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Max Wolf gibt Ende Jahr nach 12 Jahren das Gemeindepräsidium von Lengnau ab. Im Interview schaut er zurück auf seine Führungsaufgabe in einer stark wachsenden Gemeinde.
Wachsen und zugleich den Zusammenhalt im Dorf bewahren. Als Gemeindepräsident war Max Wolf an allen Fronten gefordert. Er erzählt, wie er Schule, Wirtschaft und die sozialen Bedürfnisse in Lengnau unter einen Hut gebracht hat, warum er gern als Gemeindeberater tätig würde und mit wem er gern einmal die Klinge gekreuzt hätte.
Nach der Finanzkrise war Ihre Präsidentschaft vom Wachstum geprägt. Was waren in diesen zwölf Jahren die wichtigsten Errungenschaften und Herausforderungen?
Max Wolf: In Lengnau hatten wir die erfreuliche Situation, dass 2008, just zur Finanzkrise, die letzten Schulden abgezahlt wurden. Das hat dem Gemeinderat Freiraum zum Gestalten gegeben. Die Kehrseite der Sparsamkeit vorher war natürlich Nachholbedarf bei der Infrastruktur. Zum Glück waren der Geschäftsleiter der Gemeindeverwaltung, Marcel Krebs, und ich ein eingespieltes Duo. Wir verstanden uns praktisch blind. Jeder hatte seinen Laden im Griff, er die Verwaltung, ich die Politik. Ich hatte all die Jahre das Glück, dass ich mit allen Gemeinderäten ein gutes Verhältnis und eine entsprechende Zusammenarbeit hatte. Und dann war da die Schule, die vor zwölf Jahren einen relativ schlechten Ruf hatte. Hier haben wir massiv umorganisiert. Heute haben wir eine gute Schule – wenn ich auch weiss, dass nicht alle das so sehen.
Ein wichtiges Thema war nicht nur die Schulqualität, sondern auch der Schulraum. Nach langer Planung ist nun endlich die Dreifachturnhalle im Bau.
Und der Dreifachkindergarten zwischen Schulhaus und Bahnlinie. Voraussichtlich wird er nach den Herbstferien 2020 bezugsbereit sein. Ein paar Monate vor der Dreifachturnhalle. Gemessen am Druck der Schülerzahlen und dem erhöhten Raumbedarf mit dem Lehrplan 21, wäre es ideal gewesen, die alte Doppelturnhalle gleichzeitig umzubauen, aber schliesslich hat die Gemeinde den 6-Millionen-Kredit eben erst Mitte Dezember bewilligt. Ausserdem steht das Gebäude unter Schutz, so dass die Gebäudehülle erhalten bleiben muss. Trotz all diesen Anstrengungen rechne ich damit, dass der Bedarf nach Schulraum in Zukunft weiter zunimmt.
Ende 2015 hat Lengnau den 5000. Einwohner gefeiert. Wann rechnen Sie mit dem 6000.?
Hoffentlich nicht so bald. Wir haben Mühe mit dem Wachstum Schritt zu halten. Derzeit sind wir bei rund 5300 Personen, wobei jedes Jahr etwa 300 zu- und wegziehen. Um den Bauboom zu bremsen und Reserven für die Schule zu bekommen, hat die Gemeinde in den letzten zehn Jahren Bauland gekauft.
Wie schätzen Sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt ein? Profitieren alle vom Aufschwung?
Die alt eingesessenen Lengnauerinnen und Lengnauer haben nach wie vor einen guten Zusammenhalt. Doch die Dorfvereine kämpfen ums Überleben. Dank der Juniorenabteilung ist besonders der FC bei den Familien gefragt, doch auch da ist die lebenslange Mitgliedschaft die Ausnahme geworden. Darum ist die Integration bei den Neuzuzügern und den Ausländern (27 Prozent der Bevölkerung) unterschiedlich. Ganz wichtig für den Zusammenhalt ist unser viertägiges Dorffest jedes Jahr. Da sieht man wirklich alle, vom Säugling bis zur Seniorin. Wenn möglich werde ich das OK bis 2021 präsidieren.
Wirtschaftlich ist Lengnau heute breiter abgestützt als noch vor zehn Jahren. Welche Bedeutung hat die Ansiedlung der CSL Behring?
