Denn jedes Uhrwerk hat andere technische Ansprüche und Eigenschaften.
Sutter hat in den 56 Jahren beruflicher Tätigkeit auch sieben Uhrenkrisen miterlebt, die erste 1956 während des Ungarnaufstandes. «Da war ich gerade in der Lehre bei der Uhrenfirma Liga in Solothurn.»
Der 75-jährige Bettlacher ist ein Phänomen. Er verkörpert einzigartiges Uhrenwissen der letzten Jahrzehnte. Das haben jetzt auch Kenner der Szene realisiert. Ein Profi-Fotograf und Uhrenpublizist hat begonnen, die Preziosen aus Sutters Inventar in Szene zu setzen. Die Fortschritte der Digitalfotografie erlauben heute eine bisher nie gekannte 3-D-Tiefenschärfe. Die kleinen Kunstwerke aus der Blütezeit der Handarbeit werden Modell für Modell abgelichtet und beschrieben. «Vielleicht entsteht einmal ein Buch daraus.»
Die alten Kataloge und Teilelisten der Hersteller hat er natürlich auch vorrätig, aber dort wurden die Uhren schematisch gezeichnet. «Sie sind hilfreich, wenn ich Teile, die nicht mehr existieren, nachmachen muss.» Das kostet zwar etwas, aber Sammler und Uhrenliebhaber geben für die Restaurierung ihrer Liebhaberstücke gerne etwas aus.
Und für den Fall dass sich eine Reparatur wirklich nicht mehr lohnt, hat Edgar Sutter im Jahr 2012 eine Sammelstelle für alte Uhren eingerichtet. Dort werden die Uhren fachmännisch zerlegt und die Teile recycelt: Stahl, Messing, Glas und Kunststoffteile werden sortiert. Schon etwa 3000 Uhren wurden so umweltgerecht entsorgt. «Uhren gehören nicht in den Müll.»
Defekte Uhren können beim Recyclingkasten an der Jurastrasse 51 deponiert oder auch per Post geschickt werden: Uhren-Recycling, Postfach 244, 2544 Bettlach.