Zum dritten Mal ging in Grenchen die «Blaue Nacht» - oder Kulturnacht - über die Bühne. Abermals wurde dem Publikum ein breiter Fächer an Veranstaltungen serviert: Ausstellungen, Konzerte, Performancekunst, Kulinarik und mehr.
Kurz vor 16 Uhr: Im Künstlercafé in der alten Turnhalle herrscht gespannte Ruhe und hinter den Kulissen emsiges Treiben: Fünf der sechs ausstellenden Künstler sind bereits anwesend. Claude Barbey, Toni Bieli, Max Obrecht, Markus Leibundgut und Marc Reist unterhalten sich mit ersten Gästen. Angela Kummer, die Präsidentin des Organisationskomitees, erscheint, um eine kurze Eröffnungsrede zu halten. Doch wo ist das Publikum? Keine zwanzig Nasen haben sich eingefunden. Kurzerhand wird die «offizielle Eröffnungsveranstaltung» um zwei Stunden verschoben.
Die Mitglieder der «Chaotenküche» und ihre Helfer – alle sind Chef, wie Heinz Westreicher später sagt – haben gezaubert: ein üppiges Tapas-Buffet wartet auf Esser.
Vis-à-vis vor dem Lindenhaus warten die Pfadi mit ihrem mobilen Pizza-Ofen auf Gäste. Rund 350 Portionen sind vorbereitet. Aber wo sind die hungrigen Abnehmer? An der Mauer unterhalb der Lindenstrasse haben sich drei Vermummte ans Werk gemacht. Im Rahmen der Kulturnacht soll hier ein ganz spezielles Graffiti entstehen. Fotografieren lassen sie sich nur mit Maske, ein Hauch von Illegalität soll auch bei diesem offiziellen Teil der Kulturnacht bleiben.
Zwischen 17 und 18 Uhr füllt sich die Lindenstrasse langsam mit Grüppchen von Kulturinteressierten, gut erkennbar an den Künstlerbuttons, die als Eintrittskarte dienen. Im Eusebiushof findet ein Trommelworkshop statt. Thesi Frei erklärt den 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmern die Schlagtechnik. Sie entlockt den ghanaischen Trommeln tiefe und helle Töne. «Wer meint, die Afrikaner haben das Trommeln einfach so im Blut, der irrt gewaltig. Die müssen das genauso lernen, wie ihr das jetzt tut.»
Die Qual der Wahl
Im Lindenhaus hat Franco Suppino eben seine erste Lesung für Kinder beendet. Eine weitere für Jugendliche und Erwachsene folgt. Suppino liest aus seinem Werk «Wasserstadt», das Bezug nimmt auf die geplante Überbauung im Westen Solothurns. Jugendliche des Lindenhauses streichen vor dem Eingang Crêpes und befüllen sie mit Apfelmus.
Um 18 Uhr füllt sich das Künstlercafé in der alten Turnhalle. Schnell wird klar, weshalb zwei Stunden zuvor so wenige Besucher da waren: Man hatte sich die Vernissage im Untergeschoss der alten EPA nicht entgehen lassen wollen oder war am Vortrag im Eusebiushof, «Bücher als Spiegel der Kulturen» oder einer anderen Veranstaltung. Jetzt aber sind die Kulturinteressierten der Stadt, Künstler, Politiker und Sponsoren da, um den Worten von Angela Kummer und Stadtpräsident François Scheidegger zu lauschen und sich ein Cüpli zu genehmigen.
«Ich schaue mir das Programm dieser Kulturnacht an und stehe vor der Qual der Wahl», meint der Stapi. Eine Mischung aus Bewährtem, Innovativem, Hochkarätigem und manchmal auch Schrägem sei zu erwarten, Kulturgenüsse für jeden Geschmack, für jung, jünger und noch jünger. Scheidegger hebt das Potenzial Grenchens nochmals hervor und Kummer lädt die Anwesenden ein, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen und sich ein eigenes Programm aus dem Angebot zusammenzustellen.
Szenenwechsel: Blaue Leuchtschlangen weisen den Weg ins UG der alten EPA. In den ehemaligen Kellerräumen dominiert Neonbeleuchtung. Jeder Raum bietet neue Überraschungen, Installationen, Bilder, Skulpturen, Projektionen. Hier findet man das «Schräge», das der Stapi erwähnt hat. «Lia sells fish» ergreift die Gitarre und füllt mit ihrer klaren Stimme den Raum.
Das Publikum ist ein anderes als an den anderen Veranstaltungsorten, schwierig zu sagen, wer Gast und wer Künstler ist. Organisatorin Stefanie Daumüller ist überwältigt: Ein grosser Blumenstrauss wird ihr überreicht, ein Dankeschön der jungen Künstler. «EPART», eine sehenswerte Ausstellung, weil eben anders, sie läuft noch bis zum 19. Oktober.
«Bern ist überall»
Im Foyer des Kunsthauses stimmen die Musiker des Stadtorchesters ihre Instrumente. Auch hier haben sich die Gäste einen guten Platz gesichert und freuen sich über die klassischen Tangostücke, die vorgetragen werden. Beim Eusebiushof hat die Stadtmusik eine Risotto-Küche eingerichtet. Präsidentin Fränzi Braga zeigt sich erfreut, man habe sehr gut verkauft und die Konzerte seien besser besucht gewesen, als sie eigentlich erwartet habe.
Zurück in der Lindenstrasse pilgert man zum Lindenhaus, wo ein Leckerbissen wartet: «Bern ist überall» mit Literaturpreisträger Beat Sterchi und den beiden Autorinnen und Sprachkünstlerinnen Stefanie Grob und Stefanie Blaser. Noch nie hat man Berndeutsch so schnell vernommen, noch selten so über losgelöste und ins Absurde verdrehte Redewendungen gelacht. Ein unterhaltsamer Akt, den man gerne noch länger erleben möchte. Die Freude der Künstler über den Applaus ist echt, sie selber haben Spass, das spürt man.
Arno Camenisch ist ein Star, auch hier in Grenchen. Der Bündner, der in Biel lebt, füllt das Kleintheater problemlos zweimal. Der Autor beschreibt mit Witz und schwarzem Humor Figuren und selbst erlebte Szenen aus Tavasana, dem Dorf, in dem er aufgewachsen ist. «Vier A, aber nur drei Stunden Sonne pro Tag». Als er seine «Tatta», seine Grossmutter, nackt sieht, weil er ins Badezimmer platzt, verschlägt es ihm die Sprache und er kriegt einen steifen Hals. Das Publikum kann sich kaum erholen, Camenisch erntet immer wieder Zwischenapplaus.
Die Disco «Sunrise» im Untergeschoss der alten Turnhalle füllt sich, die Veranstaltungen sind vorbei. Hier trifft man sich und lässt den Abend nochmals Revue passieren. Denn, wie es der Stadtpräsident gesagt hat, man hatte die Qual der Wahl und war gezwungen, sich sein eigenes Programm zusammenzustellen. Nun tauscht man sich aus und erfährt von Leckerbissen, die man verpasst hat, wie zum Beispiel «Triplex» oder die beiden Autoren der Stadtgeschichte oder das Theater «Adolf Gschwind» von Iris Minder. Leckerbissen in Häppchenform. Sie sei zufrieden, sagt Angela Kummer. «Bluez Ballz» und «Light Food» lassen die «Blaue Nacht» musikalisch ausklingen.