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Die Grenchner Industrie schaut zuversichtlich aufs laufende Jahr. Gleich mehrere politische Themen bergen allerdings Zündstoff. Insbesondere die Steuerreform könnte einen Graben zwischen Politik und Wirtschaft aufreissen.
Für die Grenchner Wirtschaft dürfte es ein spannendes Jahr werden. Grosse Themen wie das Rahmenabkommen mit der EU oder das Referendum zum AHV-Steuerdeal stehen an. Und auch auf regionaler Ebene tut sich einiges, Stichwort «Jurasonnenseite» oder das neue Leitbild «Kompass» etwa.
Grundsätzlich optimistisch auf das anstehende Jahr schaut Erwin Fischer, Präsident des Grenchner Industrie- und Handelsverbandes. Man habe viel investiert, davon würde man jetzt profitieren. Trotz der insgesamt schönen Aussichten gäbe es aber auch einige Wolken am Horizont. Der Unsicherheitsfaktor Eurokurs etwa, oder aber die Beziehungen zur EU. «Unsere Industrie ist stark abhängig von der EU. Sollten sich die Beziehungen verschlechtern, wird es schwierig», so Fischers Einschätzung. Und diese Beziehungen dürften zumindest strapaziert werden. Im Frühling stehen gleich zwei Geschäfte mit Konfliktpotenzial auf der nationalen Agenda.
Zum einen das Rahmenabkommen mit der EU und damit einhergehend die Gefahr, dass die Schweizer Börse nicht länger anerkannt wird. Und gleich dahinter lauert das Referendum zur Steuerreform, bei welchem der Schweiz, sollten die Steuerprivilegien nicht abgeschafft werden, sogar ein Eintrag auf die schwarze Liste droht. «Es ist wie beim Wetter», kommentiert Fischer. «Man sieht Wolken am Horizont, kann diese aber nur beobachten und abwarten, was kommt.»
Neben diesen internationalen Themen hat der Industrieverband 2019 aber auch einige regionale Themen auf dem Radar. So gebe es bei der Weiterentwicklung der Stadt und Region Grenchen einige Unsicherheiten, meint Fischer. In diesem Zusammenhang nennt er etwa das Seilziehen um die SWG, aber auch die Schwierigkeiten, neue Fachkräfte anzusiedeln.
Letztere Problematik hat die Stadt bereits in Angriff genommen. Mit dem Image-Projekt «Jurasonnenseite» macht sie seit einiger Zeit Werbung in eigener Sache. Und Ende letzten Jahres doppelte der Gemeinderat mit dem neuen Leitbild «Kompass» nach. Neu soll der Lebensqualität und dem Wohnstandort Grenchen höchste Priorität beigemessen werden, nicht mehr der Industrie. «Eine tolle Sache», findet sogar Industrie-Mensch Fischer. So sei die Wohnqualität ein wichtiges Kriterium für Firmen, die Neuansiedlungen diskutieren.
Die neue Priorisierung funktioniere aber nur, solange sich die Wirtschaft diese leisten könne. «Im Moment ist das der Fall. Doch eine Garantie, dass es der Wirtschaft auch in Zukunft so gut geht wie jetzt, gibt es nicht.» Zumindest für den Moment sind sich Politik und Industrie in Sachen Standortförderung aber einig.
Ein kleinerer Graben scheint sich dafür bei einem anderen Geschäft aufzutun: der kantonalen Umsetzung der Steuerreform. Stadtpräsident François Scheidegger outete sich im Vorstand des Verbandes der Solothurner Einwohnergemeinden, als er als Einziger gegen die Regierungsvorlage stimmte. Als Bürgerlicher notabene, unterstützt die FDP doch die Reform grundsätzlich. Doch zumindest in Grenchen ist er nicht alleine in dieser Haltung. Neben dem Stadtpräsidenten hat etwa auch Peter Brotschi (CVP) Bedenken an der Vorlage geäussert und ist damit von seiner Parteilinie abgewichen.
Zum Unverständnis von Erwin Fischer. «Für die Aussagen von François Scheidegger habe ich kein Verständnis.» Die Frage sei nicht, ob sich Grenchen die Steuerreform leisten könne, sondern ob man es sich leisten könne, nein zu stimmen, findet Fischer. «Das Risiko für den Wirtschaftsstandort ist bei einer Ablehnung der Vorlage grösser.» Dabei denke er nicht primär an Firmen, die in diesem Szenario möglicherweise Arbeitsplätze aus dem Kanton abzügeln würden. Sondern insbesondere auch an die diversen Zulieferer. Gerade in der Region Grenchen würden viele Industrie-Unternehmen davon leben.
Das kleinere Risiko sei die Vorlage also. Das hört sich nicht gerade euphorisch an. Ist das Ganze eine Entscheidung zugunsten des kleineren Übels? Ganz und gar nicht, meint Fischer. Die Steuerreform sei in erster Linie eine grosse Chance für den Kanton, sich zu entwickeln.
«Chancen» und «Risiken» sind Worte, die im Zusammenhang mit der Steuervorlage häufig fallen. Dass da eine gehörige Portion Kaffeesatzlesen mitschwingt, gesteht auch Fischer ein. Trotzdem sind in der Industrie die Meinungen gemacht. «Die Steuervorlage ist eine Notwendigkeit. Jede Investition kostet zuerst einmal Geld. Und wenn wir in zehn Jahren merken, dass wir es uns nicht leisten können, können wir immer noch etwas daran ändern.»