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Die Grenchnerin Anelise De Freitas hat ein brasilianisches Herz und einen Schweizer Pass. Sie glaubt an einen WM-Sieg der Brasilianer. Bei einem Kaffee erzählt Sie von ihrer Heimat, dem Leben in der Schweiz und ihrer Meinung zur WM in Brasilien.
Für Anelise De Freitas ist der Fall sonnenklar: Brasilien schlägt im WM-Final zu Hause Argentinien und wird Weltmeister 2014. Und auch im Auftaktspiel heute Abend werde sich die Seleção gegen Kroatien beim 3:1-Sieg keine Blösse geben.
Brille auf der Nase, ein Lächeln auf den Lippen, kommt die modisch gekleidete Brasilianerin gut gelaunt zum Kaffeetreff. Vorgeschlagen hat sie spontan die Grenchner Public-Viewing-Zone mitten in der Uhrenstadt. «Kaffee gerne», sagt sie, doch das Gipfeli lässt sie links liegen: «Wir haben Badesaison, da darf Frau sich nicht alles erlauben», schmunzelt sie.
Die 43-jährige Modeberaterin steht mit beiden Beinen im Leben. Entsprechend schnell und ungeschminkt kommt sie zur Sache: «Die Demonstrationen und Streiks in meinem Heimatland richten sich nicht gegen den Grossanlass. Die Brasilianer sind süchtig nach Fussball.»
Was steckt dann dahinter, wollen wir wissen. Brasilien verfüge über genügend Geld, um Spitäler und die Ausbildung der Jungen zu finanzieren sowie dafür zu sorgen, dass überall sauberes Wasser vorhanden sei.
Der Punkt sei nicht der, dass wegen der teuren Stadionbauten die Mittel für anderes fehle. «Die Unzufriedenheit richtet sich gegen die überall grassierende Korruption sowie den Selbstbedienungsladen, den die Weltmeisterschaft mit sich gebracht hat. Einige wenige profitieren schamlos davon.»
De Freitas beklagt die riesigen sozialen Unterschiede im südamerikanischen Land und das latente Unbehagen, das jetzt im Zuge des weltweiten medialen Interesses aufgebrochen sei.
Und, kann denn die Weltmeisterschaft daran etwas ändern? Das Bewusstsein für die Unzulänglichkeiten würde gestärkt und es sei längst nicht mehr so einfach, Missstände einfach mit einem grandiosen Fussballfest übertünchen zu wollen, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Sie sei zuversichtlich, dass ein positiver Prozess im Gange sei.
Die ausgebildete Kommunikationsfachfrau lebt seit 18 Jahren in der Schweiz. Die Liebe hat sie hierher verschlagen. Zwei Kinder sind daraus hervorgegangen. Ein Mädchen und ein Junge.
«Beide nicht fussballverrückt», wie sie sogleich betont. Schon etwas speziell: Der Mann, ein Schweizer, hat mittlerweile den Status eines Ex und lebt wieder in Brasilien, derweil sie mit einem Schweizer Pass versehen am Jurasüdfuss wohnt.
«Es ist toll hier, es gefällt mir ausgezeichnet in Grenchen. Etliche Landsleute wohnen ebenfalls da. Wir treffen uns regelmässig, wie eine grosse Familie.» Doch wer jetzt annimmt, die Frau bewege sich lediglich in ihrem Kulturkreis liegt falsch.
De Freitas spricht Mundart, wenn auch mit leichtem Akzent. Sie betont, wie wichtig es sei, die Sprache des Gastlandes zu beherrschen. Deshalb wollte sie mehr als sich bloss auf Hochdeutsch mit den Menschen unterhalten zu können. Das Thema Integration beschäftigt sie ganz offensichtlich. Wer hier eingewandert sei, dürfe nicht einfach auf Rechte pochen, man stehe auch in der Pflicht.
Dazu zählt sie etwa die Teilnahme am Vereinsleben, oder wie in ihrem Fall das Engagement in der Integrationskommission beim Vermitteln der portugiesischen und englischen Sprache. Noch etwas ist ihr wichtig: «Man sollte aufhören, ständig Vergleiche zwischen den verschiedenen Kulturen und Lebensweisen anzustellen und sämtliche Klischees zu bemühen. Das bringt nicht. Ich lebe jetzt in der schönen Schweiz und will all das Positive daraus ziehen», fasst die Wahlgrenchnerin zusammen.
Aber Hand aufs Herz Frau De Freitas, zwischen São Paulo und Grenchen liegt immerhin etwas mehr als nur ein Weltmeer. Sie lacht und gesteht, dass es durchaus Phasen des Heimwehs gebe.
«Wenn ich in den kommenden Tagen die brasilianische Nationalhymne hören werde, wird mein Herz mit Sicherheit heftig zu schlagen beginnen», gesteht sie unumwunden. «Ganz bestimmte Gerüche fehlen mir schon ab und zu. Ich bin eben ein Wassermensch, als Kind bin ich viel gesurft.»
Dann können Sie jetzt ja Snowboarden? Lacht schallend: «Ich liebe zwar den Schnee, aber mehr als Schlitteln liegt nicht drin, die Sache mit den Brettern sollte man besser als Kind lernen.»
Gleichzeitig fügt sie an, dass man Brasilien längst nicht auf den Fussball reduzieren dürfe: «Wir müssen uns auch im Volleyball, Basketball oder Schwimmen nicht verstecken». Durchaus interessant, dennoch dürften in den kommenden Wochen diese Sportarten in Sachen Aufmerksamkeit eher untendurch müssen.