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Die SVP-Initiative bringt in Grenchen viele Menschen dazu, sich um den Schweizer Pass zu bemühen. Wir haben mit dem Bürgergemeinde-Verwalter gesprochen und mit jemanden, der sich nach 49 Jahren in Grenchen einbürgern lassen möchte.
Die Angst vieler Ausländer, dass die Durchsetzungsinitiative angenommen und sie in der Folge als Menschen 2. Klasse behandelt werden könnten, wie Bundesrätin Simonetta Sommaruga es nannte, bringt viele Einwohner mit ausländischem Pass dazu, sich jetzt um eine Einbürgerung zu bemühen.
So häufen sich entsprechende Anfragen bei den zuständigen Ämtern schweizweit, wie verschiedentlich in den Medien berichtet wurde. Desgleichen bei der Bürgergemeinde Grenchen, die hier für die Einbürgerungen zuständig ist. «Wir haben festgestellt, dass die Anzahl der Anfragen in letzter Zeit tendenziell zugenommen hat», bestätigt Renato Müller, Verwalter der Bürgergemeinde Grenchen, auf Anfrage.
Unter den Menschen, die sich bei der Bürgergemeinde erkundigt haben, welche Anforderungen sie erfüllen müssen, auch vermehrt solche, die schon seit langem in Grenchen wohnen und zum Teil seit 30 oder 40 Jahren hier arbeiten und Steuern bezahlen. «Seit Anfang Jahr führen wir eine Statistik über die Anfragen», erklärt Müller.
Und zwar, um Transparenz zu schaffen über das Verhältnis der Personen, die sich erst einmal informierten, und derer, die dann tatsächlich das Einbürgerungsverfahren durchliefen.
«Wir sagen den Leuten, welche Anforderungen sie erfüllen müssen und was sie alles mitbringen müssen. In manchen Fällen hören wir dann nichts mehr, andere stellen später ein Einbürgerungsgesuch.» Grenchen verzeichnet pro Jahr im Schnitt rund 40-45 Einbürgerungen. «Die Verfahren dauern lange», sagt Müller. «An der nächsten Bürgergemeindeversammlung im Juni werden Gesuche behandelt, die bereits 2014 oder Anfang 2015 gestellt wurden.»
Einer der ausländischen Einwohner Grenchens, die sich kürzlich auf der Bürgergemeinde informieren liessen, ist Salvatore Bandiera. Der 54-Jährige mit italienischem Pass wurde 1961 in Solothurn geboren und lebte mit seinen Eltern in Flumenthal. «Als ich dort hätte eingeschult werden sollen, verweigerte die Schule Flumenthal die Aufnahme, weil ich Ausländer war», erzählt Bandiera.
Auf Rat von Kollegen hin sei die Familie in die Industriestadt Grenchen gezogen, wo Bandiera sämtliche Schulen absolvierte. Und er ist geblieben, lebt seit 49 Jahren in Grenchen, hat inzwischen selber eine Familie und arbeitet als Product Manager und Technical Consultant im Kader der ETA Grenchen.
Er habe den Wunsch, sich einbürgern zu lassen, schon lange im Hinterkopf, sagt er. «Ich habe mich vor Jahren schon zweimal informiert, aber mir war das einfach viel zu teuer, denn für mich alleine hätte die Einbürgerung 12 000 bis 15 000 Franken gekostet.» Aber der Gedanke habe ihn nicht losgelassen.
«Ich fühle mich als Schweizer, der hier geboren und aufgewachsen ist. Aber es fehlt einfach immer etwas, das stört mich. Die Schweiz ist meine Heimat, nur fehlt das Papier, das mich zu einem echten Schweizer macht, der auch seine Bürgerrechte wahrnehmen, abstimmen und wählen kann.»
Zwar sei die Einbürgerung immer noch teuer: 3000 bis 4000 Franken würde sie für ihn alleine kosten. Er sei erstaunt, wie lange das Prozedere immer noch dauere, zwei bis drei Jahre, habe man ihm gesagt. Seine Frau, auch Italienerin, habe sich noch nicht mit dem Gedanken auseinandergesetzt.
Die Durchsetzungsinitiative sei zwar nicht der ausschlaggebende Punkt gewesen, sich nun erneut für eine Einbürgerung zu interessieren. «Aber nachdem ich mich darüber informiert habe, was eine Annahme der Initiative für Konsequenzen für mich haben könnte, bestärkt mich das nun in meinem Vorhaben. Ich war echt schockiert.»
Er sei noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten und sogar Bussen wegen Verkehrsübertretungen wären schlimm für ihn. Auch er sei dafür, dass kriminelle Ausländer ausgeschafft werden. Aber damit meine er wirklich Kriminelle, wie Mörder, Vergewaltiger, Kinderschänder und Gewaltverbrecher.
Aber nicht solche, die wegen Bagatellen verurteilt würden. «Denn einige der Bagatellen, die zu einer Ausschaffung führen, können eigentlich jedem passieren, auch mir.» Ausgeschafft zu werden wegen einer Bagatelle, das wäre der Weltuntergang für ihn.
Die Angst der Ausländer und Secondos ist nicht ganz unbegründet, wie man verschiedentlich selbst von Richtern und Staatsanwälten vernehmen konnte. So reicht es beispielsweise, eine irrtümlich erhaltene Zahlung dem zuständigen Amt nicht umgehend zu melden und zurückzuerstatten.
Laut Text der Durchsetzungsinitiative gilt das nämlich als Sozialmissbrauch und führt automatisch zu einer Ausschaffung. Auch andere Bagatelldelikte führen im Wiederholungsfall automatisch zu einer Ausschaffung, ohne dass ein Richter den Einzelfall beurteilen darf.