Interview
«Die Bodenpolitik stärkt unseren Einfluss» – der Grenchner Stadtpräsident im Gespräch

Grenchens Stadtpräsident François Scheidegger blickt zurück und voraus - insbesondere auf die kommunale Abstimmung vom 9. Februar.

Andreas Toggweiler
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Der Grenchner Stadtpräsident François Scheidegger.

Der Grenchner Stadtpräsident François Scheidegger.

Oliver Menge

Was war für Sie das herausragende Ereignis im 2019?

François Scheidegger: Es gab in diesem Jahr wieder zahlreiche Highlights. Sehr gefreut habe ich mich persönlich über die Einweihung der neuen Stadtbibliothek. Im Bereich Sport ist der Spatenstich für das Turnerstadion zu erwähnen und die Kreditgenehmigung für die beiden Fussball-Kunstrasenplätze. Sehr wichtig für Grenchen ist sodann die neue kantonale Vorlage zur Unternehmenssteuerreform – eine sehr gute Lösung für die Gemeinden. Ich hoffe deshalb sehr auf eine Annahme durch das Volk im kommenden Jahr. Eine besondere Werbeplattform bot uns diesen Sommer der Donnschtig-Jass, wo sich Grenchen ausgezeichnet präsentiert hat. Im Sommer 2020 wird der Marktplatz zum Austragungsort für die Livesendung und wir haben wiederum die Gelegenheit, unsere «Sonnenseite» zu zeigen.

Und dann wurde ja auch nochtüchtig reorganisiert, diesmal beim SDOL...

...allerdings. Die bedeutende Reform der Sozialen Dienste oberer Leberberg, das heisst die Zusammenlegung mit dem «Netzwerk Grenchen», fand breite Unterstützung. Dies nicht zuletzt dank der hervorragenden Vorarbeit des jetzt pensionierten Leiters Kurt Boner und seines Nachfolgers Reto Kämpfer. Ich denke, wir konnten mit diesem Projekt im Sozialbereich einen Meilenstein setzen.

Der Gemeinderat hat den «Kompass» neu gestellt. Grenchen soll sich als Wohngemeinde neu positionieren. Wo steht man in diesem Prozess?

Unsere Zusammenarbeit mit den Gemeinden Bettlach und Lengnau und dem Industrieverband IHVG hat sich bei der Wohnortkampagne «Jurasonnenseite» bewährt. Wir haben im laufenden Jahr unsere erfolgreiche Kampagne weitergeführt und haben mit Plakatwerbung an den Bahnhöfen, mit dem Passenger TV in den BGU-Bussen oder auf Radio 32 und bei vielen anderen Gelegenheiten für unsere Wohn- und Freizeitqualitäten geworben. Hier arbeiten wir auch eng und erfolgreich mit Grenchen Tourismus zusammen. Zudem sind 2019 zehn Personen vor die Kamera gestanden und haben Grenchen ein Gesicht gegeben: Diese Film-Porträts wurden auf den sozialen Medien insgesamt über 66'000 mal aufgerufen. Im Kompass sind noch weitere Massnahmen zur Positionierung vorgesehen, hier laufen die Vorarbeiten und 2020 wird die Politik über das Vorgehen entscheiden.

Dasselbe gilt für die SWG. Will sich die Politik mit der neuen Eignerstrategie die Lufthoheit über alle SWG-Entscheidungen zurückholen, oder was ist die Idee dahinter?

Bei der Eignerstrategie handelt es sich um ein Grundlagenpapier. Der Gemeinderat legt darin fest, welche Ziele sie mit der SWG verfolgen will, mit welchen Vorgaben diese Ziele erreicht werden sollen und wie sie auf die SWG Einfluss nehmen, sie beaufsichtigen und von ihr informiert werden will. In einem weiteren Schritt ist vorgesehen, dass der Gemeinderat mit dem Verwaltungsrat SWG eine Leistungsvereinbarung abschliesst. Diese kann bzw. soll politische Zielvorgaben enthalten.

Jedes Jahr 1 Prozentpunkt weniger Steuern erheben, massive Steuerausfälle bei den Firmen durch die Steuerreform. Gleichzeitig will Grenchen einen Investitionsrückstau aufholen. Geht das alles zusammen?

Im Rahmen unserer Standortförderungsstrategie hat der Gemeinderat beschlossen, die Steuern für natürliche Personen auf den kantonalen Durchschnitt zu senken und zwar jährlich um einen Steuerpunkt. Dieser Ansage folgten auch Taten: Die Gemeindeversammlung hat nun zum zweiten Mal in Folge eine Steuersenkung beschlossen. Wir halten an unserer Steuersenkungsstrategie fest, prüfen aber im Rahmen der Budgetberatungen jährlich, ob eine Senkung verträglich ist oder nicht.

Der tiefe Steuersatz für Firmen wurde an der Gemeindeversammlung auch kritisiert...

