Schon ein flüchtiger erster Blick in die Ausstellung im Neubau des Kunsthauses Grenchen irritiert. Reto Leibundgut und Künstlerduo zeigen mit «Die Sicht der Dinge» Altbekanntes in neuem Perspektiven.
Schon ein flüchtiger erster Blick in die Ausstellung im Neubau des Kunsthauses Grenchen irritiert. Sind das nicht Koffer, Lampen, Teppiche, Holzbalken, die da aufgetürmt geworden sind? Kunst? Tatsächlich. Der Thuner Reto Leibundgut (45) sagt, er habe mit dieser Installation ganz einfach auf den Raum im Kunsthaus-Neubau reagiert.
Als hätte eine Flutwelle - die Bilder kennen wir vom Tsunami in Japan - diese Gegenstände ergriffen, ist alles durcheinander zu einer Art Wand aufgetürmt. Eine präzise Unordnung, eine Skulptur in der Schwebe, zufällig genau so entstanden und dennoch durchdacht und ausgeklügelt. «Uns alle fasziniert das Chaos», sagt Leibundgut. Ihm sei es beim Aufbau wichtig gewesen, immer Gegensätzliches hervorzuheben. Alt - neu, gross - klein, warm - kalt. Als Betrachter verliert man sich in Gedanken und Assoziationen über diese Dinge und ihre Platzierungen.
Neue Zusammenhänge finden
Strukturierter, abstrakter ist die Wandmalerei in Tusche und Spraylack von Daniel Lorenzi und Monica Germann an der weissen Wand gegenüber Leibundguts Installation. Mit dieser Arbeit - ebenfalls eigens für das Grenchner Kunsthaus erstellt - verweisen sie auf ihr Formen- und Zeichenvokabular, welches sie jeweils orts- und themenspezifisch einsetzen. Es sind reale Dinge wie Schallplatten, Discokugeln, Bienen, Äste. Und doch werfen sie in ihrer Kombination Fragen auf, man sucht nach den logischen Zusammenhängen und findet vielleicht eine Antwort - für sich selbst. Genauso geht es dem Betrachter mit Zinnfiguren, welche Germann/Lorenzi auf einer Linie an der Wand im Altbau anbringen liessen. Formen von bekannten Spielzeugfiguren oder Figurenfragmente bekommen durch das neue glänzende Material und die ungewohnte Zusammensetzung neue Bedeutung, verweisen auf Symbolgehalt.
Augenfällig sind in diesem Raum auch die 11 «Jungfrauen» von Reto Leibundgut, die er seit 2006 herstellt. Laszive Frauenfiguren, die er einschlägigen Internet-Bildwelten entnimmt. Einer Intarsie gleich, trennt er diese fotografischen Darstellungen in ihre Farbtöne, stilisiert sie weiter und setzt sie, jetzt als Holzschnitte, auf alten Tür- oder Fensterrahmen wieder zusammen. «Es ist der Versuch, die 77 Jungfrauen darzustellen, die den Selbstmordattentätern als Verheissung im Paradies versprochen werden.
Ob es dann erträglich ist, tatsächlich mit 77 solcher Damen zusammenzukommen, das fragt sich auch Leibundgut. Eine völlig neue Assoziation als gewohnt wecken auch Leibundguts Gobelin-Bilder, sei es die Porträt-Reihe «Stars» oder die neu zusammengesetzten Gobelin-Blumen. Irritierend ist hier auch nur schon die Tatsache, dass ein männlicher Künstler solche Gobelins herstellt.
Das Revival der Schallplatte
Im ersten Stock des Altbaues zeigen dann Germann/Lorenzi ihre Installation «Renovationsepoche II», in der sie die Motive der ersten Arbeit im Neubau realistisch wieder aufgreifen. Ein Schallplattenspieler läuft mit einem eigens komponierten Orgelstück von Christoph Germann. Dazu gehören auch 13 Bilder, Bausteine, die Hellraumprojektion einer Stehlampe, ein Tischchen, Spiegelelemente. Das Künstlerduo verweist damit auf andere Kunstepochen, erkennbar besonders der Konstruktivismus. Auf «Renovation» - Erneuerung verweisen die vielen Bausteine, aber auch gemalten Szenerien von menschenähnlichen Figuren, die mit den Begriffen «Wahrheit», «Lüge» und «Wissen» übertitelt sind. Eine rätselhafte Welt, die neue Sichtweisen fordert und fördert.
Der humoristische Akzent
Zum Schluss sind es dann noch Leibundguts Holz- und Laubsäge-Arbeiten, der «Sweet Nature Garden» und das «Klosett I», welche der neuen Sicht der Dinge einen humoristischen Akzent verleihen.
Vernissage: Samstag, 27. August, 17.30 Uhr. Führungen Di 30. 8.; So 11. 9. und 9. 11., jeweils 11.15 Uhr. Rundgang mit den Künstlern am So 23. 11. Öffnungszeiten: Mi-Sa 14-17 Uhr, So 11-17 Uhr; Mo und Di geschlossen. Bis 23. 11.