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Als Carine Wüthrich vor vielen Jahren ihr künftiges Zuhause besichtigte, rümpfte sie die Nase. «Hier bleiben wir sicher nicht», sagte sie. Sie und ihr Mann Daniel sind fast 15 Jahre geblieben. Jetzt wandern die beiden nach Kanada aus.
Eigentlich wollte Carine Wüthrich damals gleich wieder gehen. Doch das Ferienheim wurde renoviert, sie und ihre Mann sind geblieben, und heute führt das Heimleiterpaar Daniel und Carine Wüthrich das Haus seit fast 15 Jahren.
Draussen vor dem Eingang blinzeln sie für ein Porträtfoto in die Kamera. Die Sonne blendet, brennt, ist herrlich. Daniel Wüthrich grinst braun gebrannt in die Kamera, sein Schatz Carine lächelt über ihre samtroten Wangen. Beim Besuch auf der Sonnenterrasse der 860-Seelen-Gemeinde Prêles kommt man sich vor wie in den Ferien. Eine herrliche Aussicht bietet sich von der Terrasse des Ferienheims, das 1913 hier im Berner Jura erbaut wurde. Dreimal jährlich kommen Grenchner Schüler der 3. bis 6. Klassen in die Ferienkolonie, regelmässig wird die Schule nach Prêles verschoben. Doch wenn draussen keine Schulkinder herumtollen, herrscht eine angenehme Ruhe. So, als könnte kein Wässerchen die Idylle hoch über dem Bielersee trüben.
Das Ferienheim Grenchen in Prägelz (Prêles) liegt auf 820 Meter über Meer. Seit bald 100 Jahren werden von den Grenchner Schulen Ferienkolonien durchgeführt, heute jeweils eine im Frühling, im Sommer und eine im Herbst. Hauptsächlich genutzt wird das Haus durch die vielen Klassen, die die Schule regelmässig für eine Woche nach Prägelz verschieben. Ausserdem kann das Heim für Lager gemietet werden. Die Grenchnerinnen und Grenchner verdanken das Ferienhaus einem unbekannten Gönner.
Durch Ammann Robert Luterbacher übergab dieser eine anonyme Spende für den Bau eines Ferienhauses. Dieses Haus musste auf den Anhöhen des Bielersees, in Prêles gebaut werden, wo der Spender Bauland besass, das er der Stadt schenkte. Später stellte sich heraus, dass der anonyme Spender der Ammann selbst war. Den Einzug der ersten Gruppe von 60 Kindern im Sommer 1913 konnte der im Dezember 1912 verstorbene Robert Luterbacher nicht mehr miterleben. Die hauptamtlichen Hausleiter Alfons und Maria Staffelbach wurden von Daniel und Carine Wüthrich abgelöst, welche sich nun seit fast 15 Jahren um das Ferienheim Grenchen kümmern. (fup)
Abschied früher als geplant
Für die Grenchner ist Prêles oder eben Prägelz seit jeher ein Begriff. Im Februar 1997 haben die heutigen Hauseltern die Heimleitung, zu der auch Betrieb und Unterhalt des grossen Hauses gehören, übernommen.
In zwei Jahren feiert das Ferienheim seinen 100. Geburtstag. Dieses Jubiläum werden die beiden Frohnaturen aber nicht mehr als Heimleiter miterleben, denn sie werden noch diesen Sommer nach Kanada auswandern. «Es war immer schon klar, dass es einmal so weit kommen wird», sagt Daniel Wüthrich. Seine Eltern leben seit 19 Jahren im Land der Lachse, Lumberjacks und Bären. Nachdem es in der Familie aber zu einem tragischen Ereignis gekommen ist, hat sich Sohnemann Daniel entschieden, das Ferienheim früher als geplant zu verlassen. Frau Carine will ihm nachfolgen, auch wenn sie ihre Familie in der Schweiz zurücklassen muss. Sie wird aber regelmässig auf Besuch zurückkehren.