Die Industriestrasse haben wir wegen der Autobahn gebaut. Doch eine Ansiedlung in der Grösse der CSL Behring hätten wir uns da in den kühnsten Träumen nicht vorgestellt. Ich bin sehr froh, dass die Pharma unsere Uhrenindustrie ergänzt.
Nicht alle im Dorf freuen sich über Firmenansiedlungen. Wie haben Sie als Brückenbauer einen breiten Konsens erreicht und welche Antwort geben Sie den paar ewig unzufriedenen Bürgern?
Ich habe Verkäufer gelernt und damit die Leute zu mir hinzuziehen, statt sie von mir wegzuschieben. Daneben habe ich Metzger gelernt. Das heisst, ich kann auf den Tisch klopfen und mich durchsetzen, wenn es nötig ist. Offenbar hatte ich als Gemeindepräsident meistens die richtige Mischung von beidem (lacht). Die ständig Unzufriedenen haben mir in den drei Legislaturperioden keine Gelegenheit gegeben etwas zu sagen. Wir haben sie mehrfach zu Gesprächen eingeladen. Aber gekommen sind sie nicht, wahrscheinlich mangels Argumente. Ich habe beim Regierungsstatthalteramt nie nachgefragt, wie viele Beschwerden von ihnen gegen mich eingegangen sind. Es würde mich nicht überraschen, wenn es 20 bis 30 wären.
Die Repla Grenchen-Büren ist Geschichte...
...und ich war der Totengräber. Einfach deshalb, weil es die Repla nach dem Abschluss der Autobahn nicht mehr braucht.
Dafür engagiert sich Lengnau mit Grenchen und Bettlach in der Jurasonnenseite. Wie steht es um die Zusammenarbeit der Nachbargemeinden?
Wenn ich ein Anliegen hatte, das Grenchen und Bettlach betrifft, griff ich zum Telefon. Häufig lässt sich die Frage so in zehn Minuten regeln. Die Jurasonnenseite ist ein reines Marketinginstrument, zumal die drei Gemeinden eine zusammenhängende Siedlung bilden. Grosse Verbünde wie Espace Solothurn und für uns Berner Gemeinden Seeland-Biel/Bienne, das ich 2015-18 präsidiert habe, sind für die Entwicklung der Region viel wichtiger.
Max Wolf redet wie ihm der Schnabel gewachsen ist und nennt die Dinge beim Namen. Wie kommt das an in einer Zeit, die von Marketing und PR geprägt ist?
Die Leute im Dorf schätzen meine direkte Art. So wissen alle, woran sie sind. Das ist in der heutigen Informationsflut umso wichtiger. Ich kann übrigens auch reden, ohne etwas zu sagen; nützlich, wenn Medien O-Ton zu Themen wollten, bei denen ich nicht informieren durfte.
Wo steht Lengnau im Asylwesen und wie wirkt sich der Familiennachzug aus? Haben sich im Dorf Parallelgemeinschaften gebildet?
Mit unserem günstigen Wohnraum ist das immer wieder ein Problem. Von einem Tag auf den andern stehen fünf Kinder zwischen 6- und 12-jährig vor der Schulhaustür. Sie müssen zur Schule und können kein Wort Deutsch. Das belastet die Schule, die Lehrpersonen und die betreffenden Familien. Ich wünschte mir eine Beschränkung beim Familiennachzug oder wenigstens Gentests, um herauszufinden, ob wirklich alle zur gleichen Familie gehören. Parallelgesellschaften manifestieren sich eher punktuell über die ganze Region als hier im Dorf. Bei uns sind die Nationalitäten gut gemischt.
Ihre Metzgerei haben Sie 2016 geschlossen. Darf sich das Dorf jetzt wieder auf einen Partyservice freuen?
Das ist tatsächlich geplant, allerdings nur für Apéros und nicht mehr für ganze Menus. Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen, als nichts zu tun zu haben. Deshalb überlege ich mir, Gemeinden in der Region zu beraten. Was Reglemente und Organisation angeht, gehört Lengnau zu den modernsten in der Gegend. Vom gesammelten Wissen sollen andere profitieren dürfen.
Was wünschen Sie Ihrer Nachfolgerin Sandra Huber?
Ich wünsche ihr nur das Beste. Ich bin überzeugt, dass sie eine gute Gemeindepräsidentin sein wird. Schliesslich habe ich sie und ihre Arbeit in den drei Jahren als Vizepräsidentin schätzen gelernt.