Grenchen
Der Radioaktivität auf der Spur: Ein Uhrenatelier wird radiumsaniert

Augenschein bei einer Radiumsanierung eines ehemaligen Uhrenateliers in Grenchen: In der Uhrenindustrie wurde früher radioaktive Leuchtfarbe zur Bemalung der Ziffernblätter benützt. Seit 1963 ist dies verboten, aber die Strahlung ist immer noch da.

Andreas Toggweiler
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Thomas Flury vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) ist mit dem Strahlenmessgerät auf dem Dachboden.

Thomas Flury vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) ist mit dem Strahlenmessgerät auf dem Dachboden.

Hanspeter Bärtschi

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) ist zurzeit daran, durch Radioaktivität belastete Liegenschaften zu sanieren, die als ehemalige Setzateliers der Uhrenindustrie mit Radium verseucht sind. Auch in Grenchen sind Liegenschaften betroffen

Wie bei Altlasten vorgegangen wird: Der «Aktionsplan Radium»

Das Ziel des vom Bundesrat 2015 verabschiedeten Aktionsplans Radium 2015–2019 ist die Bewältigung des Problems der radiologischen Altlasten im Zusammenhang mit der Verwendung von Radium-Leuchtfarbe in der Uhrenindustrie.

Hinweise auf belastete Standorte ergaben sich aus diversen Informationsquellen wie Liegenschaftsbesitzer, Gemeinden, Lieferadressen für Radiumfarbe, Suva usw. Weitere Informationen liefert eine laufende historische Recherche der Universität Bern.

Messungen und Sanierungen haben 2015 begonnen und sollen auch im laufenden Jahr noch weitergeführt werden. Ob das Programm wie vorgesehen 2019 abgeschlossen werden kann, ist noch unklar, denn bei den Messungen werden immer wieder neue belastete Standorte entdeckt.

In der Region wurden bisher Gebäude in Aedermannsdorf, Biberist, Biel, Grenchen, Holderbank, Kräiligen. Langendorf, Lengnau, Lyss, Nidau, Olten, Orpund, Solothurn und Zuchwil untersucht. (at)

Laut Daniel Dauwalder, Mediensprecher des Bundesamtes für Gesundheit, wurden im Rahmen des Aktionsplans Radium in Grenchen 14 Liegenschaften untersucht. «Vier davon benötigen eine Sanierung», sagt Dauwalder. Er schliesst dabei nicht aus, dass im Rahmen zusätzlicher Nachforschungen weitere Objekte zum Vorschein kommen. Denn dieses Jahr werden in Grenchen sechs weitere Gebäude untersucht.

Kürzlich wurde die Sanierung eines Gebäudes erfolgreich abgeschlossen. Im Dachgeschoss des heutigen Wohnhauses im oberen Stadtteil wurde bis 1961 ein Heimarbeits-Atelier der Uhrenindustrie betrieben, in dem sechs Personen arbeiteten. Diese waren unter anderem auch mit dem Bemalen von Zifferblättern mit radioaktiver Leuchtfarbe beschäftigt.

«Diese Farben wurden schwerpunktmässig zwischen 1920 und 1960 eingesetzt, 1963 wurde die Verwendung mit der Einführung der Strahlenschutzverordnung stark eingeschränkt», erklärt Thomas Flury. Der BAG-Mitarbeiter begleitete als Strahlenschutz-Experte die Sanierung des Grenchner Wohnhauses.

Spezialfirmen beauftragt

Für die Sanierungsarbeiten werden Spezialfirmen beauftragt. «Wir gehen dabei sehr systematisch vor», erklärt Dieter Bader von der für das Grenchner Gebäude beauftragten Rheinfelder Firma Heureka-Gamma. Zunächst gelte es die betroffenen Räume mit Schleusen abzudichten und eine gefilterte Entlüftung zu installieren. Auch die Arbeiter arbeiten mit Mundschutz. Stück für Stück wird der Raum dann ausgemessen und demontiert. Am meisten betroffen sind in der Regel Böden und Fensterbretter. Meistens wurde in der Uhrenindustrie wegen des Lichteinfalls in Fensternähe gearbeitet.

14

Liegenschaften in Grenchen wurden bisher auf Radiumrückstände hin untersucht, vier mussten saniert werden. Im Sommer werden sechs weitere Gebäude untersucht.

Das entfernte Material wird mit dem Geigerzähler auf Strahlung untersucht und in Säcke verpackt. «Ziel ist, dass wir nur wirklich verstrahltes Material der Sonderentsorgung zuführen, alles andere kann als normaler Bauschutt behandelt werden», erklärt Bader. Denn wie beim AKW-Abfall gilt: Eigentlich weiss man immer noch nicht wohin mit dem verstrahlten Material, und das Volumen muss möglichst klein gehalten werden. Es wird zuerst in regionalen Depots gesammelt, und dasjenige, das gelagert werden muss, landet im Bundeszwischenlager in Würenlingen, wo auch radioaktive Rückstände aus Industrie und Medizin für eine dereinstige Endlagerung gesammelt werden.

Abnahme mit dem Messgerät

Im besagten Gebäude in Grenchen ist Thomas Flury für die Schlussabnahme gerade mit dem Strahlenmessgerät im Einsatz und bereitet mit Bader das Abnahmeprotokoll vor. Auf was sind die Experten beim Rückbau gestossen? «In diesem Zimmer war vor allem die linke Bodenseite betroffen, erklärt Bader.

Schicht für Schicht wurde der Boden herausgenommen: Laminat, Füllschicht, und Schlacke, die früher als Isolationsschicht gedient hat. Für Bader und Flury ist diese Sanierung ein durchaus repräsentativer, da durchschnittlicher Fall. Bisher ist man schweizweit auf 41 Sanierungsfälle gestossen, davon 15 in Biel, 12 in La-Chaux-de-Fonds und 14 in anderen Gemeinden mehrheitlich im Jurabogen. 25 Fälle waren bis Ende 2016 abgeschlossen.

«Interessant ist, dass wir relativ oft auch auf belasteten Boden in den angrenzenden Gärten gestossen sind», berichtet Flury. Die Erklärung dafür ist, dass Farbreste oder Flüssigkeit aus der Reinigung einfach aus dem Fenster gekippt wurden. 21 teilweise stark sanierungsbedürftige Gärten wurden bisher entdeckt. Bei dieser Grenchner Liegenschaft war der Garten aber nicht betroffen.

Verursacher haftet – im Prinzip

Eine durchschnittliche Radiumsanierung wie hier in Grenchen kostet rund 50 000 Fr. und dauert zwei bis vier Wochen. Die Kosten hat grundsätzlich der Verursacher der Kontamination zu tragen. In den meisten Fällen kann dieser jedoch nicht mehr gefunden werden. Dann übernimmt der Bund die Kosten im Rahmen des Aktionsplans Radium.

Ziel der ganzen Sanierungsstrategie ist, dass keine Person mehr als ein Millisievert radioaktive Strahlung pro Jahr abbekommt (Grenzwert für die Schweizer Bevölkerung). «Dabei geht es nicht nur um den Schutz der Hausbewohner», erklärt Flury. Es gelte auch künftige Schäden zu vermeiden, beispielsweise wenn Personen bei Umbauten belastet werden oder kontaminiertes Material danach irgendwo landet.