Armin Meiers Kleinwasserkraftwerk an der Wiesenstrasse verrichtet den Dienst seit mehr als fünf Jahren. Rund um die Uhr wird dort Strom produziert, der im Jahr für 50 Einfamilienhäuser reicht.
Im Oktober 2013 erweckte Armin Meier in Grenchen ein längst vergessenes Wasserkraftwerk an der Wiesenstrasse südlich des Viadukts zum Leben (wir berichteten). Seither läuft das neue Kleinwasserkraftwerk ununterbrochen rund um die Uhr und liefert Strom. Inzwischen hat Meier die magische Zahl von 1 Million kWh (Kilowattstunden) erreicht, eine beachtliche Zahl: Ein Einfamilienhaus benötigt pro Jahr – ohne Wärmeerzeugung, also Heizung und Warmwasser – rund 4000 kWh. Ein Tesla benötigt rund 20 kWh pro 100 Kilometer Reichweite. Mit der bisher erzeugten Menge Energie könnte man also theoretisch fünf Millionen Kilometer weit fahren, mit einem E-Bike sogar 100 Mio. Kilometer, erklärt Meier schmunzelnd.
Wollte man dieselbe Menge Strom mit einem Öl- oder Kohlekraftwerk erzeugen, müsste man rund 300'000 Liter Öl oder 460 Tonnen Kohle verbrennen. Allerdings würde man gleichzeitig über eine Megatonne Kohlendioxid freisetzen. «Ausserdem verpuffen rund zwei Drittel der Energie bei dieser Art der Stromgewinnung in Form von ungenutzter Abwärme – nicht so bei einem Wasserkraftwerk», erklärt Meier. Der an der Wiesenstrasse erzeugte Strom wird ins Netz der SWG eingespeist, Meier erhält je nach Produktionsmenge eine variierende, kostendeckende Einspeisevergütung, die KEV.
Die von Meier eingebaute und von der deutschen Firma Ossberger produzierte Turbine treibt einen Generator an, am selben Ort, wo früher auch schon eine Turbine stand (siehe separater Artikel), nur wesentlich kleiner und effizienter. Rund 400 Meter vom Tunnelportal entfernt fliessen bei einem Gefälle von zirka 19 Metern im Durchschnitt 160 Liter Wasser pro Sekunde durch die Turbine. So produziert Meier mit seinem Kraftwerk rund 200 000 Kilowattstunden Strom pro Jahr. Das entspricht dem Strom für etwa 50 Einfamilienhäuser oder dem Strom für Licht für 400 Wohnungen.
Der 62-jährige Armin Meier, der bis vor sieben Jahren während knapp 20 Jahren die Energieberatungsstelle der Repla GB leitete, jetzt in Wiler bei Utzenstorf ein eigenes Büro für Energiefragen betreibt, ist vor kurzem eingesprungen und hat die Stelle des Energieberaters der Repla GB bis Ende Jahr wieder übernommen (wir berichteten). Er freue sich sehr darüber und sei auch stolz, dass seine Erwartungen in sein Wasserkraftwerk vollumfänglich erfüllt wurden. Nur gerade sechs Mal sei die Turbine während der gesamten Betriebsdauer ausgefallen, und das sei eine wirklich lustige Geschichte: «Es gab zunächst keine vernünftige Erklärung dafür, weshalb sich das System abschaltete», sagt Meier. Weder in der Steuerung noch in der Elektronik fand man einen Fehler. Erst ein Augenschein beim Tunnelportal brachte die Lösung: Eine Schnecke hatte es sich am Ende eines Messfühlers gemütlich gemacht und diesen so ausser Funktion gesetzt. Da dieser Fühler den Wasserpegel im Oberwasser und somit die Durchflussmenge misst und anhand dessen die Öffnung der Turbine entsprechend steuert, stand das ganze System still, weil gemäss Meldung des Fühlers kein Wasser kam.
Bereits zwischen 1915 und 1965 wurde an der Wiesenstrasse Strom produziert, Teile der alten Anlage sind keine mehr vorhanden. Vom Trinkwasserpumpwerk sind jedoch beispielsweise der Elektro-Steuerungsschrank und die Fundamente der zwei grossen Pumpen noch da. Die Pumpen selber sind nur noch auf alten Fotos zu sehen, sie wurden längst demontiert und verkauft.
