Stadtbummel
Die Sehnsucht nach dem Schottergarten

Brigitte Stettler
Brigitte Stettler
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Polarisiert die Bevölkerung: Schottergarten, hier in einem Einfamilienhausquartier im Seeland.

Polarisiert die Bevölkerung: Schottergarten, hier in einem Einfamilienhausquartier im Seeland.

Andreas Toggweiler

Dass in Grenchen eine Motion eingereicht wurde, die eine Ausbreitung von Steingärten verhindern soll, ist höchst lobenswert. Wobei es sich eher um «Schottergärten» handelt und wo die sich befinden, wachsen weder Gras noch Blümchen und auch kein Vogel lässt sich ruhig nieder, er zwitschert eher um sein Leben.

In heissen Sommern werden diese glühenden Steinhaufen mit Trinkwasser bewässert, soviel Zeit muss sein, schliesslich muss man nicht mehr stundenlang jäten. Viele Hausbesitzer jedoch kümmern sich vorbildlich um ihren Garten, gestalten ihn einigermassen pflegleicht ohne auf Büsche und Pflanzen ganz zu verzichten.

Ich muss zugeben, dass es im Herbst einige wenige Augenblicke gibt, in denen mich eine leise Sehnsucht nach einem «Schottergarten» überkommt. Dann nämlich, wenn ich schlotternd in unserem Garten stehe und tonnenweise Hausrebenblätter von der Fassade fallen, die allesamt darauf warten, dass man sie in Säcke und Kübel füllt. Gleichzeitig fällt auch das Laub von den übrigen Bäumen, also werden Laubhaufen für die Igel gemacht, damit diese in Ruhe überwintern können, etwas wird liegen gelassen als Schutz der Pflanzen vor Kälte, der Rest will zusammengerecht werden. Und das braucht Zeit und ein ziemlich stabiles Nervenkostüm.

Denn es kann sein, dass, kaum sind Besen und Rechen verstaut, mehrere Windböen die ganze Arbeit zu Nichte machen und genau dann wünscht man sich für zwei Sekunden eine grosse Ladung Schotter. Im nächsten Frühling allerdings, wenn alles wieder grünt und blüht, da würde man für kein Geld der Welt auf Hausreben und Efeu, auf Blumen und Sträucher verzichten.
Am Abend des Wahlsonntags erhielt ich einen Anruf von einer Bekannten aus der Nähe von Zürich. Thema war die Wahlbeteiligung, unter anderem auch die Wahlbeteiligung Grenchens.

44 Prozent Wahlberechtigte hätten abgestimmt, vernahm ich am Telefon, das sei ja eher wenig. Wie der geneigte Leser dieses Bummels natürlich längst weiss, handelte es sich tatsächlich nicht um 44 Prozent Wahlbeteiligung, sondern sogar nur um 34 Prozent und ein paar Zerquetschte. Es macht mich nachdenklich und traurig, dass ganze 65 Prozent der Stimmberechtigten entweder keine Meinung zum aktuellen politischen Geschehen haben, dass ihnen sämtliche zur Wahl vorgeschlagenen Personen akuten Brechreiz verursachen, oder, was nun wirklich schlimm wäre, es ihnen einfach vollkommen schnurzpiepegal ist, von wem wir alle in den nächsten vier Jahren vertreten werden.

Für mich ist es selbstverständlich, eine Meinung vertreten zu dürfen, ohne für diese diskriminiert oder gar verfolgt und eingesperrt zu werden. Ich bin dankbar, in einem Land und einer Gemeinde zu leben, die sich demokratisch verhält. Ich akzeptiere jeden anderen politischen Standpunkt. Nein, nicht jeden. Braun eingefärbt darf dieser nicht sein.

Die Farbe braun sehe ich denn doch lieber am Herbstlaub als in der Politik. Und jetzt muss ich Laub zusammenrechen, die schweigende Blätter-Mehrheit hat sich erneut zusammengerottet.