Grenchen
«Die verdrängte Tragödie» – Christian Koller referierte über die Hintergründe des Streikwesens

Im Kultur-Historischen Museum referierte Christian Koller, Direktor des Schweizerischen Sozialarchives, über «die Kulturgeschichte des Streikens in der Schweiz». Es war eine weitere Veranstaltung im Rahmen der Ausstellung «Die verdrängte Tragödie - Der Generalstreik in Grenchen».

André Weyermann
Drucken
Christian Koller referierte im Kultur-Historischen Museum in Grenchen,

Christian Koller referierte im Kultur-Historischen Museum in Grenchen,

Zur Verfügung gestellt

Der Referent beleuchtete dabei die Umstände und Hintergründe des Streikwesens in unserem Land von den Anfängen im Spätmittelalter bis zur heutigen Zeit.

Tatsächlich wurden die ersten Streiks bereits im 15. Jahrhundert (Vormoderne Streiks) angezettelt. Diese waren im zünftischen Handwerk und in den Manufakturen ausgebrochen. Nach ersten Industriestreiks in der Frühindustrialisierung (1800-1860) folgte die «Blütezeit» im Schweizerischen Streikwesen zu Ende des 19. Jahrhunderts bis nach dem ersten Weltkrieg. Es bildeten sich Gewerkschaften, aber auch Arbeitgeberorganisationen heraus, die jeweils ihre Kampfmassnahmen stetig anpassten (Streiks, Aussperrungen, Streikposten, Streikbrecher).

In dieser Zeit falle die massive verbale Gewalt auf beiden Seiten auf, zurückzuführen vor allem darauf, dass die Zeitungen damals noch parteiisch gewesen seien, betonte Cristian Koller. Es muss ein munteres Hauen und Stechen geherrscht haben, man zielte auf die Person. Heute würde solches Gebaren wohl zu einer Vielzahl von Ehrverletzungs-Klagen führen.

«Bis Mitte des 20. Jahrhunderts kam es überdies häufig zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Streikposten, Streiksympathisanten, Streikbrechern, Streikgegnern (Kleingewerbler, Bauern, Bürgerwehr), Polizei und Militär,» führte er weiter aus.

«Friedensabkommen»

Nicht zuletzt aus Angst vor staatlichem Eingreifen, rauften sich Arbeitnehmende und Arbeitgebende zusehends zusammen und unterzeichneten 1937 das «Friedensabkommen» in der Maschinen - und Metallindustrie. Es folgten nach und nach Gesamtarbeitsverträge mit detaillierteren Regelungen. So waren 1951 bereits 775'000 Arbeitnehmende einem GAV unterstellt (12 Mal so viel wie noch 1929).

Seitdem ist die Schweiz nicht streiklos, es herrschen aber klare Regeln im Umgang zwischen den Sozialpartnern. In den 1970-er Jahren flammte noch einmal eine kleine Streikwelle auf, verbunden mit gelegentlicher Kritik am Arbeitsfrieden.

Den letzten grosse Streik erlebte die Schweiz übrigen im Jahre 1991 mit dem landesweiten Frauenstreik. «Seither sind Streiks eher ein Einzelphänomen, begleitet von grosser medialer Aufmerksamkeit», bemerkte Christian Koller.

Insgesamt wurden in der Schweiz seit den Anfängen an die 6000 Streiks verzeichnet.

Das Streikrecht ist übrigens seit 1999 in der Bundesverfassung verankert. Aktuell ist vor allem im Baugewerbe (Pensionsalter 60) mit weiteren Kampfmassnahmen zu rechnen.