Vor rund 100 Jahren betrieb man mit dem Strom dieses alten Wasserkraftwerks den Tunnelventilator des Grenchenbergtunnels. Da man beim Tunnelbau eine grosse Wasserkaverne im Berg angebohrt hatte, war die ursprüngliche Quelle an der Oberfläche des Berghanges versiegt. Aber man konnte das Trinkwasser direkt bei den fünf Hauptquellen im Tunnel fassen. Das Wasser wurde ins Turbinenhaus und von da in das Stadtnetz oder in die höher gelegenen Reservoire gepumpt. Dafür benötigte man ebenfalls den Strom des Wasserkraftwerks an der Wiesenstrasse.
Betrieben wurde das Wasserkraftwerk damals wie heute mit jenem Wasser, das neben den grossen Quellfassungen aus dem Tunnel läuft und nicht als Trinkwasser benutzt werden kann, dem sogenannten Drainagewasser. Ab den Sechzigerjahren sorgten die grossen Wasser- und insbesondere die Atomkraftwerke für die nötige Versorgungssicherheit, das Wasserkraftwerk an der Wiesenstrasse wurde vollständig demontiert und geriet in Vergessenheit. 2004 stiess Meier eher zufällig auf das Kraftwerk und hatte die Idee, es wieder zu beleben. Denn das im Tunnel gefasste Wasser floss noch immer, wurde jetzt allerdings ungenutzt in einer grossen Wasserleitung unter der Stadt hindurch in den Witibach und anschliessend in die Aare geleitet.
Grenchen bemühte sich 2004 darum, das Label «Energiestadt» zu erhalten, und Meiers Idee passte ausgezeichnet dazu. Aber sein Projekt hatte einen schwierigen Start: Es kam zu Verzögerungen bei der Planung aus diversen Gründen. Es dauerte neun Jahre, bis er das alte Gebäude erwerben und sein Projekt verwirklichen konnte. Knackpunkt sei vor allem gewesen, die unzähligen Stolpersteine für die nötigen Bewilligungen zu beseitigen.
Meier ist davon überzeugt, dass alle die Möglichkeit haben einen Beitrag an die Energiewende zu leisten. Die grössten Potenziale liegen klar bei der Energieeffizienz und den erneuerbaren Energien.
«Jeder kann seinen Beitrag zur Energiewende leisten», sagt Meier, der 2016 auch den Innovationspreis der Stadt Grenchen erhalten hat. Er ist überzeugter Verfechter von Energieeffizienz und erneuerbarer Energie, sei es Solar, Wind, Wasser oder einfach den effizienteren Einsatz von Energie. In den letzten Jahren hat der Energiefachmann an etlichen Führungen seinen Besucherinnen und Besuchern, unter anderem auch Schulklassen, den Gedanken erneuerbarer Energie nähergebracht. Im Gebäude an der Wiesenstrasse zeigt Meier ihnen auch Solarpanels und informiert über Vor- und Nachteile der verschiedenen Energieformen – etwas, das er auch in Zukunft vermehrt tun will. Er selber hat auf dem Dach seines Hauses eine Photovoltaik-Anlage montiert, die das Doppelte der für sein Haus benötigten Energie liefert.
Auch beim Wasserkraftwerk könnte es noch einen Schritt weiter gehen: Das Tunnelwasser hat Sommer und Winter eine gleichbleibende Temperatur von rund 14 Grad Celsius. Mittels Wärmetauscher könnte man diesem Wasser die Wärme entziehen und weiterverwenden. Entsprechende Pläne seien zusammen mit der SWG in Arbeit, sagt Meier. Per Just, Geschäftsleiter der SWG, bestätigt auf Anfrage: Die Ideen dazu stünden schon lange im Raum. In den letzten Jahren habe die entsprechende Technologie grosse Fortschritte gemacht, was eine Realisierung in näherer Zukunft wahrscheinlich mache. Auf das Wasserkraftwerk und die Stromproduktion habe dies keinen Einfluss, versichert Just.
In den letzten zwei Jahren verzeichnete Meier eine deutliche Akzentuierung der Minimal- und Maximal-Wassermengen, die aus dem Berg fliessen. «Ich messe den Wasserfluss seit nun mehr 15 Jahren. Der Schnitt von rund 160 Liter pro Sekunde ist gleich geblieben», so Meier. «Aber die letzten zwei Sommer waren wesentlich trockener. Bis dahin flossen nie weniger als 100 Liter pro Sekunde durch die Turbine. In den Sommermonaten 17 und 18 fiel die Menge auf zirka 60 Liter pro Sekunde.»
Im Gegensatz dazu seien die Maxima in den Wintermonaten merklich höher: Die Turbine lasse maximal 240 Liter pro Sekunde Wasser durch, er habe aber zeitweise bis zu 350 Liter pro Sekunde gemessen. Bei solchen Wassermengen wird das überschüssige Wasser ungenutzt am Kraftwerk vorbei geleitet.