Baudenkmal
Das Sorag-Hochhaus in Grenchen wird wohl nicht unter Denkmalschutz gestellt

Auch wenn es das älteste Hochhaus im Kanton Solothurn ist –unter die Fittiche des Denkmalschutzes wird es das Sorag-Gebäude am Marktplatz wohl nie schaffen.

Andreas Toggweiler
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Postkarte von ca. 1954 mit dem Sorag-Komplex im Zentrum. Der Luterbacherhof vis-à-vis ist erst profiliert.

Postkarte von ca. 1954 mit dem Sorag-Komplex im Zentrum. Der Luterbacherhof vis-à-vis ist erst profiliert.

zvg/Museum

Der Zweite Weltkrieg ist gerade zu Ende gegangen. Die Uhrenindustrie läuft auf Hochtouren, Arbeitskräfte strömen nach Grenchen. Neben Arbeit suchen sie auch Wohnraum, und es gibt keinen oder viel zu wenig. Grenchen steht damit vor einer grossen Herausforderung. Hochhäuser könnten die Lösung sein. «Mit dem Sorag an der Marktstrasse dürfte das erste Hochhaus im Kanton Solothurn entstanden sein», schreibt das Kultur-Historische Museum in einer Mitteilung.

Es hat sich in seiner aktuellen Ausstellung unter anderem auf die Spuren der Wohn-Riesen gemacht. Die beiden ersten Grenchner Hochhäuser sind das erwähnte Gebäude an der Ecke Marktplatz/Marktstrassee und der Hallgarten beim Südbahnhof.

Wohnungen, Läden, Kino

Die Baugeschichte des ersten Hochhauses ist bekannt: Ende September 1950 reichte Architekt René Amici aus Solothurn im Namen der Sorag AG, Glarus, das Baugesuch bei der Grenchner Baubehörde ein. Die Baukommission bewilligte das Gesuch am 4. April 1951. Das 35 m hohe Gebäude konnte im Laufe des Jahres 1952 teilweise bezogen werden. 48 Dreizimmerwohnungen, 6 Vierzimmerwohnungen, 4 Geschäftslokale, 4 Ausstellungsräume, 1 Theatersaal (Kino-Theater Scala) mit 492 Plätzen und Foyer entstanden innert kürzester Zeit.

Das Gebäude dominierte das Zentrum bis zum Bau des Coop-City-Hochhauses. Kürzlich machte es wieder Schlagzeilen, leider aber negative. Der aktuelle Besitzer liess den Lift erst nach einer Intervention des Stadtpräsidenten reparieren. Auch sonst ist das Gebäude nach der Übernahme durch einen Westschweizer Renditehai zunehmend am Verwahrlosen.

Hohe Hürden

Kann man das erste Hochhaus im Kanton Solothurn einfach dem Verfall preisgeben? – Eine Rettung des Gebäudes mit denkmalpflegerischen Massnahmen ist grundsätzlich möglich, doch die Hürden sind hoch. Nur eine Unterstellung des Gebäudes unter Denkmalschutz könnte die Bausubstanz innen und aussen wirksam erhalten. Der Kanton stellt aber keine Gebäude gegen den Willen des Eigentümers unter Schutz. «Sowohl Eigentümer als auch Standortgemeinde müssten zustimmen», erklärt Bruno Mutter von der kantonalen Denkmalpflege.

In keinem Inventar

Auch sind die Kriterien, gemäss denen ein Gebäude geschützt wird, relativ streng. «Das Alter allein genügt dafür nicht», betont Mutter. Kommt beim Sorag dazu, dass das Haus seit dem Bau schon stark verändert wurde, in den 1990er-Jahren beispielsweise mit Metallbalkonen. Allerdings ist es nach wie vor klar als Bau der 50er-Jahre identifizierbar.

Dass das Gebäude von Sachverständigen wahrgenommen wird, zeigt auch der Umstand, dass es in die Vorauswahl der Publikation des Architekturhistorikers Michael Hanak zur Solothurner Architektur der Nachkriegszeit aufgenommen wurde. Er musste sich aber auf 200 Gebäude beschränken. In einem städtischen Inventar taucht es ebenfalls nicht auf.

Zumindest mit Informationen auf die Bedeutung des Gebäudes hinweisen, das möchte das Museum. «Wenn wir mehr Informationen über das Gebäude hätten, könnten wir vielleicht auch vermehrte Aufmerksamkeit generieren und für die aktuelle Situation sensibilisieren», meint Museumsleiterin Angela Kummer dazu.

Wer weiss mehr?

Deshalb möchte das Museum nun über die ersten Hochhäuser mehr herausfinden und sucht per Aufruf auch nach Informationen oder Plänen, die irgendwo noch vorhanden sein könnten. «Die offiziell-amtlichen Archive haben wir so weit abgeklappert», erklärt Kummer. Leider ohne grossen Erfolg.

Damit könnte man in der aktuellen Ausstellung zur Architektur der Nachkriegszeit kantonale Bedeutung der beiden Hochhäuser für den Kanton Solothurn zumindest belegen. «Auch ein Zeitzeuge, der die Bauphase miterlebt hat, wäre hilfreich», ergänzt Angela Kummer.

Es soll damals sogar eine Hochhauskommission eingesetzt worden sein, berichten nämlich verschiedenen Zeitzeugen. «Diese war vermutlich sogar über mehrere Jahre aktiv und hat mehrere Hochhausbauten in Grenchen begleitet», meint auch Lukas Walter, Präsident der Museumsstiftung, der sich immer wieder mit Hochhäusern befasst hat.

Ab wann ein Hochhaus?

Die damaligen Bauvorschriften sahen keine Bestimmungen für derart hohe Bauwerke vor. Eine kantonale Sonderbewilligung war nötig. Bautechnisch waren Hochhäuser ohne Probleme zu realisieren. In den USA entstanden bereits nach dem Ersten Weltkrieg die ersten Wolkenkratzer. Die neuen Materialien wie Stahl und Beton ermöglichten es, sicher in die Höhe zu bauen.

Die Hochhaus-Phase in Grenchen dauerte immerhin etwa 25 Jahre. Die Ruffini-Hochhäuser im Westen und das (heutige) Centro (Baujahr 1974) bildeten Abschluss und Höhepunkt des Strebens nach oben. Die Planungen der Stadt sehen aber nach wie vor Zonen vor, in denen auch heute der Bau neuer Hochhäuser möglich wäre. Projekte gibt es aber trotz aktuellem Bauboom keine.