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Am 20. November 1915 unternahm Auguste Piccard mit mehreren Militärpiloten eine Ballonfahrt. Gelandet ist die Truppe in Grenchen. Obwohl auch der Lieblingsaviatiker der Schweizer an Bord war, berichtete die Zeitung nur am Rande darüber.
Der Familienname Piccard ist in der Luftfahrt bekannt. Der Name Bider auch. Auguste Piccard – der Grossvater von Bertrand – war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Ballonfahrer mit Höhenweltrekorden. Oskar Bider überquerte als Erster mit einem Flugzeug die Pyrenäen und die Alpen und war im Ersten Weltkrieg Cheffluglehrer der neu gegründeten Schweizer Luftwaffe. Die beiden unternahmen vor 101 Jahren ab Schlieren eine Ballonfahrt und – landeten in Grenchen.
Die heutige Schweizer Luftwaffe wurde ab August 1914 beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs gegründet. Damals hiess sie noch ganz einfach «Fliegerabteilung» und bestand aus einer Gruppe zusammengewürfelter Piloten, vor allem Romands, die vor dem Krieg das Fliegen gelernt hatten und ein Flugzeug besassen. Zuerst war die Abteilung bei der Ballonhalle auf dem Beundenfeld in Bern stationiert, ganz in der Nähe des heutigen Stade de Suisse. Ab Anfang 1915 wurde das ländliche Dübendorf zur Heimat der neuen Waffengattung.
Dübendorf erhielt im Verlaufe des Krieges einen veritablen Flugplatz, wurde dann ab 1919 zur Station der neu gegründeten Schweizer Verkehrsluftfahrt und ab 1931 auch zur Heimat der Swissair mit dem ersten, heute noch bestehenden Terminalbau der Eidgenossenschaft. Damit darf der Flughafen der heutigen Stadt Dübendorf getrost als Wiege der Schweizer Luftfahrt bezeichnet werden, wobei der Flugplatz La Blécherette bei Lausanne gleichzeitig in der Westschweiz eine bedeutende Rolle spielte.
Wichtigste erste Aufgabe der Fliegerabteilung war die Ausbildung von Militärpiloten. 1915 wurden drei Piloten brevetiert, 1916 waren es schon ein Dutzend. Cheffluglehrer war der 1891 geborene Kavallerieoffizier Oskar Bider aus dem basellandschaftlichen Langenbruck. Mit der erstmaligen Überquerung der Pyrenäen bis nach Madrid und den ganzen Alpen von Bern nach Mailand via Domodossola avancierte der bescheidene Landwirt im Jahr 1913 zum absoluten Star der Fliegerszene.
Als Militärpilot der ersten Stunde baute er seinen Status als Lieblingsaviatiker der Schweiz – vor allem auch der Frauen – mit weiteren fliegerischen Pioniertaten aus. Keine Zeitung und keine Illustrierte, die damals nicht über seine Taten berichtete. Aber noch nicht einmal 25 Jahre alt, lastete auf seinen jungen Schultern auch eine riesige Verantwortung mit der Leitung der Pilotenausbildung, womit er auch eine zentrale Funktion innehatte beim Aufbau der gesamten militärischen Luftfahrt.
In Dübendorf gab in diesen ersten Tagen der Fliegerabteilung ein gewisser Auguste Piccard den angehenden Piloten Theorieunterricht. Der «Dr. Piccard», wie er im Tagebuch der Fliegerabteilung genannt wird, war 1915 Privatdozent an der ETH und ab 1917 Professor. In diesem Tagebuch findet sich ein Eintrag, dass Auguste Piccard mit den Militärpiloten Oskar Bider, Alphons Simonius und Henry Pillichody am 20. November 1915 eine Ballonfahrt unternommen hatte. Elf Mann der Fliegerabteilung reisten an diesem Tag mit dem Zug von Dübendorf nach Schlieren, um den Gasballon «St. Gotthard» des Aero-Club der Schweiz vorzubereiten. Um 11.30 Uhr startete der Ballon in Schlieren, damals der normale Füllplatz der 1910 gegründeten Ballongruppe Zürich, die heute der älteste existierende Luftfahrtverein der Schweiz ist. Offenbar herrschte an diesem Samstag eine Bisenlage, denn der Ballon landete um 17.15 Uhr in Grenchen.
