Eine literarische Matinee zur Ausstellung «Die Sicht der Dinge» zeigte die gegenwärtige Ausstellung im Kunsthaus Grenchen in anderem Licht. Die Kulturvermittlerin und Multimedia-Journalistin Rosalina Battiston agierte als Vorleserin.
Nur gerade eine Handvoll Zuhörer folgten der Einladung des Kunsthauses, um mit Rosalina Battiston in einem gehaltvollen und anregenden Miteinander von Worten und ausgewählten Texten durch die Ausstellung «Die Sicht der Dinge» von Reto Leibundgut, Monica Germann und Daniel Lorenzi geführt zu werden. Die Kulturvermittlerin und Multimedia-Journalistin Rosalina Battiston agierte als Vorleserin. Während des rund einstündigen Rundgangs las sie an verschiedenen Stellen in der opulenten Installation der Ausstellung ausgewählte Texte von Kurt Tucholsky: «Augen in der Grossstadt», aus «Aphrodite – eine Feier der Sinne», Kochbuch von Isabel Allende: «Nackt kochen», und aus «Deutsch für Besserwisser» einen Beitrag von Christian Hirsch, «Scheisse». Eingestreut zitierte Battiston Gedichte von Erich Fried, Kahlil Gibran und aus Hugo Lötschers Satire: «Der Waschküchenschlüssel».
Literarische «Sicht» auf die Dinge
Interessant war der kurze Abriss «Nationalökonomie» von Kurt Tucholsky. Nationalökonomie sei, wenn die Leute sich wundern, warum sie kein Geld hätten. Die Grundlage aller Nationalökonomie sei Geld: «Das im Umlauf befindliche Papiergeld ist durch den Staat garantiert. Der Wohlstand eines Landes beruht auf seiner aktiven und passiven Handelsbilanz. Eine wichtige Rolle im Handel spielt der Export. Export ist, wenn die anderen kaufen sollen, was wir nicht kaufen können oder sollen. Auch Aktiengesellschaften sind ein Bestandteil der Nationalökonomie und die Wirtschaft wäre keine Wirtschaft, wenn wir die Börse nicht hätten. Die Börse dient dazu, einer Reihe aufgeregter Herren den Spielklub und das Restaurant zu ersetzen. Zusammenfassend kann gesagt werden: Die Nationalökonomie ist die Metaphysik des Pokerspielers.»
Im Obergeschoss des Kunsthauses bilden unter anderem Kabinette einen Teil der Installationen. An einem so genannten «stillen Ort» rezensierte Rosalina Battiston einen Text aus «Deutsch für Besserwisser» von Eike Christian Hirsch. «Wenn sie nicht mehr zur jüngsten Generation gehören, so wollen wir uns zusammentun und ein wenig üben, wie man in Schüler-, Lehrlings- und Studentenkreisen spricht.» Der Wortschatz der jungen Leute sei gar nicht so gross. Man müsse es nur über die Lippen bekommen. «Also üben wir: ‹Scheisse, ach Scheisse, echt Scheisse, das finde ich aber scheisse.› Man fragt heute empört: ‹Was soll der Scheiss?› Nun werden Sie meinen, das sei doch alles nicht neu. Gewiss, auch früher schon liess man gelegentlich ein ‹Scheisse› durch die Zähne zischen. Aber erst heute darf man es so unbekümmert gebrauchen. Und dass es längst im Wortschatz der jungen Leute für ‹Scheisse› keine Konkurrenz mehr gibt, während wir doch neben ‹geil› noch ‹irre›, ‹riesig, sauber oder dufte› haben, liegt eben daran, dass Scheisse so herrlich kräftig ist. Scheisse ist eben einfach geil!»
Zugang zu tieferem
Zum Abschluss der kurzweiligen anderen «Sicht der Dinge» aus literarischer Sicht schloss Rosalina Battiston mit Zeilen von Hugo Lötschers «Waschküchenschlüssel»: «Der Waschküchenschlüssel ist in diesem Lande nicht einfach ein Gebrauchsgegenstand, welcher jenen Raum öffnet, den man Waschküche nennt und wo die Maschinen stehen, welche den Vorgang erleichtern, der ‹Waschen› heisst. O nein. Der Waschküchenschlüssel erschliesst hierzulande einen ganz anderen Bereich; er bietet Zugang zu Tieferem.»