Wir haben im Budget 2020 die Auswirkungen der Steuerreform bei den juristischen Personen – soweit bekannt – berücksichtigt. Da die Stadt Grenchen in den letzten Jahren bei den juristischen Personen eher tiefe Steuererträge verbuchte, ist der Effekt wenig dramatisch. Deswegen ist der von der Gemeindeversammlung beschlossene Steuerfuss für juristische Personen von 92 Prozent absolut vertretbar und eine Investition in die Zukunft. Insbesondere auch deshalb, weil der Kanton die nächsten acht Jahren einen Teil der Steuerausfälle ausgleichen wird. Bei der Firmenbesteuerung bereitet uns mehr Kopfzerbrechen, was momentan bei der OECD diskutiert wird. Die angedachten Anpassungen könnten in der Schweiz zu enormen Steuerausfällen führen. (Die OECD arbeitet zurzeit an neuen Regeln, wie multinationale Firmen künftig besteuert werden sollen, Anm. d. Red.).

Und die Investitionen? Kann man diese stemmen?

Der Investitionsstau ist nach wie vor ein Problem, und wir haben einige grössere Projekte im Bereich der Strassen- und Kanalisationsinfrastruktur sowie in den Bereichen Bildung und Sport, die anstehen. Um diese zu realisieren, ist vorübergehend eine moderate Verschuldung vertretbar, zumal wir über ein stattliches Eigenkapital verfügen und das Zinsumfeld günstig ist.

In Grenchen wird nach wie vor gebaut, als gäbe es kein Morgen. Wie gross ist die Gefahr, dass es bald zu viele leere Wohnungen gibt? Kann die lokale Politik das überhaupt beeinflussen?

Neuwohnungen werden vom Markt nach wie vor aufgenommen, wenn auch erst nach einer gewissen Zeit. Jedoch geschieht dies zu Lasten von Altbauwohnungen – das sagt zumindest die Statistik. Der Leerwohnungsbestand ist mit knapp drei Prozent zwar im innerkantonalen Vergleich eher hoch, aber nicht alarmierend. Die lokale Politik kann hier nur sehr beschränkt Einfluss nehmen. Wenn ein Bauprojekt die Baugesetze und -verordnungen einhält, muss es bewilligt werden. Im Rahmen der Ortsplanungsrevision bemühen wir uns, Akzente in Richtung hochwertigen Wohnraums zu setzen.

Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Landpolitik der Stadt?

Die aktive Bodenpolitik stärkt unseren Einfluss: Wir wollen strategisch wichtige Parzellen, beispielsweise an wichtigen Wohnlagen, sichern und diese zu hochwertigem Wohnraum entwickeln. Dabei berücksichtigen wir das aktuelle Marktumfeld und die Auswirkungen auf den Wohnstandort. Am 9. Februar 2020 können die Grenchnerinnen und Grenchner über den Landbeschaffungskredit von 15 Millionen Franken entscheiden. Die aktive Bodenpolitik ist eines unserer wirksamsten Steuerungsinstrumente, um die Stadtentwicklung zu fördern und zu lenken, sei als Wohn- oder als Wirtschaftsstandort.

Wohnbau ist das eine, Firmen und Arbeitsplätze sind das andere: Wie steht es bei der Ansiedlung neuer Betriebe? Wird man 2020 etwas vermelden können?

Der Landbeschaffungskredit ist auch die Voraussetzung, damit wir unsere aktive Bodenpolitik in der Wirtschaftsförderung weiterführen können. Einerseits, um für ansässige Firmen Ausbauten zu ermöglichen, andererseits um neue Betriebe in Grenchen anzusiedeln und neue Wachstumsimpulse zu realisieren. Wir sind mit verschiedenen Firmen im Gespräch, aber es ist noch offen, wie viele sich tatsächlich für Grenchen entscheiden. Das ist ja immer ein sehr langwieriger Prozess mit verschiedenen Einflussfaktoren wie Konjunktur, Konkurrenzangebote oder persönliche Präferenzen. Die Wirtschaftsförderin bearbeitet die Dossiers aber intensiv, damit hochwertige Arbeitsplätze geschaffen werden können. Hier versprechen wir uns auch Impulse vom benachbarten «Switzerland Innovation Park» in Biel und dem Technologietransferzentrum «Swiss m4m Center» in Bettlach. Und wir arbeiten daran, dass der Neubau südlich vom Bahnhof Süd für die Höhere Fachschule für Technik Mittelland (hftm) und Swissmechanic realisiert werden kann.

2020 gibt es wieder ein Grenchner Fest: ist das organisatorisch gut aufgegleist? Was erwartet die Bevölkerung?

Für das Grenchner Fest ist das bewährte OK im Einsatz. Für die ganze Familie gibt es wiederum eine Zeitreise in die 50er Jahre, «Back to the Fifties».

Womit wird Grenchen 2020 (sonst noch) positive Schlagzeilen machen?

Grenchen als Austragungsort für den Donnschtig Jass am 2. Juli wird sicher für positive Schlagzeilen sorgen. Zu erwähnen sind ferner die Internationale Musikwoche 2020 sowie die interkantonalen Hornusser-Wettkämpfe. Ein Höhepunkt wird sicher das Grenchner Fest. Freuen können wir uns auch auf eine weitere MIA. Zudem stehen die Zeichen gut, dass 2020 der Uhrencup stattfinden wird. Dann wollen wir im 2020 die sympathische Filmreihe rund um Grenchen auf Social Media fortsetzen.