Florian Zellers Stück «Vater» war in einer gelungenen Inszenierung am Parktheater Grenchen zu sehen.
«Irgendwas Seltsames passiert. Als hätte ich kleine Löcher. Im Gedächtnis. Kriegt keiner mit. Winzig klein. Mit blossem Auge nicht zu sehen. Aber ich, ich spüre es ...», sagt André, die Hauptfigur im Schauspiel «Vater».
Kein Zweifel, der Mann leidet an Alzheimer. Nun ist über dieses oder ähnliche Themen schon einiges inszeniert, erzählt, gefilmt, geschrieben worden. Kaum je aber so eindringlich und unmittelbar, wie es der französische Ausnahmekönner Florian Zeller in seinem Drama vermittelt; im Parktheater wurde dies gekonnt umgesetzt vom Theater Landgraf.
Das Aussergewöhnliche und auch das Perfide an «Vater» ist dessen Erzählstruktur. Die Handlung schreitet nämlich nicht chronologisch oder logisch voran, sondern erzählt wird aus der Erlebniswelt der Hauptfigur. Damit wird der Zuschauende praktisch in die Haut von André gesteckt, erlebt mit ihm kurze Momente des Glücks, vor allem aber das Ausgeliefertsein.
Man erleidet mit ihm unfassbare Veränderungen von Personen und Dingen, ist ebenso verwirrt wie er. Realität und Wunschvorstellungen sind nicht mehr voneinander zu trennen. Wenn André gewisse Personen nicht mehr erkennt oder sie verwechselt, tun wir das mit ihm. Wir können uns nie sicher sein, wo wir uns gerade befinden. In Andrés Wohnung mit der Tochter Anne zu Besuch, oder doch in deren Appartement? Hat es nun geklappt mit einer Pflegerin, zu der er Vertrauen fasst? Ist er ein berühmter Tänzer oder arbeitete er als Ingenieur, wie die ihn pflegende Tochter erzählt. Wohnt sie zusammen mit ihrem Mann Pierre in Paris oder lebt sie zusammen mit einem Liebhaber in London. Gibt es die jüngere (Lieblings-)Tochter Elise überhaupt oder ist auch sie nur ein Wunschtraum? Sicher ist nur, dass letztlich das Pflegeheim und eine erschütternde Schlussszene auf den Protagonisten warten.
Ein durch und durch beklemmender Theaterabend also? Überhaupt nicht. Das Stück ist angereichert mit einigen heiteren Szenen, die sich vor allem aus den Stimmungsschwankungen der Hauptperson, grandios verkörpert von Ernst-Wilhelm Lenik, ergeben. Der Autor geht sorgsam mit einem schwierigen Thema um. Zum grossen Theater wird «Vater» dadurch, dass das Stück auf alle zielt. Der Zuschauende kann nicht nicht betroffen sein, kann sich der Thematik unmöglich entziehen: Empathie und vielleicht auch das unterschwellige Gefühl, man könnte selbst eines Tages betroffen sein, breiten sich aus. Ein gut aufgelegtes und spielfreudiges Ensemble macht den Abend vollends zu einem Theatererlebnis erster Güte.