Dem «Grenchner Tagblatt» vom 22. November 1915 war die Landung eine Notiz wert. Der Ballon sei südlich der Bahnlinie gelandet, links vom Gaswerk. Damit lässt sich der Landeort an der Riedernstrasse östlich des SWG-Geländes lokalisieren. Die Zeitung schrieb: «Die Absicht zu landen war der geringen Höhe wegen schon aus einiger Entfernung zu bemerken, und auf die bekannten Hornsignale sind denn auch eine Menge Personen beigesprungen, vorab natürlich die liebe Jugend, die bei dem seltenen Schauspiel auch dabei sein wollte.» Der Ballon sei anschliessend in einen Güterwagen geladen worden.
An einem 20. November ist es nach 17 Uhr schon ziemlich dunkel. Ob es an diesem Umstand liegt, dass der berühmte Mitfahrer Oskar Bider nicht erkannt wurde? Weder das Grenchner Tagblatt noch einen Tag später die Solothurner Zeitung schrieben etwas über die Identität der vier Ballonfahrer. Offenbar wurde das Fliegeridol ganz einfach nicht in einem Ballon erwartet und sein Name war bekannter als sein Aussehen. Bedrucktes Papier war damals noch das einzige Medium, und Fotos gehörten in den Zeitungen noch keineswegs zum Standard.
Der Tagebucheintrag vom 20. November 1915 zeigt auch auf, dass «Füsilier Zimmermann» einen Trainingsflug unternahm (siehe Foto). Dieser Füsilier, die Pilotenschüler wurden bis zur Brevetierung mit ihrer militärischen Herkunft angesprochen, wurde später erster Chef der Swissair. Es ist der 1895 geborene Balthasar «Balz» Zimmermann aus dem Kanton Glarus. Er wurde 1916 zum Militärpiloten brevetiert und arbeitete als militärischer Fluglehrer, was er auch nach dem Absturz von Oskar Bider im Sommer 1919 blieb. Ab 1925 war er Chefpilot und Direktor bei der Balair in Basel. Nach der Fusion von Balair und Ad Astra im Jahr 1931 zur Swissair wurde Zimmermann Direktor der neuen Fluggesellschaft bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1937. Zimmermann, der 1935 auch als erster Pilot in den Nationalrat gewählt wurde, gilt als Schöpfer des internationalen Flugverkehrs der Schweiz. (PBG)
Oskar Bider stürzte am 7. Juli 1919 in der Morgenfrühe auf dem Flugplatz Dübendorf bei einem Präsentationsflug mit einem Jagdflugzeug Nieuport 28 C1 ab; die Nacht zuvor feierte er mit Freunden seinen Abschied von der Fliegertruppe, weil er als Mitinitiant der Fluggesellschaft «Ad Astra» beim Aufbau des zivilen Luftverkehrs in der Schweiz mitwirken wollte. Der Absturz löste eine nationale Trauer aus.
Auguste Piccard selber war damals noch weitgehend unbekannt. Berühmt wurde er, als er 1931 in Augsburg und 1932 in Dübendorf mit dem Ballon in die Stratosphäre aufstieg, fast 17 000 Meter erreichte und einen neuen Höhenweltrekord aufstellte; und natürlich als literarische Figur des Professors Bienlein im Comic Tim und Struppi. Noch ein Wort zu den beiden anderen Mitfahrern nach Grenchen: Henry Pillichody (1893–1981) meldete sich 1914 als Sappeurgefreiter im Aktivdienst zu den Fliegern, wurde 1915 als einer der ersten drei Piloten brevetiert und war später Fluglehrer; Alphons Simonius (1892 –1952) wurde 1916 brevetiert und stammte aus Basel.
FN Quellen: Bundesarchiv: Tagebuch der Fliegerabteilung und Zentralbibliothek Solothurn: Grenchner Tagblatt 1915 und Solothurner Zeitung 1915.