Ein Ehepaar und ein starkes Team
Daniel und Carine Wüthrich sind seit ihrer Jugendzeit zusammen, vor 30 Jahren haben sie geheiratet. Wüthrichs sind aber mehr als ein Liebespaar. «Wir haben schon immer zusammengearbeitet», erzählt der 53-Jährige über sich und seine 49-jährige Frau. Daniel Wüthrich ist ein waschechter Bieler; in der Stadt aufgewachsen und immer «in der schönsten Region der Schweiz» geblieben, wie er selber sagt. Land und Leute hier seien einfach «Bombe». Fischen ist Wüthrichs Leidenschaft. Gelernt hat er Koch. Im «Bären» in Twann habe er die beste Abschlussprüfung gemacht, sagt er stolz. Er arbeitete dann als Gastronom an verschiedenen Orten, machte sogar einen Abstecher in ein Hotel auf Mallorca. In seinem eigenen Restaurant in Biel nahm er junge Lehrlinge auf, die sonst keiner haben wollte, weil sie «schwierig» waren.
Carine war stets an seiner Seite, auch als er später im Jugendheim in Prägelz als Betreuer jobbte. Diese Arbeit wurde ihnen aber irgendwann zu viel, «die Schicksale waren hart und wir haben viele junge Menschen abstürzen sehen.» Irgendwann sahen sie dann ein Inserat für die Führung des Grenchner Ferienheims. Dort liessen sie sich fortan nieder. Sie haben mitgeholfen, das Haus sanft zu renovieren. Daniel Wüthrichs Küche ist sehr beliebt, besonders seine Salatsauce, welche von Schülern bereits mit einem selbst gebastelten Diplom ausgezeichnet wurde. Carine Wüthrich putzt, staubt ab und hält Ordnung. Gemeinsam schmeissen sie den Betrieb problemlos, und «dr Chare» sei schliesslich immer gelaufen.
«Sie ist die liebe, ruhige Seele des Hauses», sagt er über sie. Sie sagt wenig, aber lächelt und ergänzt, wenn er etwas zu erwähnen vergisst. Er wiederum könne stürmisch sein, sagt Daniel Wüthrich selbst. Und noch immer hat er manchmal mit «schwierigen» Jugendlichen zu tun. Zwar kümmern sich während der Ferienkolonien und Lagern die Lehrer um die Schüler, aber es gibt auch Hausregeln zu beachten und «Ämtli» wie der Abwasch oder das Bettmachen zu übernehmen. «Das ist bei den heutigen Kindern nicht grade einfacher geworden», weiss der Hausherr. «Die älteren Kinder sind heute viel frecher als früher, da braucht es schon mal ein hartes Wort». So liess er auch schon mal den einen oder anderen Frühpubertären ohne Dessert zu Bett gehen.
On se connaît
Carine Wüthrich ist oft mit ihrem Hund unterwegs, und die Einwohner von Prägelz – «les Corbeaux» – kennen sie gut. Daniel ist seltener unterwegs, eher mal zum Einkauf in Biel. Da ist es schon mehrmals passiert, dass plötzlich jemand rief: «Herr Wüthrich, Herr Wüthrich, kennen Sie mich noch?!» Viele der Schülerinnen und Schüler, die früher einmal im Ferienheim waren, sind heute erwachsen. Solche Wiedersehen gehören zu den schönsten Erinnerungen, die Wüthrichs mit über den Ozean nehmen werden. «Schüler, die Lehrer geworden sind, und Schülerinnen, die Lehrerinnen geworden sind», auch das gebe es, sagt Daniel Wüthrich. Und er erinnert sich an eine ganz besondere Bekanntschaft, jene mit dem Buben «Hausi». Die beiden verstanden sich gut, und als der Ferienheimleiter viele Jahre später Besuch von «Hausi» bekam, wurden auch ein paar Tränen zerdrückt. Eindrücklich auch das Abschiedslied, das ein Schüler zum Besten gab, indem er Peach Weber interpretierte.
Nicht allein diese Dinge werden die beiden nie vergessen, «das Lebhafte hier oben wird uns fehlen», sagt Daniel Wüthrich. Und die vielen Mädchen und Jungen, welche im Ferienheim eine wunderbare Zeit erleben durften – so viel ist sicher – werden die ruhige Seele des Hauses und den manchmal etwas stürmischen Hausherren ebenso in guter Erinnerung behalten.