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Grenchen
Der Bildband «Helden, Hexen und Halunken» weiss allerlei Kurioses aus Grenchen zu berichten. Eine Geschichte erzählt von Hadwig dem Elsässer, Ritter, Edelmann, Jäger und Gejagter auf der Burg Grenchen und seinem unrühmlichen Ende.
Der Armbrustbolzen, der an einem Sommerabend des Jahres 914 in das rechte Auge des Ritters Hadwig fuhr und dessen Leben unversehens auslöschte, war ein ganz gewöhnlicher Bolzen: mit glattem Eichholzschaft, einer eisenverkleideten Spitze und drei Vogelfedern am anderen Ende. In Ritter Hadwig hatte der König eine höchst unglückliche Wahl getroffen, als er für die verwaiste Burg Grenchen einen neuen Herrn bestimmte. Hadwig, ein in Waffengängen wohlerfahrener Edelmann aus dem Elsass, verstand sich darauf, einen Kriegshaufen zu führen.
Was er aber auf der unkomfortablen Grenzburg und mit diesen ungebärdigen Bauern, seinen Untertanen, anfangen sollte, wusste er keinesfalls. Anfangs füllten Hadwigs Dasein die Jagdvergnügen aus. Die Hatz auf Wildsäue und Braunbären ergötzte ihn, liess sein Blut erbrausen und die allzu öden Abende auf der Burg vergessen. Doch die Bären wurden rarer, die Säue wechselten bald in entlegene Gebiete.
Da erinnerte sich Hadwig einer anderen Leidenschaft, der er am burgundischen Hof nicht ohne Erfolg gefrönt hatte: jener für junge Mädchen. Liebliche Hoffräulein kamen zwar nicht infrage, aber gehörte nicht zu seinem Lehen ein ganzes Rudel Bauernmädchen? Ritter Hadwin entwickelte alsogleich besondere Methoden der Brautschau. Stand ihm die Lust nach minniglichem Spiel, so ritt er mit den Knechten ins Dorf oder auf die Felder, liess alle erreichbaren Mädchen zusammentreiben und wählte sich dann eines aus, das er für einige Tage und Nächte in seiner Burg einquartierte. Die Gerechtigkeit gebietet es zu sagen, das Hadwig die Bauerntöchter meist unbeschädigt zurückerstattete, gelegentlich aber in anderen Umständen.
Bei den Eltern von Hadwigs zeitweiligen Gespielinnen stellte sich im Lauf der Jahre eine Antipathie gegen solch unritterliches Verhalten ein. Sie hofften, dass Hadwig über kurz oder lang eine seinem Stande angemessene Gattin finden würde. Doch sie hofften vergebens. Sie sahen die Jungfräulichkeit im Dorfe immer seltener, die Zahl der Bankerten dagegen immer grösser werden. Die Bittgesuche seiner Untertanen beantwortete er mit einem Hohngelächter. Auch der König empfing den Abgeordneten des Dorfes schon gar nicht.
So standen die Dinge, als an einem Sommertag Ritter Hadwig bei den Vorbereitungen zu einem neuen Liebeserlebnis vom Brummen eines Bären abgelenkt und ans Fenster gelockt wurde. Auch die Bauernmagd Bruna, die er sich kurz vorher eingefangen hatte, trat ans Fenster und stellte aufs Sims ein Tranlicht, dessen Schein nicht weit in die Dämmerung reichte, aber das Antlitz des Ritters umso besser beleuchtete. Und irgendjemand musste darauf gewartet haben. Ein zitterndes Schwirren liess Hadwig zusammenzucken, Momente später schrie er in grässlichen Schmerz auf, als sich ein Bolzen in sein Gesicht bohrte und ihn zu Boden warf. Die vom Brüllen Hadwigs alarmierten Knechte mussten hilflos mit ansehen, wie ihr Herr nach einem letzten Aufbäumen elends verschied.
Mord an einem Königsritter. Das verlangte Sühne und Bestrafung. Ein Freund des Königs wurde entsandt, den Mörder tot oder lebendig zu fassen. Für die Untersuchung stand das Corpus Delicti, der tödliche Bolzen, zur Verfügung. Der Abgesandte tappte im Dunkeln, denn niemand erzählte ihm, was sich im Dorfe jahrelang abgespielt hatte und wohl als Motiv für den Mord gelten durfte. Des Königs Angewandter kam zu einem folgenreichen Schluss: Der tödliche Bolzen musste von der Armbrust eines Feindes des Königs abgeschossen worden sein.
Monate später überzogen die Reiter Rudolf II. die Alemannenlande mit Krieg. Auf ihren Lippen den Schlachtruf: «Rache für Hadwig».
Quelle: Bildband «Helden, Hexen und Halunken».